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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Annette von Droste-^nlshoff und Levin Schiicking

geben hatte, wo deutsche Katholiken von keinem "Zentrum" wußten, eine
Zeit, wo es gewissen Leuten passend erschien, den Geist und die poetische Kraft
Annelees in nrnjurem 8aei6we.i8 .kehn z-lormm in Anspruch zu nehmen, und wo
daher die Verknüpfung des Namens der westfälischen Dichterin mit dem Namen
Schückings ein Ärgernis gab. Da wurden denn Stimmen laut, die es über¬
haupt bezweifelten, daß Annette zu Schücking je in einem Freundschaftsverhält-
nisse gestanden habe, die wenigstens mit der größten Bestimmtheit versicherten,
die strenggläubige Dichterin habe dem lauen Katholiken zu rechter Zeit den
Stuhl vor die Thür gesetzt und ihm seine Heirat mit einer Protestantin nie¬
mals verziehen. Ja man ging so weit, Schücking das Recht zu einem aus
wahrhaft innerlichen Verkehr gestützten Urteil über Annette von Droste abzu¬
sprechen, und schämte sich selbst der Andeutung nicht, die edle Frau habe sich
die litterarischen Dienste des jungen Schriftstellers gefallen lassen, ohne ihm
jemals eine besondre Wertschätzung zu schenken. Daß man damit der stolzen und
wahrhaften Dichterin eine seelische Niedrigkeit ausann, deren sie schlechterdings
unfähig war, scheinen die betreffenden Herren nicht gemerkt zu haben. Da er¬
scheinen zur Ehrenrettung des Andenkens beider vornehmen und edeln Menschen,
zur vollständigen Aufhellung eines ebenso seltnen wie erfreulichen innigen Freund-
schaftsverhältnisses und zur Wiederbelebung vergangner Tage und Zustände ge¬
rade noch zur rechten Zeit die köstlichen und charakteristischen Briefe von
Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking (herausgegeben von
Theo Schücking; Leipzig, Fr. Will). Grunow, 18W), die ein entscheidendes
Zeugnis für die Art der Beziehungen zwischen der Dichterin und ihrem jungen
Freunde abgeben und zugleich ein prächtiges Stück Kulturgeschichte aus der
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts und ans ein paar von Weltverkehr ab¬
gelegnen Stätten deutschen Lebens darbieten.

Levin Schücking war (1814) siebzehn Jahre nach Annette von Droste (1797)
als der Sohn einer begabten Frau gehöre", die das von poetischem Leben er¬
füllte Edelfräulein in jungen Jahren als Meisterin und Vorbild verehrt hatte,
und der Annette, wie das schöne Gedicht "Katharina Schücking" bezeugt, auch
dann noch ein treues Andenken bewahrte, als sie sich wohl eingestehen mußte,
daß ihr Streben und Vermögen das Katharina Schückings weit übertraf. Frau
Schücking hatte noch ihren Sohn, als dieser 1830 das Gymnasium zu Münster
bezog, an Fräulein von Droste empfohlen, die damals mit ihrer Mutter auf
dem kleinen Edelhofe Rüschhaus bei Münster, dem Witwensitz der Familie von
Droste, lebte; kurze Zeit darauf war sie gestorben. Annette fühlte sich zu dem
begabten Knaben hingezogen, faßte eine Neigung für ihn, die sie als eine ganz
mütterliche angesehen wissen wollte, in der sich aber, wie aus diesen Briefen
hervorgeht, mütterliche Sorgfalt, schwesterliche Zärtlichkeit und etwas von der
Empfindung mischte, mit der ältere, unvermählt gebliebne Mädchen einem
jüngern Freunde, der ihnen aufrichtige Verehrung widmet, oft gegenüberstehen.


Annette von Droste-^nlshoff und Levin Schiicking

geben hatte, wo deutsche Katholiken von keinem „Zentrum" wußten, eine
Zeit, wo es gewissen Leuten passend erschien, den Geist und die poetische Kraft
Annelees in nrnjurem 8aei6we.i8 .kehn z-lormm in Anspruch zu nehmen, und wo
daher die Verknüpfung des Namens der westfälischen Dichterin mit dem Namen
Schückings ein Ärgernis gab. Da wurden denn Stimmen laut, die es über¬
haupt bezweifelten, daß Annette zu Schücking je in einem Freundschaftsverhält-
nisse gestanden habe, die wenigstens mit der größten Bestimmtheit versicherten,
die strenggläubige Dichterin habe dem lauen Katholiken zu rechter Zeit den
Stuhl vor die Thür gesetzt und ihm seine Heirat mit einer Protestantin nie¬
mals verziehen. Ja man ging so weit, Schücking das Recht zu einem aus
wahrhaft innerlichen Verkehr gestützten Urteil über Annette von Droste abzu¬
sprechen, und schämte sich selbst der Andeutung nicht, die edle Frau habe sich
die litterarischen Dienste des jungen Schriftstellers gefallen lassen, ohne ihm
jemals eine besondre Wertschätzung zu schenken. Daß man damit der stolzen und
wahrhaften Dichterin eine seelische Niedrigkeit ausann, deren sie schlechterdings
unfähig war, scheinen die betreffenden Herren nicht gemerkt zu haben. Da er¬
scheinen zur Ehrenrettung des Andenkens beider vornehmen und edeln Menschen,
zur vollständigen Aufhellung eines ebenso seltnen wie erfreulichen innigen Freund-
schaftsverhältnisses und zur Wiederbelebung vergangner Tage und Zustände ge¬
rade noch zur rechten Zeit die köstlichen und charakteristischen Briefe von
Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking (herausgegeben von
Theo Schücking; Leipzig, Fr. Will). Grunow, 18W), die ein entscheidendes
Zeugnis für die Art der Beziehungen zwischen der Dichterin und ihrem jungen
Freunde abgeben und zugleich ein prächtiges Stück Kulturgeschichte aus der
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts und ans ein paar von Weltverkehr ab¬
gelegnen Stätten deutschen Lebens darbieten.

