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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Annette von T>rosee-Hülshoff und Levin Schücking

le westfälische Dichterin Annette von Droste-Hülshoff gehört zu
den wenigen Glücklichen der neuern deutschen Litteratur, deren
Nuhm in den Jahrzehnten nach ihrem Hinscheiden beständig ge¬
wachsen ist, deren beste Gedichte nicht bloß in hundertundeiner
Anthologie weitergedruckt werde", sondern die auch als Persön¬
lichkeiten, als interessante und fesselnde Menschennaturen in der Phantasie ihrer
Leser fortleben. Wie Annette Droste bis auf den heutigen Tag die originellste
und kräftigste aller deutschen Dichterinnen geblieben und die kühne Anschaulich¬
keit und warme Innigkeit ihrer poetischen Erzählungen und Lebensbilder noch
unübertroffen ist, so hat ihre menschliche Erscheinung, die Besonderheit ihres
Wesens, ein wenig wohl auch die Besonderheit ihrer Verhältnisse, derart ans
den engen Kreis ihrer persönlichen Freunde gewirkt, daß diese ihr Leben lang
die treueste Erinnerung an sie bewahrt und diese Erinnerung dem nachlebenden
Geschlecht überliefert haben. Unter diesen Freunden nahm der 1885 verstorbne
Schriftsteller Levin Schücking, der gleichfalls auf altem stistmünsterischem
Boden geborne Landsmann der Freiin von Droste, insofern den ersten Rang
ein, als er am unermüdlichsten und pietätvollsten für die Erhaltung des An¬
denkens an die Dichterin gesorgt hat. Mit der Herausgabe der "Letzten Gaben,"
mit der ersten Sammlung ihrer Werke, mit dem vortrefflichen kleinen Lebens¬
bilde "Annette von Droste" (Hannover, 1862 und 1872), in vielen Aufsätzen,
ü> den besten Kapiteln seiner eignen "Lebenserinnerungen" (Breslau, 188")
hat Schücking dem Herzensdrange genügt, immer und immer wieder an die
früh Verlorne Freundin seiner Jugend zu erinnern. Ans seinen Mitteilungen
ist das Bild Annelees, wie es vor unsern Augen steht, zum größten Teil er¬
wachsen, seine feine Würdigung ihrer poetischen Verdienste hallt in unsern
Litteraturgeschichten nach, vor allen andern war er es, der zu gleicher
Zeit den tiefen Zusammenhang der Dichterin mit ihre", Heimatboden und
ihre eigentümliche Empsinonngs- und Urteilsfreiheit begreifen lehrte. Jahre¬
lang hat auch niemand daran gedacht, ihm das Recht auf diesen der deutschen
Litteratur und der deutschen Bildung geleisteten Dienst zu bestreiten. Dann
kam aber eine Zeit, wo deu spezifisch ultramontanen Kreisen von Münster und
Paderborn die Erinnerung ""bequem wurde, daß es überhaupt Jahrzehnte ge-




