Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Arzt und das Unfallgosotz

eine gewisse Böswilligkeit, die ihre Freude darin findet, die Geuosseuschafts-
kasse so viel und so lauge als möglich zu schädigen, sind ja oft allerdings die
Ursache der Simulation. Noch öfter, wie wir zur Ehre der Arbeiter hier
hervorheben wollen, handelt es sich um bloße Übertreibung. Der Verletzte sucht
sich einen Reutenautcil zu sichern, und während er angeblich feiert, treibt er
für sich andres Arbeit. Während eigentliche Simulmiten, d. h. solche, die
gar keine Beschwerden haben, im ganzen nicht sehr zahlreich sind, giebt es
zwischen ihnen und den Übertreiben, eine Menge Zwischenstufe", und so kommt
es, daß ein ganz sicheres Urteil darüber, ob der Betreffende nur übertreibe,
oder ob er ein vollkommner Simnlant sei, unter Umständen außerordentlich
schwer, ja unmöglich sein kann. Bei der größern Anzahl von Verletzten ver¬
läuft der Unfall mit seinen Folgen normal, d. h. die Verletzung mit ihre"
folgen ist beseitigt vielleicht schon während der dreizehn Wochen, die der
Krankenkasse zufallen, oder die Arbeitsunfähigkeit des Verletzten über diese Zeit
hinaus ist so zweifellos, daß Schwierigkeiten überhaupt nicht erwachsen. Der
Arbeiter kehrt hier von selbst zur Arbeit zurück. Das sind für die Genossenschaft
die Fälle, die wenigstens mit ganz geringer Leistung des Arztes abgemacht
werden können. Ganz anders steht es mit den Faulenzern, den Übertreibern
und den Simulanten. Sie machen der Genossenschaft schwere Arbeit und ver¬
ursachen ihr schwere Kosten. Nur der Arzt kann schon während der Behand¬
lung des Verletzten dafür sorgen, daß die Zahl dieser Gesellen möglichst be¬
schränkt werde, nur der Arzt ist imstande, durch sachverständiges Aufdecken der
Wahrheit die Genossenschaft von den Lügnern und Betrügern, die an ihren
Kräften zehren, zu bewahren.

Was endlich die dritte Aufgabe betrifft, so ist es auch hier wieder Sache
des Arztes, über den Schaden, den die Verletzung angerichtet hat, das Schlu߬
urteil abzugeben und die Invalidität und ihren Grad zu bestimmen. In letzter
Beziehung ist freilich der Arzt nicht mehr ganz kompetent. Er ist wohl im¬
stande, den Grad der Invalidität für die Arbeit, die der Verletzte trieb, als
er die Verletzung erlitt, zu bestimmen, er ist imstande, bei dem Handarbeiter
zu beurteilen, wie viel er eingebüßt hat an Arbeitskraft für die bestimmte Arbeit,
wenn ihm ein Finger verloren gegangen oder steif geworden ist, er vermag zu
bestimmen, wieviel der Lausbursche durch eine Verletzung am Fuße eingebüßt
hat, aber es kommt ihm nicht oder wenigstens ihm nicht allein zu, zu be¬
stimmen, was der Handarbeiter treiben kann, wenn ihm eine Hand oder ein
Finger geschädigt worden ist, wodurch der Lausbursche seineu Verdienst steigern,
den Grad seiner Invalidität herabsetzen kann, wenn die Füße in seinem frühern
Beruf den Dienst versagen. Das ist mehr die Sache gewerblicher Sachver¬
ständigen und meist nur auf Grund der örtlichen Verhältnisse richtig zu ent¬
scheiden.

Wir dürfen nun die Frage stellen: Ist seit der Einführung des Gesetzes


Der Arzt und das Unfallgosotz

eine gewisse Böswilligkeit, die ihre Freude darin findet, die Geuosseuschafts-
kasse so viel und so lauge als möglich zu schädigen, sind ja oft allerdings die
Ursache der Simulation. Noch öfter, wie wir zur Ehre der Arbeiter hier
hervorheben wollen, handelt es sich um bloße Übertreibung. Der Verletzte sucht
sich einen Reutenautcil zu sichern, und während er angeblich feiert, treibt er
für sich andres Arbeit. Während eigentliche Simulmiten, d. h. solche, die
gar keine Beschwerden haben, im ganzen nicht sehr zahlreich sind, giebt es
zwischen ihnen und den Übertreiben, eine Menge Zwischenstufe«, und so kommt
es, daß ein ganz sicheres Urteil darüber, ob der Betreffende nur übertreibe,
oder ob er ein vollkommner Simnlant sei, unter Umständen außerordentlich
schwer, ja unmöglich sein kann. Bei der größern Anzahl von Verletzten ver¬
läuft der Unfall mit seinen Folgen normal, d. h. die Verletzung mit ihre»
folgen ist beseitigt vielleicht schon während der dreizehn Wochen, die der
Krankenkasse zufallen, oder die Arbeitsunfähigkeit des Verletzten über diese Zeit
hinaus ist so zweifellos, daß Schwierigkeiten überhaupt nicht erwachsen. Der
Arbeiter kehrt hier von selbst zur Arbeit zurück. Das sind für die Genossenschaft
die Fälle, die wenigstens mit ganz geringer Leistung des Arztes abgemacht
werden können. Ganz anders steht es mit den Faulenzern, den Übertreibern
und den Simulanten. Sie machen der Genossenschaft schwere Arbeit und ver¬
ursachen ihr schwere Kosten. Nur der Arzt kann schon während der Behand¬
lung des Verletzten dafür sorgen, daß die Zahl dieser Gesellen möglichst be¬
schränkt werde, nur der Arzt ist imstande, durch sachverständiges Aufdecken der
Wahrheit die Genossenschaft von den Lügnern und Betrügern, die an ihren
Kräften zehren, zu bewahren.

