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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die innerlich so reiche Dichterin hatte den Reiz des Verkehrs mit einer gleich¬
gestimmten Seele, einer enthusiastischen und hochstrebenden Natur in ihrer un¬
mittelbaren Umgebung nicht kennen gelernt, und sie gab sich der Anziehungs¬
kraft dieses Reizes und jener gemischten Empfindungen um so lieber, Würmer
und unbefangner hin, als Levin Schücking ein Sorgenkind war. Von den
juristischen Prüfungen des preußischen Staates zurückgewiesen, weil seine Wiege
in der moor- und heidereichen Ecke des Münsterlandes gestanden hatte, die bei
der großen Teilung lion 1803 zuerst herzoglich arembergisch und hernach han¬
noverisch geworden war, überließ sich der junge Rechtskaudidat seiner ange-
bornen Neigung zur Litteratur mit dem größten Eifer, und vor sich selbst mit
dem besten Recht. Und da er (seit 1837) als junger Schriftsteller in Münster
lebte, wurde Annette seine Vertraute, seine Helferin, seine Warnerin und
schwankte ergötzlich genng hin und her zwischen der Teilnahme an ihres Schütz¬
lings litterarischen Anfängen und der Besorgnis, daß er im gewöhnlichen Lit-
teratentum untergehen könnte. Sie sah Wohl, daß er mit jugendlicher Frische
die Mühen des Dichterpfades überwand, mit Heiterkeit schmale Bissen aß und
im Thun und Lassen ein echter Gentleman blieb, aber sie hätte ihm gar zu
gern die schönste Sinekure von der Welt verschafft, in der er, bei stattlichen
Einnahmen, nach Herzenslust hätte dichten und erzählen können. Sie zermarterte
sich den Kopf und pochte an alle Thüren, um für ihren Freund eine gesicherte
Lebensstellung zu finden, aber ihre Güte war größer, als ihr Talent für der¬
gleichen Hintertreppenerfolge. Einen wirklichen Dienst leistete sie 1841 dem
jungen Schriftsteller dnrch die Einladung auf die alte Meersburg am Boden¬
see, wo der Gemahl ihrer ältern Schwester, der alte, gelehrte Freiherr Joseph
von Laßberg (Meister Sepp von Eppishusen), mit seiner kostbaren Bibliothek
und seinein Schatz mittelhochdeutscher Handschriften hauste. Schücking wurde
herzugerufen, um einen Katalog dieser unschätzbaren Sammlungen anzufertigen,
und erfreute sich so im Winter von 1841 auf 1842 eines noch lebhaftern
Verkehrs mit seiner Freundin, als da er allwöchentlich im Sommer und Winter
von Münster nach Rüschhaus gewandert oder Annette ans ein paar Wochen
zu Verwandten nach Münster gekommen war.

Aus der Zeit zwischen 1838 und 1842 sind nnr einige Briefe Schückings,
aber keine Annettens erhalten geblieben; diese setzen erst mit dem Frühling von
1842 ein, wo Schücking die Mcerslmrg wieder verlassen hatte, um Erzieher
der Enkel des Fürsten Wrede zu werden, des bairischen Marschalls, von dein
Napoleon I. das geflügelte Wort gesprochen hatte, daß er Wohl ein Graf von
seiner Mache, aber kein General von seiner Mache sei. Mit dem Jahre, das
Schücking in den fürstlich Wredischen Schlossern Ellingen und Mondsee ver¬
brachte, beginnen die vertraulich plaudernden Mitteilungen der Dichterin an den
jungen Freund. Die Anrede an Schücking (bald Sie, bald Dn, doch meist
das letztere), die wunderlich originellen Zärtlichkeitscmsdrücke, nach denen der


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Die innerlich so reiche Dichterin hatte den Reiz des Verkehrs mit einer gleich¬
gestimmten Seele, einer enthusiastischen und hochstrebenden Natur in ihrer un¬
mittelbaren Umgebung nicht kennen gelernt, und sie gab sich der Anziehungs¬
kraft dieses Reizes und jener gemischten Empfindungen um so lieber, Würmer
und unbefangner hin, als Levin Schücking ein Sorgenkind war. Von den
juristischen Prüfungen des preußischen Staates zurückgewiesen, weil seine Wiege
in der moor- und heidereichen Ecke des Münsterlandes gestanden hatte, die bei
der großen Teilung lion 1803 zuerst herzoglich arembergisch und hernach han¬
noverisch geworden war, überließ sich der junge Rechtskaudidat seiner ange-
bornen Neigung zur Litteratur mit dem größten Eifer, und vor sich selbst mit
dem besten Recht. Und da er (seit 1837) als junger Schriftsteller in Münster
lebte, wurde Annette seine Vertraute, seine Helferin, seine Warnerin und
schwankte ergötzlich genng hin und her zwischen der Teilnahme an ihres Schütz¬
lings litterarischen Anfängen und der Besorgnis, daß er im gewöhnlichen Lit-
teratentum untergehen könnte. Sie sah Wohl, daß er mit jugendlicher Frische
die Mühen des Dichterpfades überwand, mit Heiterkeit schmale Bissen aß und
im Thun und Lassen ein echter Gentleman blieb, aber sie hätte ihm gar zu
gern die schönste Sinekure von der Welt verschafft, in der er, bei stattlichen
Einnahmen, nach Herzenslust hätte dichten und erzählen können. Sie zermarterte
sich den Kopf und pochte an alle Thüren, um für ihren Freund eine gesicherte
Lebensstellung zu finden, aber ihre Güte war größer, als ihr Talent für der¬
gleichen Hintertreppenerfolge. Einen wirklichen Dienst leistete sie 1841 dem
jungen Schriftsteller dnrch die Einladung auf die alte Meersburg am Boden¬
see, wo der Gemahl ihrer ältern Schwester, der alte, gelehrte Freiherr Joseph
von Laßberg (Meister Sepp von Eppishusen), mit seiner kostbaren Bibliothek
und seinein Schatz mittelhochdeutscher Handschriften hauste. Schücking wurde
herzugerufen, um einen Katalog dieser unschätzbaren Sammlungen anzufertigen,
und erfreute sich so im Winter von 1841 auf 1842 eines noch lebhaftern
Verkehrs mit seiner Freundin, als da er allwöchentlich im Sommer und Winter
von Münster nach Rüschhaus gewandert oder Annette ans ein paar Wochen
zu Verwandten nach Münster gekommen war.

Aus der Zeit zwischen 1838 und 1842 sind nnr einige Briefe Schückings,
aber keine Annettens erhalten geblieben; diese setzen erst mit dem Frühling von
1842 ein, wo Schücking die Mcerslmrg wieder verlassen hatte, um Erzieher
der Enkel des Fürsten Wrede zu werden, des bairischen Marschalls, von dein
Napoleon I. das geflügelte Wort gesprochen hatte, daß er Wohl ein Graf von
seiner Mache, aber kein General von seiner Mache sei. Mit dem Jahre, das
Schücking in den fürstlich Wredischen Schlossern Ellingen und Mondsee ver¬
brachte, beginnen die vertraulich plaudernden Mitteilungen der Dichterin an den
jungen Freund. Die Anrede an Schücking (bald Sie, bald Dn, doch meist
das letztere), die wunderlich originellen Zärtlichkeitscmsdrücke, nach denen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/529>, abgerufen am 22.07.2024.