Annette von T>rosee-Hülshoff und Levin Schücking

le westfälische Dichterin Annette von Droste-Hülshoff gehört zu
den wenigen Glücklichen der neuern deutschen Litteratur, deren
Nuhm in den Jahrzehnten nach ihrem Hinscheiden beständig ge¬
wachsen ist, deren beste Gedichte nicht bloß in hundertundeiner
Anthologie weitergedruckt werde», sondern die auch als Persön¬
lichkeiten, als interessante und fesselnde Menschennaturen in der Phantasie ihrer
Leser fortleben. Wie Annette Droste bis auf den heutigen Tag die originellste
und kräftigste aller deutschen Dichterinnen geblieben und die kühne Anschaulich¬
keit und warme Innigkeit ihrer poetischen Erzählungen und Lebensbilder noch
unübertroffen ist, so hat ihre menschliche Erscheinung, die Besonderheit ihres
Wesens, ein wenig wohl auch die Besonderheit ihrer Verhältnisse, derart ans
den engen Kreis ihrer persönlichen Freunde gewirkt, daß diese ihr Leben lang
die treueste Erinnerung an sie bewahrt und diese Erinnerung dem nachlebenden
Geschlecht überliefert haben. Unter diesen Freunden nahm der 1885 verstorbne
Schriftsteller Levin Schücking, der gleichfalls auf altem stistmünsterischem
Boden geborne Landsmann der Freiin von Droste, insofern den ersten Rang
ein, als er am unermüdlichsten und pietätvollsten für die Erhaltung des An¬
denkens an die Dichterin gesorgt hat. Mit der Herausgabe der „Letzten Gaben,"
mit der ersten Sammlung ihrer Werke, mit dem vortrefflichen kleinen Lebens¬
bilde „Annette von Droste" (Hannover, 1862 und 1872), in vielen Aufsätzen,
ü> den besten Kapiteln seiner eignen „Lebenserinnerungen" (Breslau, 188«)
hat Schücking dem Herzensdrange genügt, immer und immer wieder an die
früh Verlorne Freundin seiner Jugend zu erinnern. Ans seinen Mitteilungen
ist das Bild Annelees, wie es vor unsern Augen steht, zum größten Teil er¬
wachsen, seine feine Würdigung ihrer poetischen Verdienste hallt in unsern
Litteraturgeschichten nach, vor allen andern war er es, der zu gleicher
Zeit den tiefen Zusammenhang der Dichterin mit ihre», Heimatboden und
ihre eigentümliche Empsinonngs- und Urteilsfreiheit begreifen lehrte. Jahre¬
lang hat auch niemand daran gedacht, ihm das Recht auf diesen der deutschen
Litteratur und der deutschen Bildung geleisteten Dienst zu bestreiten. Dann
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Paderborn die Erinnerung »»bequem wurde, daß es überhaupt Jahrzehnte ge-


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[0527] [Abbildung] Annette von T>rosee-Hülshoff und Levin Schücking le westfälische Dichterin Annette von Droste-Hülshoff gehört zu den wenigen Glücklichen der neuern deutschen Litteratur, deren Nuhm in den Jahrzehnten nach ihrem Hinscheiden beständig ge¬ wachsen ist, deren beste Gedichte nicht bloß in hundertundeiner Anthologie weitergedruckt werde», sondern die auch als Persön¬ lichkeiten, als interessante und fesselnde Menschennaturen in der Phantasie ihrer Leser fortleben. Wie Annette Droste bis auf den heutigen Tag die originellste und kräftigste aller deutschen Dichterinnen geblieben und die kühne Anschaulich¬ keit und warme Innigkeit ihrer poetischen Erzählungen und Lebensbilder noch unübertroffen ist, so hat ihre menschliche Erscheinung, die Besonderheit ihres Wesens, ein wenig wohl auch die Besonderheit ihrer Verhältnisse, derart ans den engen Kreis ihrer persönlichen Freunde gewirkt, daß diese ihr Leben lang die treueste Erinnerung an sie bewahrt und diese Erinnerung dem nachlebenden Geschlecht überliefert haben. Unter diesen Freunden nahm der 1885 verstorbne Schriftsteller Levin Schücking, der gleichfalls auf altem stistmünsterischem Boden geborne Landsmann der Freiin von Droste, insofern den ersten Rang ein, als er am unermüdlichsten und pietätvollsten für die Erhaltung des An¬ denkens an die Dichterin gesorgt hat. Mit der Herausgabe der „Letzten Gaben," mit der ersten Sammlung ihrer Werke, mit dem vortrefflichen kleinen Lebens¬ bilde „Annette von Droste" (Hannover, 1862 und 1872), in vielen Aufsätzen, ü> den besten Kapiteln seiner eignen „Lebenserinnerungen" (Breslau, 188«) hat Schücking dem Herzensdrange genügt, immer und immer wieder an die früh Verlorne Freundin seiner Jugend zu erinnern. Ans seinen Mitteilungen ist das Bild Annelees, wie es vor unsern Augen steht, zum größten Teil er¬ wachsen, seine feine Würdigung ihrer poetischen Verdienste hallt in unsern Litteraturgeschichten nach, vor allen andern war er es, der zu gleicher Zeit den tiefen Zusammenhang der Dichterin mit ihre», Heimatboden und ihre eigentümliche Empsinonngs- und Urteilsfreiheit begreifen lehrte. Jahre¬ lang hat auch niemand daran gedacht, ihm das Recht auf diesen der deutschen Litteratur und der deutschen Bildung geleisteten Dienst zu bestreiten. Dann kam aber eine Zeit, wo deu spezifisch ultramontanen Kreisen von Münster und Paderborn die Erinnerung »»bequem wurde, daß es überhaupt Jahrzehnte ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/527>, abgerufen am 22.07.2024.