Was endlich die dritte Aufgabe betrifft, so ist es auch hier wieder Sache
des Arztes, über den Schaden, den die Verletzung angerichtet hat, das Schlu߬
urteil abzugeben und die Invalidität und ihren Grad zu bestimmen. In letzter
Beziehung ist freilich der Arzt nicht mehr ganz kompetent. Er ist wohl im¬
stande, den Grad der Invalidität für die Arbeit, die der Verletzte trieb, als
er die Verletzung erlitt, zu bestimmen, er ist imstande, bei dem Handarbeiter
zu beurteilen, wie viel er eingebüßt hat an Arbeitskraft für die bestimmte Arbeit,
wenn ihm ein Finger verloren gegangen oder steif geworden ist, er vermag zu
bestimmen, wieviel der Lausbursche durch eine Verletzung am Fuße eingebüßt
hat, aber es kommt ihm nicht oder wenigstens ihm nicht allein zu, zu be¬
stimmen, was der Handarbeiter treiben kann, wenn ihm eine Hand oder ein
Finger geschädigt worden ist, wodurch der Lausbursche seineu Verdienst steigern,
den Grad seiner Invalidität herabsetzen kann, wenn die Füße in seinem frühern
Beruf den Dienst versagen. Das ist mehr die Sache gewerblicher Sachver¬
ständigen und meist nur auf Grund der örtlichen Verhältnisse richtig zu ent¬
scheiden.

