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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Der Arzt und das Unfallgesetz

alles geschehen, was nötig ist, um einen geregelten Betrieb in der hier
angedeuteten Richtung herbeizuführen? Ich glaube, daß wir in Übereiustnn-
mnng mit allen, die sich um die Ausführung des Gesetzes bemüht haben und
noch bemühen, diese Frage mit einem entschiednen Nein beantworten dürfen.
Die Gründe, die die Ausführung des Gesetzes erschweren, sind mancherlei, der
Hauptgrund aber, weshalb der technische Teil des Gesetzes so unvollkommen
geworden ist, liegt in der Mißachtung dessen, der sowohl bei dem Ausbau der
Allsführungsbestimmungen, als auch bei dem Betriebe, wie er sich entwickelt
hat, der eigentliche Sachverständige ist: in der Mißachtung des Arztes. Wenn
ich mich eines Vergleichs bedienen darf, so ist das Gesetz in seinen Aussührnngs-
bestimmuugeu so gemacht, als wenn man einen schwierigen, komplizirten Bau
errichten "ud bei Beginn desselben den Baumeister beiseite schieben wollte.

Es muß leider gesagt werden, daß sich diese Mißachtung des Arztes wie
ein roter Faden selbst durch die Verhandlungen über das Gesetz zieht. Hat
man doch sogar versucht, ihm einen Teil der hier besprochnen ersten Aus¬
gabe: der Behandlung des Verletzten, streitig zu machen. Bekanntlich haben
sich eine Anzahl Krankenkassen nicht gescheut, die Heilversnche an den Kranken
und Verletzten außer vou dem Arzt auch noch von dem "Naturarzt" aus¬
führen zu lassen, indem sie es fast in das persönliche Belieben des Einzelnen
gestellt wissen wollten, ob er dem Arzt oder dem Quacksalber sein Vertrauen
schenken wolle. Wenn sich nun auch dagegen nichts sagen läßt in dem Falle,
wo ein Privatmann in einer Krankheit, die ihm bei ärztlicher Behandlung
nicht rasch genug geheilt wird, einen Naturarzt, eine kluge Frau, den Schäfer
oder irgend einen andern Quacksalber ....... denn Quacksalber müssen wir
jeden nennen, der ohne die Fähigkeit, eine Krankheit zu erkennen, kuriren
will -- zu seinem Ratgeber wählt und aus seinem Beutel bezahlt, so steht es
doch ganz anders, wenn eine vom Staat geschaffne Genossenschaft den Arzt in
dieser Weise an die Wand zu drücken versucht. Deshalb ist es auch tief zu
bedauern, daß vom Negiernngstisch aus diesem Versuche nicht mit der nötigen
Energie entgegengetreten worden ist. Für den modernen Staat giebt es nur
einen Menschen, dem Heilversuche zustehen; dieser eine Mensch ist der Arzt,
den der Staat zu diesem Zweck erzieht. Warum giebt er sich soviel Mühe
mit der Vervollkommnung der Einrichtungen zur Ausbildung der Ärzte?
Warum verlangt er, daß der, der heilen will, strenge Prüfungen in seiner
Kunst und Wissenschaft ablege?

Für das Gesetz selbst ist ja nun freilich gesorgt, denn es bedarf in allen
Fällen von Verletzung des Arztes, um sachverständige Gutachten zu erlangen.
Von keiner Seite ist versucht worden, dem Arzte dieses Geschäft abzunehmen
und es etwa auch dem Quacksalber zu übertragen. Wohl aber hat man für
die Mehrheit der Verletzungen den ärztlichen Befund lind das sachverständige
Gutachten auf das geringste Maß beschränkt. Dieser Teil der Ausführung


Der Arzt und das Unfallgesetz

alles geschehen, was nötig ist, um einen geregelten Betrieb in der hier
angedeuteten Richtung herbeizuführen? Ich glaube, daß wir in Übereiustnn-
mnng mit allen, die sich um die Ausführung des Gesetzes bemüht haben und
noch bemühen, diese Frage mit einem entschiednen Nein beantworten dürfen.
Die Gründe, die die Ausführung des Gesetzes erschweren, sind mancherlei, der
Hauptgrund aber, weshalb der technische Teil des Gesetzes so unvollkommen
geworden ist, liegt in der Mißachtung dessen, der sowohl bei dem Ausbau der
Allsführungsbestimmungen, als auch bei dem Betriebe, wie er sich entwickelt
hat, der eigentliche Sachverständige ist: in der Mißachtung des Arztes. Wenn
ich mich eines Vergleichs bedienen darf, so ist das Gesetz in seinen Aussührnngs-
bestimmuugeu so gemacht, als wenn man einen schwierigen, komplizirten Bau
errichten »ud bei Beginn desselben den Baumeister beiseite schieben wollte.

Es muß leider gesagt werden, daß sich diese Mißachtung des Arztes wie
ein roter Faden selbst durch die Verhandlungen über das Gesetz zieht. Hat
man doch sogar versucht, ihm einen Teil der hier besprochnen ersten Aus¬
gabe: der Behandlung des Verletzten, streitig zu machen. Bekanntlich haben
sich eine Anzahl Krankenkassen nicht gescheut, die Heilversnche an den Kranken
und Verletzten außer vou dem Arzt auch noch von dem „Naturarzt" aus¬
führen zu lassen, indem sie es fast in das persönliche Belieben des Einzelnen
gestellt wissen wollten, ob er dem Arzt oder dem Quacksalber sein Vertrauen
schenken wolle. Wenn sich nun auch dagegen nichts sagen läßt in dem Falle,
wo ein Privatmann in einer Krankheit, die ihm bei ärztlicher Behandlung
nicht rasch genug geheilt wird, einen Naturarzt, eine kluge Frau, den Schäfer
oder irgend einen andern Quacksalber ....... denn Quacksalber müssen wir
jeden nennen, der ohne die Fähigkeit, eine Krankheit zu erkennen, kuriren
will — zu seinem Ratgeber wählt und aus seinem Beutel bezahlt, so steht es
doch ganz anders, wenn eine vom Staat geschaffne Genossenschaft den Arzt in
dieser Weise an die Wand zu drücken versucht. Deshalb ist es auch tief zu
bedauern, daß vom Negiernngstisch aus diesem Versuche nicht mit der nötigen
Energie entgegengetreten worden ist. Für den modernen Staat giebt es nur
einen Menschen, dem Heilversuche zustehen; dieser eine Mensch ist der Arzt,
den der Staat zu diesem Zweck erzieht. Warum giebt er sich soviel Mühe
mit der Vervollkommnung der Einrichtungen zur Ausbildung der Ärzte?
Warum verlangt er, daß der, der heilen will, strenge Prüfungen in seiner
Kunst und Wissenschaft ablege?

Für das Gesetz selbst ist ja nun freilich gesorgt, denn es bedarf in allen
Fällen von Verletzung des Arztes, um sachverständige Gutachten zu erlangen.
Von keiner Seite ist versucht worden, dem Arzte dieses Geschäft abzunehmen
und es etwa auch dem Quacksalber zu übertragen. Wohl aber hat man für
die Mehrheit der Verletzungen den ärztlichen Befund lind das sachverständige
Gutachten auf das geringste Maß beschränkt. Dieser Teil der Ausführung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/515>, abgerufen am 22.07.2024.