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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Annette von Droste-Hiilshoff und Levin Schiicking

über, im September 1847 gingen Schücking und seine Frau auf ein halbes
Jahr nach Rom, bald nach ihrer Heimkehr (am 24. Mai 1848) schied Annette
aus dem Leben.

Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, den eigensten Gehalt und Neiz dieser
ein Menschenalter nach dem Tode ihrer Verfasserin veröffentlichten Briefe in
einem Bericht auch nur anzudeuten. Wichtige "Enthüllungen" für die ver-
ehrlichen Forscher in neuester deutscher Litteraturgeschichte enthalten sie freilich
nicht; der "litterarische Klatsch," der, wie billig, auch in ihnen gelegentlich zu
Wort kommt, haftet zu sehr an Münster und betrifft fast ausschließlich lokale
Größen, die sich in der Litteratur uur schüchtern und flüchtig gezeigt haben,
und verschollne angenehme und fatale Blaustrümpfe. Annette hält es für Pflicht,
ihren Levin über die Vorkommnisse des Kreises, in dem er früher heimisch ge¬
wesen ist, zu unterrichten, und plaudert sehr herzlich und unbefangen über
die Neuigkeiten, die ihr die Botenfrau aus Münster nach ihrem einsamen
Landsitz trägt, oder vou deren Wogen sie sich bei gelegentlichen Besuchen in
der westfälischen Hauptstadt überspült sieht. Ein Hauch der Milde und Herz¬
lichkeit, gepaart mit dem gesundesten Hausverstcmdc und zutreffender Schärfe
des Urteils, geht durch alle Mitteilungen der Dichterin hindurch; wo uns das
Leben, aus dem sie stammen, nicht an sich interessirt, da fesselt uns die eigen¬
tümliche Wirkung, die es auf diese kräftige und dabei so innerliche Frciueu-
uatur gehabt hat. Schückings Briefe, soweit sie erhalten sind, berichten aus
einer andern, wenn man will bewegter" Welt, er steht im Verkehr mit einer
Reihe von damaligen Berühmtheiten, zu denen das Fräulein vou Droste keine
Beziehungen hat, und wirft gelegentlich einmal mit Namen um sich; im ganzen
bleibt er aber doch ein guter, frischer Junge, der gar wohl weiß, daß es in
dieser Littcratnrwelt nicht immer seelenerhebend oder auch nur sauber hergeht.
In der Anspruchslosigkeit und Einfachheit der Mitteilungen der beiden geist¬
vollen Menschen liegt eine stille Anziehungskraft, für die man freilich seelische
Empfänglichkeit mitbringen muß; fast aus jeder Seite quellen fein gezeichnete
Lebensbilder hervor. Das malerische Talent Annelees ist so groß, daß es in
wenigen Sätzen eine ganze kleine Welt vor Augen rückt. So wenn sie von
einem Frvhnleichncimstage in Meersburg erzählt: "Ich schreibe dir unter Ka¬
nonendonner, unter Pauken- und Trompetenschall. Die Bürgermiliz hat sich
vor der Pfarrkirche aufgepflanzt und läßt ihr Geschütz, wirklich ordentliche
Kanonen, seit vier Uhr morgens, sechs Messen lang, so unbarmherzig zu Gottes
Ehre knallen, daß fast in jedem Hause ein Kind schreit, und nur auf dieser
Seite haben alle Fenster aufsperren müssen, damit sie nicht springen. In den
Schwaben ist doch mehr Lust und Leben, wie in unsern guten Pumpernickeln!
Stiele hat sich in eine Uniform gezwängt, die aus allen Nähten bersten möchte,
und malträtirt die große Trommel mordmäßig. Als ich aus der Kirche kam,
salutirte er höchst militärisch und sagte dabei höchst bürgerlich: "Guten Morgen,


Annette von Droste-Hiilshoff und Levin Schiicking

über, im September 1847 gingen Schücking und seine Frau auf ein halbes
Jahr nach Rom, bald nach ihrer Heimkehr (am 24. Mai 1848) schied Annette
aus dem Leben.

Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, den eigensten Gehalt und Neiz dieser
ein Menschenalter nach dem Tode ihrer Verfasserin veröffentlichten Briefe in
einem Bericht auch nur anzudeuten. Wichtige „Enthüllungen" für die ver-
ehrlichen Forscher in neuester deutscher Litteraturgeschichte enthalten sie freilich
nicht; der „litterarische Klatsch," der, wie billig, auch in ihnen gelegentlich zu
Wort kommt, haftet zu sehr an Münster und betrifft fast ausschließlich lokale
Größen, die sich in der Litteratur uur schüchtern und flüchtig gezeigt haben,
und verschollne angenehme und fatale Blaustrümpfe. Annette hält es für Pflicht,
ihren Levin über die Vorkommnisse des Kreises, in dem er früher heimisch ge¬
wesen ist, zu unterrichten, und plaudert sehr herzlich und unbefangen über
die Neuigkeiten, die ihr die Botenfrau aus Münster nach ihrem einsamen
Landsitz trägt, oder vou deren Wogen sie sich bei gelegentlichen Besuchen in
der westfälischen Hauptstadt überspült sieht. Ein Hauch der Milde und Herz¬
lichkeit, gepaart mit dem gesundesten Hausverstcmdc und zutreffender Schärfe
des Urteils, geht durch alle Mitteilungen der Dichterin hindurch; wo uns das
Leben, aus dem sie stammen, nicht an sich interessirt, da fesselt uns die eigen¬
tümliche Wirkung, die es auf diese kräftige und dabei so innerliche Frciueu-
uatur gehabt hat. Schückings Briefe, soweit sie erhalten sind, berichten aus
einer andern, wenn man will bewegter» Welt, er steht im Verkehr mit einer
Reihe von damaligen Berühmtheiten, zu denen das Fräulein vou Droste keine
Beziehungen hat, und wirft gelegentlich einmal mit Namen um sich; im ganzen
bleibt er aber doch ein guter, frischer Junge, der gar wohl weiß, daß es in
dieser Littcratnrwelt nicht immer seelenerhebend oder auch nur sauber hergeht.
In der Anspruchslosigkeit und Einfachheit der Mitteilungen der beiden geist¬
vollen Menschen liegt eine stille Anziehungskraft, für die man freilich seelische
Empfänglichkeit mitbringen muß; fast aus jeder Seite quellen fein gezeichnete
Lebensbilder hervor. Das malerische Talent Annelees ist so groß, daß es in
wenigen Sätzen eine ganze kleine Welt vor Augen rückt. So wenn sie von
einem Frvhnleichncimstage in Meersburg erzählt: „Ich schreibe dir unter Ka¬
nonendonner, unter Pauken- und Trompetenschall. Die Bürgermiliz hat sich
vor der Pfarrkirche aufgepflanzt und läßt ihr Geschütz, wirklich ordentliche
Kanonen, seit vier Uhr morgens, sechs Messen lang, so unbarmherzig zu Gottes
Ehre knallen, daß fast in jedem Hause ein Kind schreit, und nur auf dieser
Seite haben alle Fenster aufsperren müssen, damit sie nicht springen. In den
Schwaben ist doch mehr Lust und Leben, wie in unsern guten Pumpernickeln!
Stiele hat sich in eine Uniform gezwängt, die aus allen Nähten bersten möchte,
und malträtirt die große Trommel mordmäßig. Als ich aus der Kirche kam,
salutirte er höchst militärisch und sagte dabei höchst bürgerlich: »Guten Morgen,


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[0532] Annette von Droste-Hiilshoff und Levin Schiicking über, im September 1847 gingen Schücking und seine Frau auf ein halbes Jahr nach Rom, bald nach ihrer Heimkehr (am 24. Mai 1848) schied Annette aus dem Leben. Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, den eigensten Gehalt und Neiz dieser ein Menschenalter nach dem Tode ihrer Verfasserin veröffentlichten Briefe in einem Bericht auch nur anzudeuten. Wichtige „Enthüllungen" für die ver- ehrlichen Forscher in neuester deutscher Litteraturgeschichte enthalten sie freilich nicht; der „litterarische Klatsch," der, wie billig, auch in ihnen gelegentlich zu Wort kommt, haftet zu sehr an Münster und betrifft fast ausschließlich lokale Größen, die sich in der Litteratur uur schüchtern und flüchtig gezeigt haben, und verschollne angenehme und fatale Blaustrümpfe. Annette hält es für Pflicht, ihren Levin über die Vorkommnisse des Kreises, in dem er früher heimisch ge¬ wesen ist, zu unterrichten, und plaudert sehr herzlich und unbefangen über die Neuigkeiten, die ihr die Botenfrau aus Münster nach ihrem einsamen Landsitz trägt, oder vou deren Wogen sie sich bei gelegentlichen Besuchen in der westfälischen Hauptstadt überspült sieht. Ein Hauch der Milde und Herz¬ lichkeit, gepaart mit dem gesundesten Hausverstcmdc und zutreffender Schärfe des Urteils, geht durch alle Mitteilungen der Dichterin hindurch; wo uns das Leben, aus dem sie stammen, nicht an sich interessirt, da fesselt uns die eigen¬ tümliche Wirkung, die es auf diese kräftige und dabei so innerliche Frciueu- uatur gehabt hat. Schückings Briefe, soweit sie erhalten sind, berichten aus einer andern, wenn man will bewegter» Welt, er steht im Verkehr mit einer Reihe von damaligen Berühmtheiten, zu denen das Fräulein vou Droste keine Beziehungen hat, und wirft gelegentlich einmal mit Namen um sich; im ganzen bleibt er aber doch ein guter, frischer Junge, der gar wohl weiß, daß es in dieser Littcratnrwelt nicht immer seelenerhebend oder auch nur sauber hergeht. In der Anspruchslosigkeit und Einfachheit der Mitteilungen der beiden geist¬ vollen Menschen liegt eine stille Anziehungskraft, für die man freilich seelische Empfänglichkeit mitbringen muß; fast aus jeder Seite quellen fein gezeichnete Lebensbilder hervor. Das malerische Talent Annelees ist so groß, daß es in wenigen Sätzen eine ganze kleine Welt vor Augen rückt. So wenn sie von einem Frvhnleichncimstage in Meersburg erzählt: „Ich schreibe dir unter Ka¬ nonendonner, unter Pauken- und Trompetenschall. Die Bürgermiliz hat sich vor der Pfarrkirche aufgepflanzt und läßt ihr Geschütz, wirklich ordentliche Kanonen, seit vier Uhr morgens, sechs Messen lang, so unbarmherzig zu Gottes Ehre knallen, daß fast in jedem Hause ein Kind schreit, und nur auf dieser Seite haben alle Fenster aufsperren müssen, damit sie nicht springen. In den Schwaben ist doch mehr Lust und Leben, wie in unsern guten Pumpernickeln! Stiele hat sich in eine Uniform gezwängt, die aus allen Nähten bersten möchte, und malträtirt die große Trommel mordmäßig. Als ich aus der Kirche kam, salutirte er höchst militärisch und sagte dabei höchst bürgerlich: »Guten Morgen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/532>, abgerufen am 22.07.2024.