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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Annette von Droste-Hiilshoff und Levin Schücking

Oder sehe ich Sie noch mit den Augen Ihrer Mutter an, hören Sie noch
die Stimme derjenigen aus mir, die mir jetzt vielleicht eingiebt, was ich schreibe?
Ich weiß, Sie thun es nud nehmen meine dargebotene Hand als Zeichen der
Anerkennung freundlich an. Mein Wille war immer gut; habe ich in der
Weise zuweilen gefehlt, so wäre die Strafe zu hart, wenn meine Worte da¬
durch alle Kraft verloren hätten. Bedenken Sie, daß ich mich im Innern für
Sie verantwortlich gemacht habe, sowohl für Ihr äußeres als inneres Wohl,
und jeder Ihrer Fehlschrittc mir mitten durchs Herz geht." Und als ihr im
weitern Verlauf der Dinge die Besorgnis kommt, den jungen Freund mit ihren
Warnungen zu verletze", ruft sie ihm nochmals zu: "Nicht wahr, mein lieb
Kind, du wirst mir nicht tückisch? Wenn ich anfinge, meine Sermone ein-
zupacken, dann könnten Sie nur denken, daß es auch anfinge, mit der Liebe
schlecht zu stehn, denn es ist mir immer hart, Ihnen dergleichen zu schreiben,
und ich würde es schwerlich um jemand anders thun; aber du bist mein einzig
lieb Kind, und ich will dir lieber mal lästig und langweilig erscheinen, als
mich durch Schweige" an der Treue zu versündigen." (Rüschhans, 15. Fe¬
bruar 184!;.)

Unter diesen Umständen atmet Annette auf, als Schücking im Mai 184!!
nach Augsburg geht, um in die Redaktion der Allgemeinen Zeitung einzutreten.
Und als er ihr bald darauf verrät, daß er sein Herz an die junge Schrift¬
stellerin Louise von Gall verloren hat, legt sie nicht die leiseste Eifersucht an
den Tag, sondern wieder nur die ernsteste Teilnahme ("ich bin voll der besten
Hoffnungen nud so herzensfrvh, daß deine Neigung sich so ehrenvoll fixirt hat,
und doch ist mir jetzt, wo die Entscheidung bevorsteht, so ängstlich und ernst
zu Mute, als sollte ich selbst heiraten") und die herzlichste Sorge um die Zu¬
kunft des jungen Paares. Im Frühling 1844 brachte Schücking seine junge
Frau nach Meersburg, wo Annette wieder weilte und sich von dem Honorar
ihrer Gedichte sogar einen Weinberg mit Weinbergshäuschen gekauft hatte; die
Dichterin wurde dann die Pate seines ältesten Sohnes, sie freute sich der Über¬
siedlung Schückings nach Köln, wo er seit dem Herbst 1845 eine gute Stel¬
lung als Feuilletonredakteur der Kölnischen Zeitung gefunden hatte. Von
Rüschhans den 7. Februar l84ki ist der letzte mitgeteilte Brief von ihr an
Schücking datirt. Ob es der letzte überhaupt ist, läßt sich nicht feststellen, und
die Herausgeberin der Briefe sagt darüber nichts. Jedenfalls braucht man des¬
halb nicht zu mutmaßen, wie es Geiger in einer verdrießlichen Anzeige des
Buches gethan hat. daß sich kein Verhältnis zwischen Schückings Freundin und
Schückings Gattin ergeben habe. Die letzten Worte Annelees lauten: "Tausend
Liebes um Lvuisen von Ihrem treuen Mütterchen," und die Dichterin war wahr¬
lich nicht die Frau, dergleichen als gewohnheitsmäßige Redensart hinzuschreiben.
Es giebt genug Erklärungen für den Abbruch des Briefwechsels vor dem Tode
der Dichterin. Im Sommer 1846 siedelte sie zum drittenmale an den Rodcnsee


Annette von Droste-Hiilshoff und Levin Schücking

Oder sehe ich Sie noch mit den Augen Ihrer Mutter an, hören Sie noch
die Stimme derjenigen aus mir, die mir jetzt vielleicht eingiebt, was ich schreibe?
Ich weiß, Sie thun es nud nehmen meine dargebotene Hand als Zeichen der
Anerkennung freundlich an. Mein Wille war immer gut; habe ich in der
Weise zuweilen gefehlt, so wäre die Strafe zu hart, wenn meine Worte da¬
durch alle Kraft verloren hätten. Bedenken Sie, daß ich mich im Innern für
Sie verantwortlich gemacht habe, sowohl für Ihr äußeres als inneres Wohl,
und jeder Ihrer Fehlschrittc mir mitten durchs Herz geht." Und als ihr im
weitern Verlauf der Dinge die Besorgnis kommt, den jungen Freund mit ihren
Warnungen zu verletze«, ruft sie ihm nochmals zu: „Nicht wahr, mein lieb
Kind, du wirst mir nicht tückisch? Wenn ich anfinge, meine Sermone ein-
zupacken, dann könnten Sie nur denken, daß es auch anfinge, mit der Liebe
schlecht zu stehn, denn es ist mir immer hart, Ihnen dergleichen zu schreiben,
und ich würde es schwerlich um jemand anders thun; aber du bist mein einzig
lieb Kind, und ich will dir lieber mal lästig und langweilig erscheinen, als
mich durch Schweige» an der Treue zu versündigen." (Rüschhans, 15. Fe¬
bruar 184!;.)

