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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Flüchtlinge

Noch eimual waren warme und freundliche Tage gekommen, und die Tannen¬
gründe, durch die sie wanderten, strömten ihren würzigen Odem aus. Allmählich
kam Franz denn auch wieder zu Kräften und zog nun frisch seines Weges. Seine
Seele war voll Glück; das Bewußtsein, nnn endlich von dem tückischen Feinde frei
geworden zu sein, füllte sein Herz mit solcher Freude, daß alles andre zurücktrat,
auch der Gedanke an die immer näher kommende Stunde, wo er der Mutter gegen¬
überstehen und das Vaterhaus für immer aufgeben sollte. Lucie hielt in sich ver¬
schlossen, was sie dem Geliebten nicht sagen durfte, ohne sein Glück zu zerstören.
Wie sie die ganze Zeit über ihren Schmerz und ihre Verzagtheit vor ihm verborgen
gehalten hatte, um ihn nicht mutloser zu machen, als er schon war, so ließ sie ihn
auch jetzt nicht in ihre Not hineinsehen. Sie hatte Acht auf sich, auf ihr Gesicht
und ihre Worte, und wußte sich so gut zu beherrschen, daß er nicht merkte, wie
schwer eS ihr wurde, fröhlich und zuversichtlich zu erscheinen.

Meist zogen die Musikanten ein Stück voraus, um Weg und Steg zu be¬
obachten und in den Dörfern Kundschaft einzuziehen. Es war zwischen ihnen ver¬
abredet worden, daß, sowie ein bestimmtes Volkslied gesungen wurde, die Flücht¬
linge dies als eine Warnung nehmen und sich schnell verbergen sollten. Dazu kam
es aber nur einmal, und zwar an dem Tage, wo sie ihr Ziel zu erreichen hofften.

Es war um Mittag. Die Musikanten hielten an der Straße neben einem
Steinhaufen unter einem Gebüsch Nast, während die Flüchtlinge ein Stück abseits
in einem 'kleinen Wäldchen saßen, das sie verbarg. Sie waren still und nachdenk¬
lich, denn jetzt, wo sie ihrem Ziele so nahe waren, war auch Franz von Unruhe
ergriffen. Plötzlich toute das warnende Lied zu ihnen herüber. Sie horchten
mit klopfenden Herzen und sahen nach einigen Minuten, wie ein Gendarm herankam
"ut sein Pferd vor den Musikanten anhielt.

Was seid ihr für Leute? fragte er.

Sogleich vernahmen die Flüchtlinge ein mächtiges Räuspern, und dann klangs
mit hellen Stimmen in den Wald hinein:

Der Gendarm strich sich schmunzelnd den Bart: Also wandernde Musikanten!
Na, mau siehts euch auch an der Nase an, daß ihr wenigstens Mnsikantendurst habt.
Woher kommt ihr?

Jetzt erhob sich kühn Stiefels Ziegenhaiuer über den, Gebüsch, ein gewaltiger
Tattstock:

Das ist ans Preciosa! rief der Gendarm. Das kenne ich, Habs mit meiner
Iran gesehen. Wunderschön! Ihr scheint mir lustige Geselle" zu sein. Aber, es
thut mir leid, ich muß doch etwas Näheres über eure Reiseroute wissen.

Der Taktstock erschien wieder über dem Gebüsch, und die Musikanten saugen:


Die Flüchtlinge

Noch eimual waren warme und freundliche Tage gekommen, und die Tannen¬
gründe, durch die sie wanderten, strömten ihren würzigen Odem aus. Allmählich
kam Franz denn auch wieder zu Kräften und zog nun frisch seines Weges. Seine
Seele war voll Glück; das Bewußtsein, nnn endlich von dem tückischen Feinde frei
geworden zu sein, füllte sein Herz mit solcher Freude, daß alles andre zurücktrat,
auch der Gedanke an die immer näher kommende Stunde, wo er der Mutter gegen¬
überstehen und das Vaterhaus für immer aufgeben sollte. Lucie hielt in sich ver¬
schlossen, was sie dem Geliebten nicht sagen durfte, ohne sein Glück zu zerstören.
Wie sie die ganze Zeit über ihren Schmerz und ihre Verzagtheit vor ihm verborgen
gehalten hatte, um ihn nicht mutloser zu machen, als er schon war, so ließ sie ihn
auch jetzt nicht in ihre Not hineinsehen. Sie hatte Acht auf sich, auf ihr Gesicht
und ihre Worte, und wußte sich so gut zu beherrschen, daß er nicht merkte, wie
schwer eS ihr wurde, fröhlich und zuversichtlich zu erscheinen.

Meist zogen die Musikanten ein Stück voraus, um Weg und Steg zu be¬
obachten und in den Dörfern Kundschaft einzuziehen. Es war zwischen ihnen ver¬
abredet worden, daß, sowie ein bestimmtes Volkslied gesungen wurde, die Flücht¬
linge dies als eine Warnung nehmen und sich schnell verbergen sollten. Dazu kam
es aber nur einmal, und zwar an dem Tage, wo sie ihr Ziel zu erreichen hofften.

