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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Jugend

qnisiten, die wir längst als den eisernen Bestand dieser Sorte von Stücken
kennen, begegnen uns anch wieder in der "Jugend": uneheliche Geburt, Ver¬
erbung, Verführung, Fall. Der Ehebruch fehlt offenbar nur deshalb, weil über¬
haupt keine Ehe oorkvimnt, die gebrochen werden konnte. Also alles in allem: ein
ganz gewöhnliches, gemeines, ja -- hier thut das Fremdwort gute Dienste --
ganz ordinäres Stück "jungdeutschen" Stiles, nicht den Nickel wert, den der
Theaterzettel kostet. Und wir könnten die Akten darüber schließe", wenn nicht
das merkwürdige Urteil, hier sei nationale Poesie, hier wehe deutscher Geist,
zu einer Aussprache über diesen Punkt nötigte.

Wo steckt in der "Jugend" der deutsche Geist? Worin soll er sich äußern?
Etwa in jenem Zornausbruch, worin der Pfarrer den Kaplan für den Fall
des Mädchens mit verantwortlich macht, da die hinter seinem Rücken gespon¬
nenen Klosterintriguen und die dadurch hervvrgerufne Gewissensbedrängung
dem armen Opfer die Versuchung erhöht hätten? Nun ja, der ehrliche Alte
redet ein kräftiges Deutsch mit dem Popolski, aber das ist doch ein einzelner
Auftritt, der dem Kernpunkt der Sache fernliegt. Deu Kernpunkt bildet das
Liebesdrama des jungen Paares. Und da erwäge man: einem Bürschlein, das
eben mit der Schule fertig ist und im Rausche der Freiheit die Welt im Rosen-
schimmer vor sich liegen sieht, tritt eine Jungfrau in den Weg, hold und
lieblich, das Kleinod des Mannes, der den Jungen als Gast unter seinem
Dache willkommen heißt, der sich in arglosem Vertrauen an dem Wohlgefallen
freut, das die beiden blühenden Menschenkinder an einander finden. Diesen
deutschen Jüngling ergreift das Entzücken der ersten Liebe, die ganze selige
Wonne eines liebevollen Herzens, und -- anbetend sinkt er nieder und gelobt
in tausend heißen Schwüren der Erkornen ewige Treue? Oder er geht still
einher, seufzt zum Monde ans und sucht in sehnsuchtsvollen Reimen seiner
Gefühle Herr zu werden? Oder er faßt heilige Entschlüsse, gut und wacker
zu sein, um die Geliebte zu verdienen? O nein; sondern wie einen: alten
Lüstling flackern ihm die Augen, geile Triebe schießen in ihm empor, und wie
man felle Dirnen überredet, so thut er ihr. Und das ist deutsch! deutsch
empfunden, gedacht, gedichtet! Ich glaube, Schiller, als er in seinen unsterb¬
lichen Versen die junge erste Liebe besang, hat besser gewußt, was deutsch ist.
"Wie ein Gebild aus Himmelshöhn" -- so erscheint dem deutschen Jüngling
das Mädchen. Heilig, unverletzlich dünkt sie ihm. Er ahnt im Weibe ein
süßes, seliges Geheimnis und blickt mit frommer Schelk zu ihr empor. Die
Liebe durch bebt, ergreift, erschüttert ihn, reinigt ihm Herz und Gedanken, läutert,
klärt und reift ihn zum Manne.

Deutsche Jünglinge, erhebt euch Wider den Verleumder, der euch hinnb-
zieht in den Sumpf gemeiner Lust! Steht auf Wider den, der die deutsche
Jungfrau besudelt, indem er ihr Ehre und Keuschheit abspricht! Sagt ihm,
beiß die deutsche Jugend noch Ideale hat, die sie weit hinaussehen über die


Jugend

qnisiten, die wir längst als den eisernen Bestand dieser Sorte von Stücken
kennen, begegnen uns anch wieder in der „Jugend": uneheliche Geburt, Ver¬
erbung, Verführung, Fall. Der Ehebruch fehlt offenbar nur deshalb, weil über¬
haupt keine Ehe oorkvimnt, die gebrochen werden konnte. Also alles in allem: ein
ganz gewöhnliches, gemeines, ja — hier thut das Fremdwort gute Dienste —
ganz ordinäres Stück „jungdeutschen" Stiles, nicht den Nickel wert, den der
Theaterzettel kostet. Und wir könnten die Akten darüber schließe», wenn nicht
das merkwürdige Urteil, hier sei nationale Poesie, hier wehe deutscher Geist,
zu einer Aussprache über diesen Punkt nötigte.