Unter diesen Umständen atmet Annette auf, als Schücking im Mai 184!!
nach Augsburg geht, um in die Redaktion der Allgemeinen Zeitung einzutreten.
Und als er ihr bald darauf verrät, daß er sein Herz an die junge Schrift¬
stellerin Louise von Gall verloren hat, legt sie nicht die leiseste Eifersucht an
den Tag, sondern wieder nur die ernsteste Teilnahme („ich bin voll der besten
Hoffnungen nud so herzensfrvh, daß deine Neigung sich so ehrenvoll fixirt hat,
und doch ist mir jetzt, wo die Entscheidung bevorsteht, so ängstlich und ernst
zu Mute, als sollte ich selbst heiraten") und die herzlichste Sorge um die Zu¬
kunft des jungen Paares. Im Frühling 1844 brachte Schücking seine junge
Frau nach Meersburg, wo Annette wieder weilte und sich von dem Honorar
ihrer Gedichte sogar einen Weinberg mit Weinbergshäuschen gekauft hatte; die
Dichterin wurde dann die Pate seines ältesten Sohnes, sie freute sich der Über¬
siedlung Schückings nach Köln, wo er seit dem Herbst 1845 eine gute Stel¬
lung als Feuilletonredakteur der Kölnischen Zeitung gefunden hatte. Von
Rüschhans den 7. Februar l84ki ist der letzte mitgeteilte Brief von ihr an
Schücking datirt. Ob es der letzte überhaupt ist, läßt sich nicht feststellen, und
die Herausgeberin der Briefe sagt darüber nichts. Jedenfalls braucht man des¬
halb nicht zu mutmaßen, wie es Geiger in einer verdrießlichen Anzeige des
Buches gethan hat. daß sich kein Verhältnis zwischen Schückings Freundin und
Schückings Gattin ergeben habe. Die letzten Worte Annelees lauten: „Tausend
Liebes um Lvuisen von Ihrem treuen Mütterchen," und die Dichterin war wahr¬
lich nicht die Frau, dergleichen als gewohnheitsmäßige Redensart hinzuschreiben.
Es giebt genug Erklärungen für den Abbruch des Briefwechsels vor dem Tode
der Dichterin. Im Sommer 1846 siedelte sie zum drittenmale an den Rodcnsee


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[0531] Annette von Droste-Hiilshoff und Levin Schücking Oder sehe ich Sie noch mit den Augen Ihrer Mutter an, hören Sie noch die Stimme derjenigen aus mir, die mir jetzt vielleicht eingiebt, was ich schreibe? Ich weiß, Sie thun es nud nehmen meine dargebotene Hand als Zeichen der Anerkennung freundlich an. Mein Wille war immer gut; habe ich in der Weise zuweilen gefehlt, so wäre die Strafe zu hart, wenn meine Worte da¬ durch alle Kraft verloren hätten. Bedenken Sie, daß ich mich im Innern für Sie verantwortlich gemacht habe, sowohl für Ihr äußeres als inneres Wohl, und jeder Ihrer Fehlschrittc mir mitten durchs Herz geht." Und als ihr im weitern Verlauf der Dinge die Besorgnis kommt, den jungen Freund mit ihren Warnungen zu verletze«, ruft sie ihm nochmals zu: „Nicht wahr, mein lieb Kind, du wirst mir nicht tückisch? Wenn ich anfinge, meine Sermone ein- zupacken, dann könnten Sie nur denken, daß es auch anfinge, mit der Liebe schlecht zu stehn, denn es ist mir immer hart, Ihnen dergleichen zu schreiben, und ich würde es schwerlich um jemand anders thun; aber du bist mein einzig lieb Kind, und ich will dir lieber mal lästig und langweilig erscheinen, als mich durch Schweige» an der Treue zu versündigen." (Rüschhans, 15. Fe¬ bruar 184!;.) Unter diesen Umständen atmet Annette auf, als Schücking im Mai 184!! nach Augsburg geht, um in die Redaktion der Allgemeinen Zeitung einzutreten. Und als er ihr bald darauf verrät, daß er sein Herz an die junge Schrift¬ stellerin Louise von Gall verloren hat, legt sie nicht die leiseste Eifersucht an den Tag, sondern wieder nur die ernsteste Teilnahme („ich bin voll der besten Hoffnungen nud so herzensfrvh, daß deine Neigung sich so ehrenvoll fixirt hat, und doch ist mir jetzt, wo die Entscheidung bevorsteht, so ängstlich und ernst zu Mute, als sollte ich selbst heiraten") und die herzlichste Sorge um die Zu¬ kunft des jungen Paares. Im Frühling 1844 brachte Schücking seine junge Frau nach Meersburg, wo Annette wieder weilte und sich von dem Honorar ihrer Gedichte sogar einen Weinberg mit Weinbergshäuschen gekauft hatte; die Dichterin wurde dann die Pate seines ältesten Sohnes, sie freute sich der Über¬ siedlung Schückings nach Köln, wo er seit dem Herbst 1845 eine gute Stel¬ lung als Feuilletonredakteur der Kölnischen Zeitung gefunden hatte. Von Rüschhans den 7. Februar l84ki ist der letzte mitgeteilte Brief von ihr an Schücking datirt. Ob es der letzte überhaupt ist, läßt sich nicht feststellen, und die Herausgeberin der Briefe sagt darüber nichts. Jedenfalls braucht man des¬ halb nicht zu mutmaßen, wie es Geiger in einer verdrießlichen Anzeige des Buches gethan hat. daß sich kein Verhältnis zwischen Schückings Freundin und Schückings Gattin ergeben habe. Die letzten Worte Annelees lauten: „Tausend Liebes um Lvuisen von Ihrem treuen Mütterchen," und die Dichterin war wahr¬ lich nicht die Frau, dergleichen als gewohnheitsmäßige Redensart hinzuschreiben. Es giebt genug Erklärungen für den Abbruch des Briefwechsels vor dem Tode der Dichterin. Im Sommer 1846 siedelte sie zum drittenmale an den Rodcnsee

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/531>, abgerufen am 22.07.2024.