Wir dürfen nun die Frage stellen: Ist seit der Einführung des Gesetzes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0514" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216238"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Arzt und das Unfallgosotz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1923" prev="#ID_1922"> eine gewisse Böswilligkeit, die ihre Freude darin findet, die Geuosseuschafts-<lb/>
kasse so viel und so lauge als möglich zu schädigen, sind ja oft allerdings die<lb/>
Ursache der Simulation. Noch öfter, wie wir zur Ehre der Arbeiter hier<lb/>
hervorheben wollen, handelt es sich um bloße Übertreibung. Der Verletzte sucht<lb/>
sich einen Reutenautcil zu sichern, und während er angeblich feiert, treibt er<lb/>
für sich andres Arbeit. Während eigentliche Simulmiten, d. h. solche, die<lb/>
gar keine Beschwerden haben, im ganzen nicht sehr zahlreich sind, giebt es<lb/>
zwischen ihnen und den Übertreiben, eine Menge Zwischenstufe«, und so kommt<lb/>
es, daß ein ganz sicheres Urteil darüber, ob der Betreffende nur übertreibe,<lb/>
oder ob er ein vollkommner Simnlant sei, unter Umständen außerordentlich<lb/>
schwer, ja unmöglich sein kann. Bei der größern Anzahl von Verletzten ver¬<lb/>
läuft der Unfall mit seinen Folgen normal, d. h. die Verletzung mit ihre»<lb/>
folgen ist beseitigt vielleicht schon während der dreizehn Wochen, die der<lb/>
Krankenkasse zufallen, oder die Arbeitsunfähigkeit des Verletzten über diese Zeit<lb/>
hinaus ist so zweifellos, daß Schwierigkeiten überhaupt nicht erwachsen. Der<lb/>
Arbeiter kehrt hier von selbst zur Arbeit zurück. Das sind für die Genossenschaft<lb/>
die Fälle, die wenigstens mit ganz geringer Leistung des Arztes abgemacht<lb/>
werden können. Ganz anders steht es mit den Faulenzern, den Übertreibern<lb/>
und den Simulanten. Sie machen der Genossenschaft schwere Arbeit und ver¬<lb/>
ursachen ihr schwere Kosten. Nur der Arzt kann schon während der Behand¬<lb/>
lung des Verletzten dafür sorgen, daß die Zahl dieser Gesellen möglichst be¬<lb/>
schränkt werde, nur der Arzt ist imstande, durch sachverständiges Aufdecken der<lb/>
Wahrheit die Genossenschaft von den Lügnern und Betrügern, die an ihren<lb/>
Kräften zehren, zu bewahren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1924"> Was endlich die dritte Aufgabe betrifft, so ist es auch hier wieder Sache<lb/>
des Arztes, über den Schaden, den die Verletzung angerichtet hat, das Schlu߬<lb/>
urteil abzugeben und die Invalidität und ihren Grad zu bestimmen. In letzter<lb/>
Beziehung ist freilich der Arzt nicht mehr ganz kompetent. Er ist wohl im¬<lb/>
stande, den Grad der Invalidität für die Arbeit, die der Verletzte trieb, als<lb/>
er die Verletzung erlitt, zu bestimmen, er ist imstande, bei dem Handarbeiter<lb/>
zu beurteilen, wie viel er eingebüßt hat an Arbeitskraft für die bestimmte Arbeit,<lb/>
wenn ihm ein Finger verloren gegangen oder steif geworden ist, er vermag zu<lb/>
bestimmen, wieviel der Lausbursche durch eine Verletzung am Fuße eingebüßt<lb/>
hat, aber es kommt ihm nicht oder wenigstens ihm nicht allein zu, zu be¬<lb/>
stimmen, was der Handarbeiter treiben kann, wenn ihm eine Hand oder ein<lb/>
Finger geschädigt worden ist, wodurch der Lausbursche seineu Verdienst steigern,<lb/>
den Grad seiner Invalidität herabsetzen kann, wenn die Füße in seinem frühern<lb/>
Beruf den Dienst versagen. Das ist mehr die Sache gewerblicher Sachver¬<lb/>
ständigen und meist nur auf Grund der örtlichen Verhältnisse richtig zu ent¬<lb/>
scheiden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1925" next="#ID_1926"> Wir dürfen nun die Frage stellen: Ist seit der Einführung des Gesetzes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0514] Der Arzt und das Unfallgosotz eine gewisse Böswilligkeit, die ihre Freude darin findet, die Geuosseuschafts- kasse so viel und so lauge als möglich zu schädigen, sind ja oft allerdings die Ursache der Simulation. Noch öfter, wie wir zur Ehre der Arbeiter hier hervorheben wollen, handelt es sich um bloße Übertreibung. Der Verletzte sucht sich einen Reutenautcil zu sichern, und während er angeblich feiert, treibt er für sich andres Arbeit. Während eigentliche Simulmiten, d. h. solche, die gar keine Beschwerden haben, im ganzen nicht sehr zahlreich sind, giebt es zwischen ihnen und den Übertreiben, eine Menge Zwischenstufe«, und so kommt es, daß ein ganz sicheres Urteil darüber, ob der Betreffende nur übertreibe, oder ob er ein vollkommner Simnlant sei, unter Umständen außerordentlich schwer, ja unmöglich sein kann. Bei der größern Anzahl von Verletzten ver¬ läuft der Unfall mit seinen Folgen normal, d. h. die Verletzung mit ihre» folgen ist beseitigt vielleicht schon während der dreizehn Wochen, die der Krankenkasse zufallen, oder die Arbeitsunfähigkeit des Verletzten über diese Zeit hinaus ist so zweifellos, daß Schwierigkeiten überhaupt nicht erwachsen. Der Arbeiter kehrt hier von selbst zur Arbeit zurück. Das sind für die Genossenschaft die Fälle, die wenigstens mit ganz geringer Leistung des Arztes abgemacht werden können. Ganz anders steht es mit den Faulenzern, den Übertreibern und den Simulanten. Sie machen der Genossenschaft schwere Arbeit und ver¬ ursachen ihr schwere Kosten. Nur der Arzt kann schon während der Behand¬ lung des Verletzten dafür sorgen, daß die Zahl dieser Gesellen möglichst be¬ schränkt werde, nur der Arzt ist imstande, durch sachverständiges Aufdecken der Wahrheit die Genossenschaft von den Lügnern und Betrügern, die an ihren Kräften zehren, zu bewahren. Was endlich die dritte Aufgabe betrifft, so ist es auch hier wieder Sache des Arztes, über den Schaden, den die Verletzung angerichtet hat, das Schlu߬ urteil abzugeben und die Invalidität und ihren Grad zu bestimmen. In letzter Beziehung ist freilich der Arzt nicht mehr ganz kompetent. Er ist wohl im¬ stande, den Grad der Invalidität für die Arbeit, die der Verletzte trieb, als er die Verletzung erlitt, zu bestimmen, er ist imstande, bei dem Handarbeiter zu beurteilen, wie viel er eingebüßt hat an Arbeitskraft für die bestimmte Arbeit, wenn ihm ein Finger verloren gegangen oder steif geworden ist, er vermag zu bestimmen, wieviel der Lausbursche durch eine Verletzung am Fuße eingebüßt hat, aber es kommt ihm nicht oder wenigstens ihm nicht allein zu, zu be¬ stimmen, was der Handarbeiter treiben kann, wenn ihm eine Hand oder ein Finger geschädigt worden ist, wodurch der Lausbursche seineu Verdienst steigern, den Grad seiner Invalidität herabsetzen kann, wenn die Füße in seinem frühern Beruf den Dienst versagen. Das ist mehr die Sache gewerblicher Sachver¬ ständigen und meist nur auf Grund der örtlichen Verhältnisse richtig zu ent¬ scheiden. Wir dürfen nun die Frage stellen: Ist seit der Einführung des Gesetzes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/514
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/514>, abgerufen am 22.07.2024.