Es war um Mittag. Die Musikanten hielten an der Straße neben einem
Steinhaufen unter einem Gebüsch Nast, während die Flüchtlinge ein Stück abseits
in einem 'kleinen Wäldchen saßen, das sie verbarg. Sie waren still und nachdenk¬
lich, denn jetzt, wo sie ihrem Ziele so nahe waren, war auch Franz von Unruhe
ergriffen. Plötzlich toute das warnende Lied zu ihnen herüber. Sie horchten
mit klopfenden Herzen und sahen nach einigen Minuten, wie ein Gendarm herankam
»ut sein Pferd vor den Musikanten anhielt.

Was seid ihr für Leute? fragte er.

Sogleich vernahmen die Flüchtlinge ein mächtiges Räuspern, und dann klangs
mit hellen Stimmen in den Wald hinein:

Der Gendarm strich sich schmunzelnd den Bart: Also wandernde Musikanten!
Na, mau siehts euch auch an der Nase an, daß ihr wenigstens Mnsikantendurst habt.
Woher kommt ihr?

Jetzt erhob sich kühn Stiefels Ziegenhaiuer über den, Gebüsch, ein gewaltiger
Tattstock:

Das ist ans Preciosa! rief der Gendarm. Das kenne ich, Habs mit meiner
Iran gesehen. Wunderschön! Ihr scheint mir lustige Geselle» zu sein. Aber, es
thut mir leid, ich muß doch etwas Näheres über eure Reiseroute wissen.

Der Taktstock erschien wieder über dem Gebüsch, und die Musikanten saugen:


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[0544] Die Flüchtlinge Noch eimual waren warme und freundliche Tage gekommen, und die Tannen¬ gründe, durch die sie wanderten, strömten ihren würzigen Odem aus. Allmählich kam Franz denn auch wieder zu Kräften und zog nun frisch seines Weges. Seine Seele war voll Glück; das Bewußtsein, nnn endlich von dem tückischen Feinde frei geworden zu sein, füllte sein Herz mit solcher Freude, daß alles andre zurücktrat, auch der Gedanke an die immer näher kommende Stunde, wo er der Mutter gegen¬ überstehen und das Vaterhaus für immer aufgeben sollte. Lucie hielt in sich ver¬ schlossen, was sie dem Geliebten nicht sagen durfte, ohne sein Glück zu zerstören. Wie sie die ganze Zeit über ihren Schmerz und ihre Verzagtheit vor ihm verborgen gehalten hatte, um ihn nicht mutloser zu machen, als er schon war, so ließ sie ihn auch jetzt nicht in ihre Not hineinsehen. Sie hatte Acht auf sich, auf ihr Gesicht und ihre Worte, und wußte sich so gut zu beherrschen, daß er nicht merkte, wie schwer eS ihr wurde, fröhlich und zuversichtlich zu erscheinen. Meist zogen die Musikanten ein Stück voraus, um Weg und Steg zu be¬ obachten und in den Dörfern Kundschaft einzuziehen. Es war zwischen ihnen ver¬ abredet worden, daß, sowie ein bestimmtes Volkslied gesungen wurde, die Flücht¬ linge dies als eine Warnung nehmen und sich schnell verbergen sollten. Dazu kam es aber nur einmal, und zwar an dem Tage, wo sie ihr Ziel zu erreichen hofften. Es war um Mittag. Die Musikanten hielten an der Straße neben einem Steinhaufen unter einem Gebüsch Nast, während die Flüchtlinge ein Stück abseits in einem 'kleinen Wäldchen saßen, das sie verbarg. Sie waren still und nachdenk¬ lich, denn jetzt, wo sie ihrem Ziele so nahe waren, war auch Franz von Unruhe ergriffen. Plötzlich toute das warnende Lied zu ihnen herüber. Sie horchten mit klopfenden Herzen und sahen nach einigen Minuten, wie ein Gendarm herankam »ut sein Pferd vor den Musikanten anhielt. Was seid ihr für Leute? fragte er. Sogleich vernahmen die Flüchtlinge ein mächtiges Räuspern, und dann klangs mit hellen Stimmen in den Wald hinein: Der Gendarm strich sich schmunzelnd den Bart: Also wandernde Musikanten! Na, mau siehts euch auch an der Nase an, daß ihr wenigstens Mnsikantendurst habt. Woher kommt ihr? Jetzt erhob sich kühn Stiefels Ziegenhaiuer über den, Gebüsch, ein gewaltiger Tattstock: Das ist ans Preciosa! rief der Gendarm. Das kenne ich, Habs mit meiner Iran gesehen. Wunderschön! Ihr scheint mir lustige Geselle» zu sein. Aber, es thut mir leid, ich muß doch etwas Näheres über eure Reiseroute wissen. Der Taktstock erschien wieder über dem Gebüsch, und die Musikanten saugen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/544>, abgerufen am 22.07.2024.