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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Jugend

Moderluft, aus der seine Gestalten und Bilder geboren sind. Das ist ja der
Geist, den wir bekämpfen im Namen der deutschen Kunst und Sitte, der Gift-
Hauch, der uns nach und nach soviel Liebliches und Holdes zerstört hat, der
unser Volkstum schändet und fremde Mistbeetpflanzen in unsern Garten setzt.
Nein, die "Jugend" ist kein deutsches Stück! Wer das behauptet, kennt den
deutschen Geist nicht. An einer Stelle wird uns der Unterschied deutschen und
"modernen" Empfindens besonders klar. "Wie kannst du so etwas thun?"
fragt der alte Pfarrer ganz fassungslos den Sünder. Und dieser antwortet
ruhig: "Ich bin ihr ja so furchtbar gut!" Also darum! Weil er sie liebt,
muß er sie verderben! Wir Deutschen achten, was wir lieben; wir schirmen
und schützen es, wir halten die Hände über einem teuern Haupte, daß ihm
kein Schade geschieht. Dem Jungen Halbes sind das veraltete Vorurteile:
Ich liebe sie, srgo muß ich sie haben! Eine höchst einfache und bequeme
Moral und eine so "natürliche," denn im Tierreich gilt sie unbestritten, genau
so handelt der brünstige Eber. Ich aber sage: Pfui! Ich wollte in ein
Theater gehen, nicht in einen Schweinestall!

Unsre Jugend ist leider von den Krankheiten dieses absterbenden Jahr¬
hunderts nicht unberührt geblieben. Sie zeigt Auswüchse von mancherlei Art,
und wer als "Dichter" das Bedürfnis fühlt, im Schmutze zu waten, der mag
sich solcher Auswüchse bemächtigen und Gesinnungsgenossen damit erbauen.
Wir aber, die wir unser Volkstum lieben und hochhalten, die wir die Kräfte
kennen, die trotz mancher verderblichen Einflüsse und trotz manches faulen Triebs
den deutscheu Baum doch immer nen mit frischem Grün und herrlichen Blüte"
schmücken, wir lassen nicht zu, daß man ein Sumpfgewächs wie diese "Jugend"
als deutsch bezeichne. Wir erheben feierlichen Einspruch gegen diese Verun¬
glimpfung deutscheu Geistes und deutscher Poesie. Wäre, was die "Jugend"
beseelt, der deutsche Geist der Gegenwart, dann hätten wir keine Zukunft mehr.
Dann wären wir zur Ernte reif, und unsre Garben würden fremde Schnitter
sammeln, und der Sturm würde über die Stoppeln fegen. Aber so weit ist
es noch nicht, und dahin wird es auch nicht kommen! Im Gegenteil, mehr
denn je regt sich der alte deutsche Hauch über dem deutschen Saatfeld. Mehr
und mehr besinnt sich das deutsche Wesen auf sich selber, und immer kräftiger
hebt es die Schwingen. Es wartet auch eiues Sturmes, der es aufnimmt
und in einem neuen Lenz durch die Lande trägt. Aber dieser Sturm wird
dann reine Luft bringen. Er wird die deutsche Flur von allem Fremden,
schwülen, Ekeln, von allen Zersetzungsstoffe" und Seuchenerregeru säubern
und wird uns anch von den Übeln Dünsten der großen Kloake befreien, die
sich moderne Dichtung nennt und die deutsche Kunst um ihren guten Ruf ge¬
bracht hat.__




Jugend

Moderluft, aus der seine Gestalten und Bilder geboren sind. Das ist ja der
Geist, den wir bekämpfen im Namen der deutschen Kunst und Sitte, der Gift-
Hauch, der uns nach und nach soviel Liebliches und Holdes zerstört hat, der
unser Volkstum schändet und fremde Mistbeetpflanzen in unsern Garten setzt.
Nein, die „Jugend" ist kein deutsches Stück! Wer das behauptet, kennt den
deutschen Geist nicht. An einer Stelle wird uns der Unterschied deutschen und
„modernen" Empfindens besonders klar. „Wie kannst du so etwas thun?"
fragt der alte Pfarrer ganz fassungslos den Sünder. Und dieser antwortet
ruhig: „Ich bin ihr ja so furchtbar gut!" Also darum! Weil er sie liebt,
muß er sie verderben! Wir Deutschen achten, was wir lieben; wir schirmen
und schützen es, wir halten die Hände über einem teuern Haupte, daß ihm
kein Schade geschieht. Dem Jungen Halbes sind das veraltete Vorurteile:
Ich liebe sie, srgo muß ich sie haben! Eine höchst einfache und bequeme
Moral und eine so „natürliche," denn im Tierreich gilt sie unbestritten, genau
so handelt der brünstige Eber. Ich aber sage: Pfui! Ich wollte in ein
Theater gehen, nicht in einen Schweinestall!

