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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Anders wäre es gar nicht denkbar, daß fort und fort solche Scharen von halben
und Nierteltalenten aus den Akademien in die Welt geschickt werden. Die
Ausstellungen von Prüfungsarbeiten sind mitunter in dieser Beziehung sehr
lehrreich. Produktive Naturen bringen es schwer zu dem Grade der Objek¬
tivität, der für einen guten Lehrer unentbehrlich ist. Jeder hält die Richtung,
den Stil, worin er selbst arbeitet, für besonders, wenn nicht einzig der Pflege
würdig, und sucht unwillkürlich die Schüler in dieselbe Bahn zu leiten. Da
werden nun Kompvsitionsaufgabeu erteilt, je nachdem Antike oder Romantik
die Parole ist: Odysseus und die Freier, Cäsars Tod, Hagar in der Wüste,
Krimhildens Rache, Barbarossa in Mailand, Karl V. und Tizian oder der¬
gleichen. Was hilft es dir, dn armer Jüngling, daß in dir vielleicht das
Zeug zu einem Callot, Chodowiecki, Ludwig Richter oder Adolf Menzel steckt?
Du mußt in großem Stil und Format komponiren, sieh zu, wie du damit
zustande kommst! Ähnlich ist es in der Landschaft u. s. w. Und doch sind
die Arten der Begabung noch unendlich viel mannichfaltiger. A ist der ge-
borne Kartouzeichner, B sieht nur Farbe, C hat ein ausgesprochnes Talent
für die Skizze, macht aber, je mehr er die Entwürfe ausführt, die Sache immer
schlechter, D ist ein Humorist, E ein Satiriker, und so fort durchs ganze
Alphabet, beinahe soviel "Spezialitäten" wie Menschen. Und das wird meist
alles über einen Kamm geschoren, die Verhältnisse lassen es nicht anders zu.

Dagegen lehnt sich denn von Zeit zu Zeit die strebsame Künstlerjugeud
"uf und erklärt allem Konventionellen, Erstarrten, Pedantischen, mit einem
Worte: dem akademischen Wesen den Krieg. So entflohen Overbeck nebst Ge¬
nossen der klassizistischen Langweile Fttgers in Wien, so wanderten die jungen
Berliner mit Wilhelm Schadow nach Düsseldorf, so strömen Jünger aus allen
Himmelsgegenden nach München, um -- malen zu lernen. Und eine eben
solche Erscheinung ist ja auch das Auftreten der neuesten Richtungen in der
Malerei. Ihre Anhänger geberden sich revolutionärer, anspruchsvoller, über¬
stürzen und überkugeln sich: das liegt in der Zeit. Aber zu Grunde liegt
doch dem oft abgeschmackten oder lächerlichen Treiben, der Thorheit, aus dem
vollen Menschenleben nur das Uninteressante oder Widerwärtige als male¬
rischen Vorwurf herausgreifen, das berechtigte Verlangen nach Licht, Luft,
Freiheit, Natur. Und schon jetzt melden sich die Anzeichen dasür, daß
die Gährung die unreifen und unreinen Stoffe ausscheiden, die Bewegung sich
klären wolle. Auch dieser Prozeß vollzieht sich wieder neben den Akademien
und gegen sie, die in herkömmlicher Kurzsichtigkeit meinen, eine unbequeme Be¬
wegung durch Jgnoriren oder Vervehmung beseitigen zu können.

Was ist dabei zu thun? Soll sich der Staat, der für den Unterricht nach
allen Seiten hin Fürsorge trifft, nur der Kunst gegenüber völlig teilnahmlos
verhalten, gleichgiltig alles gehn lassen, wie es will? Das ist keineswegs unsre
Meinung. Der Staat kann und soll mit seineu Macht- und Geldmitteln aller-


Anders wäre es gar nicht denkbar, daß fort und fort solche Scharen von halben
und Nierteltalenten aus den Akademien in die Welt geschickt werden. Die
Ausstellungen von Prüfungsarbeiten sind mitunter in dieser Beziehung sehr
lehrreich. Produktive Naturen bringen es schwer zu dem Grade der Objek¬
tivität, der für einen guten Lehrer unentbehrlich ist. Jeder hält die Richtung,
den Stil, worin er selbst arbeitet, für besonders, wenn nicht einzig der Pflege
würdig, und sucht unwillkürlich die Schüler in dieselbe Bahn zu leiten. Da
werden nun Kompvsitionsaufgabeu erteilt, je nachdem Antike oder Romantik
die Parole ist: Odysseus und die Freier, Cäsars Tod, Hagar in der Wüste,
Krimhildens Rache, Barbarossa in Mailand, Karl V. und Tizian oder der¬
gleichen. Was hilft es dir, dn armer Jüngling, daß in dir vielleicht das
Zeug zu einem Callot, Chodowiecki, Ludwig Richter oder Adolf Menzel steckt?
Du mußt in großem Stil und Format komponiren, sieh zu, wie du damit
zustande kommst! Ähnlich ist es in der Landschaft u. s. w. Und doch sind
die Arten der Begabung noch unendlich viel mannichfaltiger. A ist der ge-
borne Kartouzeichner, B sieht nur Farbe, C hat ein ausgesprochnes Talent
für die Skizze, macht aber, je mehr er die Entwürfe ausführt, die Sache immer
schlechter, D ist ein Humorist, E ein Satiriker, und so fort durchs ganze
Alphabet, beinahe soviel „Spezialitäten" wie Menschen. Und das wird meist
alles über einen Kamm geschoren, die Verhältnisse lassen es nicht anders zu.

Dagegen lehnt sich denn von Zeit zu Zeit die strebsame Künstlerjugeud
«uf und erklärt allem Konventionellen, Erstarrten, Pedantischen, mit einem
Worte: dem akademischen Wesen den Krieg. So entflohen Overbeck nebst Ge¬
nossen der klassizistischen Langweile Fttgers in Wien, so wanderten die jungen
Berliner mit Wilhelm Schadow nach Düsseldorf, so strömen Jünger aus allen
Himmelsgegenden nach München, um — malen zu lernen. Und eine eben
solche Erscheinung ist ja auch das Auftreten der neuesten Richtungen in der
Malerei. Ihre Anhänger geberden sich revolutionärer, anspruchsvoller, über¬
stürzen und überkugeln sich: das liegt in der Zeit. Aber zu Grunde liegt
doch dem oft abgeschmackten oder lächerlichen Treiben, der Thorheit, aus dem
vollen Menschenleben nur das Uninteressante oder Widerwärtige als male¬
rischen Vorwurf herausgreifen, das berechtigte Verlangen nach Licht, Luft,
Freiheit, Natur. Und schon jetzt melden sich die Anzeichen dasür, daß
die Gährung die unreifen und unreinen Stoffe ausscheiden, die Bewegung sich
klären wolle. Auch dieser Prozeß vollzieht sich wieder neben den Akademien
und gegen sie, die in herkömmlicher Kurzsichtigkeit meinen, eine unbequeme Be¬
wegung durch Jgnoriren oder Vervehmung beseitigen zu können.

Was ist dabei zu thun? Soll sich der Staat, der für den Unterricht nach
allen Seiten hin Fürsorge trifft, nur der Kunst gegenüber völlig teilnahmlos
verhalten, gleichgiltig alles gehn lassen, wie es will? Das ist keineswegs unsre
Meinung. Der Staat kann und soll mit seineu Macht- und Geldmitteln aller-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/485>, abgerufen am 22.07.2024.