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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Der Arzt und das Unfallgesetz

hatte also nicht seine Tuberkulose, wohl aber seine tuberkulöse Hand durch den
Stoß davongetragen, und nur dadurch war er krank und invalid geworden.
Ganz in derselben Art entstehen schwere Knochenentzündnngen junger Personen
mit nachfolgendem Knochenfraß als Folge eines Stoßes, und eine ganze Reihe
anderweitiger Erkrankungen lassen ähnliche Erklärungen zu.

Wenn es also nicht ausführbar erscheint, daß die Genossenschaft alle die
ihr später zur Last fallenden sofort selbst in Behandlung nimmt, so würden
wir es doch für vorteilhaft halten, daß sie wenigstens die zweifellosen schweren
Verletzungen unter ihre Obhut nehme. Dadurch würde nicht nur eine plan¬
mäßigere Behandlung eingeleitet werden, sondern die Genossenschaft hätte es
auch in der Hand, die nötigen Schritte zu thun, daß sofort der objektive Be¬
fund über die frische Verletzung aufgenommen würde. Wir kommen auf diesen
für das Urteil in vielen Fällen außerordentlich wichtigen Punkt noch zurück.

Was nnn die Behandlung selbst betrifft, so muß unbedingt verlangt
werden, daß sie von sachverständigen Chirurgen geleitet werde. Die Zahl der
Verletzten teilt sich dann in zwei Gruppen: in solche, die im eignen Hause
durch angenommne Ärzte behandelt, und in solche, die dem Krankenhause
zugeführt werden. Die erste Gruppe wird wesentlich aus den leichter Ver¬
letzten bestehen. Da wird wohl nnn den Ärzten und ihrem Wissen nicht
zu nahe getreten sein, wenn wir den Wunsch und die Hoffnung aussprechen,
daß die Gruppe der im Krankenhause zu behandelnden Verletzten immer größer
werde. Die Privatbehandlung hat bei nur einigermaßen schweren Verletzungen
mit so zahlreichen Hindernissen zu kämpfen, die bei der Krankenhausbehandlung
von selbst wegfallen, daß wir fest überzeugt sind, der Verletzte und die Ge¬
nossenschaft werde von der Zunahme der Krankenhansbehandlung für frische
Verletzungen nur Vorteil ziehen.

Würde es nun einer größern Anzahl besondrer durch die Verufsgeuossen-
schcift gegründeter und verwalteter Häuser für die Behandlung solcher Kranken
bedürfen? Wir glaube", diese Frage verneinen zu können. Abgesehen von
einzelnen Betrieben, bei denen sich die Zahl der Verletzten und Kranken an
einem Orte derart häuft, daß eigne Häuser für ihre Unterkunft nötig sind
-- man denke an die Knappschaftskrankenhäuscr in Schlesien, Westfalen u. s.w. --,
kommen die Verletzungen zum großen Teil an sehr verschiednen Orten vor,
und die jetzt bestehenden größern Krankenhäuser mit gut geschulten ärztlichem
und Wartepersvnal genügen vollkommen zur Aufnahme und sachgemäßen Be¬
handlung der Verletzten. Und doch taucht der Wunsch nach eignen Heilstätten
immer wieder auf, und mau muß auch ohne weiteres zugeben, daß er seiue
Berechtigung hat, namentlich bei Verletzungen, deren Folgen sich sehr lange
hinziehen, und bei Menschen, die durch alle modernen Mittel, die gesunkene
Energie wie die Unthätigkeit der Nerven und Muskeln, die Steifheit der Ge¬
lenke zu beseitigen, wieder arbeitsfähig gemacht werden müssen. Macht man


Der Arzt und das Unfallgesetz

hatte also nicht seine Tuberkulose, wohl aber seine tuberkulöse Hand durch den
Stoß davongetragen, und nur dadurch war er krank und invalid geworden.
Ganz in derselben Art entstehen schwere Knochenentzündnngen junger Personen
mit nachfolgendem Knochenfraß als Folge eines Stoßes, und eine ganze Reihe
anderweitiger Erkrankungen lassen ähnliche Erklärungen zu.

Wenn es also nicht ausführbar erscheint, daß die Genossenschaft alle die
ihr später zur Last fallenden sofort selbst in Behandlung nimmt, so würden
wir es doch für vorteilhaft halten, daß sie wenigstens die zweifellosen schweren
Verletzungen unter ihre Obhut nehme. Dadurch würde nicht nur eine plan¬
mäßigere Behandlung eingeleitet werden, sondern die Genossenschaft hätte es
auch in der Hand, die nötigen Schritte zu thun, daß sofort der objektive Be¬
fund über die frische Verletzung aufgenommen würde. Wir kommen auf diesen
für das Urteil in vielen Fällen außerordentlich wichtigen Punkt noch zurück.

Was nnn die Behandlung selbst betrifft, so muß unbedingt verlangt
werden, daß sie von sachverständigen Chirurgen geleitet werde. Die Zahl der
Verletzten teilt sich dann in zwei Gruppen: in solche, die im eignen Hause
durch angenommne Ärzte behandelt, und in solche, die dem Krankenhause
zugeführt werden. Die erste Gruppe wird wesentlich aus den leichter Ver¬
letzten bestehen. Da wird wohl nnn den Ärzten und ihrem Wissen nicht
zu nahe getreten sein, wenn wir den Wunsch und die Hoffnung aussprechen,
daß die Gruppe der im Krankenhause zu behandelnden Verletzten immer größer
werde. Die Privatbehandlung hat bei nur einigermaßen schweren Verletzungen
mit so zahlreichen Hindernissen zu kämpfen, die bei der Krankenhausbehandlung
von selbst wegfallen, daß wir fest überzeugt sind, der Verletzte und die Ge¬
nossenschaft werde von der Zunahme der Krankenhansbehandlung für frische
Verletzungen nur Vorteil ziehen.

Würde es nun einer größern Anzahl besondrer durch die Verufsgeuossen-
schcift gegründeter und verwalteter Häuser für die Behandlung solcher Kranken
bedürfen? Wir glaube», diese Frage verneinen zu können. Abgesehen von
einzelnen Betrieben, bei denen sich die Zahl der Verletzten und Kranken an
einem Orte derart häuft, daß eigne Häuser für ihre Unterkunft nötig sind
— man denke an die Knappschaftskrankenhäuscr in Schlesien, Westfalen u. s.w. —,
kommen die Verletzungen zum großen Teil an sehr verschiednen Orten vor,
und die jetzt bestehenden größern Krankenhäuser mit gut geschulten ärztlichem
und Wartepersvnal genügen vollkommen zur Aufnahme und sachgemäßen Be¬
handlung der Verletzten. Und doch taucht der Wunsch nach eignen Heilstätten
immer wieder auf, und mau muß auch ohne weiteres zugeben, daß er seiue
Berechtigung hat, namentlich bei Verletzungen, deren Folgen sich sehr lange
hinziehen, und bei Menschen, die durch alle modernen Mittel, die gesunkene
Energie wie die Unthätigkeit der Nerven und Muskeln, die Steifheit der Ge¬
lenke zu beseitigen, wieder arbeitsfähig gemacht werden müssen. Macht man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/512>, abgerufen am 22.07.2024.