Unsre Jugend ist leider von den Krankheiten dieses absterbenden Jahr¬
hunderts nicht unberührt geblieben. Sie zeigt Auswüchse von mancherlei Art,
und wer als „Dichter" das Bedürfnis fühlt, im Schmutze zu waten, der mag
sich solcher Auswüchse bemächtigen und Gesinnungsgenossen damit erbauen.
Wir aber, die wir unser Volkstum lieben und hochhalten, die wir die Kräfte
kennen, die trotz mancher verderblichen Einflüsse und trotz manches faulen Triebs
den deutscheu Baum doch immer nen mit frischem Grün und herrlichen Blüte»
schmücken, wir lassen nicht zu, daß man ein Sumpfgewächs wie diese „Jugend"
als deutsch bezeichne. Wir erheben feierlichen Einspruch gegen diese Verun¬
glimpfung deutscheu Geistes und deutscher Poesie. Wäre, was die „Jugend"
beseelt, der deutsche Geist der Gegenwart, dann hätten wir keine Zukunft mehr.
Dann wären wir zur Ernte reif, und unsre Garben würden fremde Schnitter
sammeln, und der Sturm würde über die Stoppeln fegen. Aber so weit ist
es noch nicht, und dahin wird es auch nicht kommen! Im Gegenteil, mehr
denn je regt sich der alte deutsche Hauch über dem deutschen Saatfeld. Mehr
und mehr besinnt sich das deutsche Wesen auf sich selber, und immer kräftiger
hebt es die Schwingen. Es wartet auch eiues Sturmes, der es aufnimmt
und in einem neuen Lenz durch die Lande trägt. Aber dieser Sturm wird
dann reine Luft bringen. Er wird die deutsche Flur von allem Fremden,
schwülen, Ekeln, von allen Zersetzungsstoffe» und Seuchenerregeru säubern
und wird uns anch von den Übeln Dünsten der großen Kloake befreien, die
sich moderne Dichtung nennt und die deutsche Kunst um ihren guten Ruf ge¬
bracht hat.__




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[0480] Jugend Moderluft, aus der seine Gestalten und Bilder geboren sind. Das ist ja der Geist, den wir bekämpfen im Namen der deutschen Kunst und Sitte, der Gift- Hauch, der uns nach und nach soviel Liebliches und Holdes zerstört hat, der unser Volkstum schändet und fremde Mistbeetpflanzen in unsern Garten setzt. Nein, die „Jugend" ist kein deutsches Stück! Wer das behauptet, kennt den deutschen Geist nicht. An einer Stelle wird uns der Unterschied deutschen und „modernen" Empfindens besonders klar. „Wie kannst du so etwas thun?" fragt der alte Pfarrer ganz fassungslos den Sünder. Und dieser antwortet ruhig: „Ich bin ihr ja so furchtbar gut!" Also darum! Weil er sie liebt, muß er sie verderben! Wir Deutschen achten, was wir lieben; wir schirmen und schützen es, wir halten die Hände über einem teuern Haupte, daß ihm kein Schade geschieht. Dem Jungen Halbes sind das veraltete Vorurteile: Ich liebe sie, srgo muß ich sie haben! Eine höchst einfache und bequeme Moral und eine so „natürliche," denn im Tierreich gilt sie unbestritten, genau so handelt der brünstige Eber. Ich aber sage: Pfui! Ich wollte in ein Theater gehen, nicht in einen Schweinestall! Unsre Jugend ist leider von den Krankheiten dieses absterbenden Jahr¬ hunderts nicht unberührt geblieben. Sie zeigt Auswüchse von mancherlei Art, und wer als „Dichter" das Bedürfnis fühlt, im Schmutze zu waten, der mag sich solcher Auswüchse bemächtigen und Gesinnungsgenossen damit erbauen. Wir aber, die wir unser Volkstum lieben und hochhalten, die wir die Kräfte kennen, die trotz mancher verderblichen Einflüsse und trotz manches faulen Triebs den deutscheu Baum doch immer nen mit frischem Grün und herrlichen Blüte» schmücken, wir lassen nicht zu, daß man ein Sumpfgewächs wie diese „Jugend" als deutsch bezeichne. Wir erheben feierlichen Einspruch gegen diese Verun¬ glimpfung deutscheu Geistes und deutscher Poesie. Wäre, was die „Jugend" beseelt, der deutsche Geist der Gegenwart, dann hätten wir keine Zukunft mehr. Dann wären wir zur Ernte reif, und unsre Garben würden fremde Schnitter sammeln, und der Sturm würde über die Stoppeln fegen. Aber so weit ist es noch nicht, und dahin wird es auch nicht kommen! Im Gegenteil, mehr denn je regt sich der alte deutsche Hauch über dem deutschen Saatfeld. Mehr und mehr besinnt sich das deutsche Wesen auf sich selber, und immer kräftiger hebt es die Schwingen. Es wartet auch eiues Sturmes, der es aufnimmt und in einem neuen Lenz durch die Lande trägt. Aber dieser Sturm wird dann reine Luft bringen. Er wird die deutsche Flur von allem Fremden, schwülen, Ekeln, von allen Zersetzungsstoffe» und Seuchenerregeru säubern und wird uns anch von den Übeln Dünsten der großen Kloake befreien, die sich moderne Dichtung nennt und die deutsche Kunst um ihren guten Ruf ge¬ bracht hat.__

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/480>, abgerufen am 22.07.2024.