Wo steckt in der „Jugend" der deutsche Geist? Worin soll er sich äußern?
Etwa in jenem Zornausbruch, worin der Pfarrer den Kaplan für den Fall
des Mädchens mit verantwortlich macht, da die hinter seinem Rücken gespon¬
nenen Klosterintriguen und die dadurch hervvrgerufne Gewissensbedrängung
dem armen Opfer die Versuchung erhöht hätten? Nun ja, der ehrliche Alte
redet ein kräftiges Deutsch mit dem Popolski, aber das ist doch ein einzelner
Auftritt, der dem Kernpunkt der Sache fernliegt. Deu Kernpunkt bildet das
Liebesdrama des jungen Paares. Und da erwäge man: einem Bürschlein, das
eben mit der Schule fertig ist und im Rausche der Freiheit die Welt im Rosen-
schimmer vor sich liegen sieht, tritt eine Jungfrau in den Weg, hold und
lieblich, das Kleinod des Mannes, der den Jungen als Gast unter seinem
Dache willkommen heißt, der sich in arglosem Vertrauen an dem Wohlgefallen
freut, das die beiden blühenden Menschenkinder an einander finden. Diesen
deutschen Jüngling ergreift das Entzücken der ersten Liebe, die ganze selige
Wonne eines liebevollen Herzens, und — anbetend sinkt er nieder und gelobt
in tausend heißen Schwüren der Erkornen ewige Treue? Oder er geht still
einher, seufzt zum Monde ans und sucht in sehnsuchtsvollen Reimen seiner
Gefühle Herr zu werden? Oder er faßt heilige Entschlüsse, gut und wacker
zu sein, um die Geliebte zu verdienen? O nein; sondern wie einen: alten
Lüstling flackern ihm die Augen, geile Triebe schießen in ihm empor, und wie
man felle Dirnen überredet, so thut er ihr. Und das ist deutsch! deutsch
empfunden, gedacht, gedichtet! Ich glaube, Schiller, als er in seinen unsterb¬
lichen Versen die junge erste Liebe besang, hat besser gewußt, was deutsch ist.
«Wie ein Gebild aus Himmelshöhn" — so erscheint dem deutschen Jüngling
das Mädchen. Heilig, unverletzlich dünkt sie ihm. Er ahnt im Weibe ein
süßes, seliges Geheimnis und blickt mit frommer Schelk zu ihr empor. Die
Liebe durch bebt, ergreift, erschüttert ihn, reinigt ihm Herz und Gedanken, läutert,
klärt und reift ihn zum Manne.

Deutsche Jünglinge, erhebt euch Wider den Verleumder, der euch hinnb-
zieht in den Sumpf gemeiner Lust! Steht auf Wider den, der die deutsche
Jungfrau besudelt, indem er ihr Ehre und Keuschheit abspricht! Sagt ihm,
beiß die deutsche Jugend noch Ideale hat, die sie weit hinaussehen über die


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[0479] Jugend qnisiten, die wir längst als den eisernen Bestand dieser Sorte von Stücken kennen, begegnen uns anch wieder in der „Jugend": uneheliche Geburt, Ver¬ erbung, Verführung, Fall. Der Ehebruch fehlt offenbar nur deshalb, weil über¬ haupt keine Ehe oorkvimnt, die gebrochen werden konnte. Also alles in allem: ein ganz gewöhnliches, gemeines, ja — hier thut das Fremdwort gute Dienste — ganz ordinäres Stück „jungdeutschen" Stiles, nicht den Nickel wert, den der Theaterzettel kostet. Und wir könnten die Akten darüber schließe», wenn nicht das merkwürdige Urteil, hier sei nationale Poesie, hier wehe deutscher Geist, zu einer Aussprache über diesen Punkt nötigte. Wo steckt in der „Jugend" der deutsche Geist? Worin soll er sich äußern? Etwa in jenem Zornausbruch, worin der Pfarrer den Kaplan für den Fall des Mädchens mit verantwortlich macht, da die hinter seinem Rücken gespon¬ nenen Klosterintriguen und die dadurch hervvrgerufne Gewissensbedrängung dem armen Opfer die Versuchung erhöht hätten? Nun ja, der ehrliche Alte redet ein kräftiges Deutsch mit dem Popolski, aber das ist doch ein einzelner Auftritt, der dem Kernpunkt der Sache fernliegt. Deu Kernpunkt bildet das Liebesdrama des jungen Paares. Und da erwäge man: einem Bürschlein, das eben mit der Schule fertig ist und im Rausche der Freiheit die Welt im Rosen- schimmer vor sich liegen sieht, tritt eine Jungfrau in den Weg, hold und lieblich, das Kleinod des Mannes, der den Jungen als Gast unter seinem Dache willkommen heißt, der sich in arglosem Vertrauen an dem Wohlgefallen freut, das die beiden blühenden Menschenkinder an einander finden. Diesen deutschen Jüngling ergreift das Entzücken der ersten Liebe, die ganze selige Wonne eines liebevollen Herzens, und — anbetend sinkt er nieder und gelobt in tausend heißen Schwüren der Erkornen ewige Treue? Oder er geht still einher, seufzt zum Monde ans und sucht in sehnsuchtsvollen Reimen seiner Gefühle Herr zu werden? Oder er faßt heilige Entschlüsse, gut und wacker zu sein, um die Geliebte zu verdienen? O nein; sondern wie einen: alten Lüstling flackern ihm die Augen, geile Triebe schießen in ihm empor, und wie man felle Dirnen überredet, so thut er ihr. Und das ist deutsch! deutsch empfunden, gedacht, gedichtet! Ich glaube, Schiller, als er in seinen unsterb¬ lichen Versen die junge erste Liebe besang, hat besser gewußt, was deutsch ist. «Wie ein Gebild aus Himmelshöhn" — so erscheint dem deutschen Jüngling das Mädchen. Heilig, unverletzlich dünkt sie ihm. Er ahnt im Weibe ein süßes, seliges Geheimnis und blickt mit frommer Schelk zu ihr empor. Die Liebe durch bebt, ergreift, erschüttert ihn, reinigt ihm Herz und Gedanken, läutert, klärt und reift ihn zum Manne. Deutsche Jünglinge, erhebt euch Wider den Verleumder, der euch hinnb- zieht in den Sumpf gemeiner Lust! Steht auf Wider den, der die deutsche Jungfrau besudelt, indem er ihr Ehre und Keuschheit abspricht! Sagt ihm, beiß die deutsche Jugend noch Ideale hat, die sie weit hinaussehen über die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/479>, abgerufen am 25.08.2024.