Levin Schücking war (1814) siebzehn Jahre nach Annette von Droste (1797)
als der Sohn einer begabten Frau gehöre«, die das von poetischem Leben er¬
füllte Edelfräulein in jungen Jahren als Meisterin und Vorbild verehrt hatte,
und der Annette, wie das schöne Gedicht „Katharina Schücking" bezeugt, auch
dann noch ein treues Andenken bewahrte, als sie sich wohl eingestehen mußte,
daß ihr Streben und Vermögen das Katharina Schückings weit übertraf. Frau
Schücking hatte noch ihren Sohn, als dieser 1830 das Gymnasium zu Münster
bezog, an Fräulein von Droste empfohlen, die damals mit ihrer Mutter auf
dem kleinen Edelhofe Rüschhaus bei Münster, dem Witwensitz der Familie von
Droste, lebte; kurze Zeit darauf war sie gestorben. Annette fühlte sich zu dem
begabten Knaben hingezogen, faßte eine Neigung für ihn, die sie als eine ganz
mütterliche angesehen wissen wollte, in der sich aber, wie aus diesen Briefen
hervorgeht, mütterliche Sorgfalt, schwesterliche Zärtlichkeit und etwas von der
Empfindung mischte, mit der ältere, unvermählt gebliebne Mädchen einem
jüngern Freunde, der ihnen aufrichtige Verehrung widmet, oft gegenüberstehen.


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[0528] Annette von Droste-^nlshoff und Levin Schiicking geben hatte, wo deutsche Katholiken von keinem „Zentrum" wußten, eine Zeit, wo es gewissen Leuten passend erschien, den Geist und die poetische Kraft Annelees in nrnjurem 8aei6we.i8 .kehn z-lormm in Anspruch zu nehmen, und wo daher die Verknüpfung des Namens der westfälischen Dichterin mit dem Namen Schückings ein Ärgernis gab. Da wurden denn Stimmen laut, die es über¬ haupt bezweifelten, daß Annette zu Schücking je in einem Freundschaftsverhält- nisse gestanden habe, die wenigstens mit der größten Bestimmtheit versicherten, die strenggläubige Dichterin habe dem lauen Katholiken zu rechter Zeit den Stuhl vor die Thür gesetzt und ihm seine Heirat mit einer Protestantin nie¬ mals verziehen. Ja man ging so weit, Schücking das Recht zu einem aus wahrhaft innerlichen Verkehr gestützten Urteil über Annette von Droste abzu¬ sprechen, und schämte sich selbst der Andeutung nicht, die edle Frau habe sich die litterarischen Dienste des jungen Schriftstellers gefallen lassen, ohne ihm jemals eine besondre Wertschätzung zu schenken. Daß man damit der stolzen und wahrhaften Dichterin eine seelische Niedrigkeit ausann, deren sie schlechterdings unfähig war, scheinen die betreffenden Herren nicht gemerkt zu haben. Da er¬ scheinen zur Ehrenrettung des Andenkens beider vornehmen und edeln Menschen, zur vollständigen Aufhellung eines ebenso seltnen wie erfreulichen innigen Freund- schaftsverhältnisses und zur Wiederbelebung vergangner Tage und Zustände ge¬ rade noch zur rechten Zeit die köstlichen und charakteristischen Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking (herausgegeben von Theo Schücking; Leipzig, Fr. Will). Grunow, 18W), die ein entscheidendes Zeugnis für die Art der Beziehungen zwischen der Dichterin und ihrem jungen Freunde abgeben und zugleich ein prächtiges Stück Kulturgeschichte aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts und ans ein paar von Weltverkehr ab¬ gelegnen Stätten deutschen Lebens darbieten. Levin Schücking war (1814) siebzehn Jahre nach Annette von Droste (1797) als der Sohn einer begabten Frau gehöre«, die das von poetischem Leben er¬ füllte Edelfräulein in jungen Jahren als Meisterin und Vorbild verehrt hatte, und der Annette, wie das schöne Gedicht „Katharina Schücking" bezeugt, auch dann noch ein treues Andenken bewahrte, als sie sich wohl eingestehen mußte, daß ihr Streben und Vermögen das Katharina Schückings weit übertraf. Frau Schücking hatte noch ihren Sohn, als dieser 1830 das Gymnasium zu Münster bezog, an Fräulein von Droste empfohlen, die damals mit ihrer Mutter auf dem kleinen Edelhofe Rüschhaus bei Münster, dem Witwensitz der Familie von Droste, lebte; kurze Zeit darauf war sie gestorben. Annette fühlte sich zu dem begabten Knaben hingezogen, faßte eine Neigung für ihn, die sie als eine ganz mütterliche angesehen wissen wollte, in der sich aber, wie aus diesen Briefen hervorgeht, mütterliche Sorgfalt, schwesterliche Zärtlichkeit und etwas von der Empfindung mischte, mit der ältere, unvermählt gebliebne Mädchen einem jüngern Freunde, der ihnen aufrichtige Verehrung widmet, oft gegenüberstehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/528>, abgerufen am 22.07.2024.