Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.Bildung Verwertung zum Geldmacheu zu denken ist; wertvoll ist die Erkenntnis, die In der Wirklichkeit machen sich widerstrebende Tendenzen gegen die For¬ Das alte Ideal der Demokratie ist: gleiche Erziehung, wenigstens gleicher Ich glaube nicht, daß die Zeit kommt, die diesem Ideal Erfüllung bringt. Bildung Verwertung zum Geldmacheu zu denken ist; wertvoll ist die Erkenntnis, die In der Wirklichkeit machen sich widerstrebende Tendenzen gegen die For¬ Das alte Ideal der Demokratie ist: gleiche Erziehung, wenigstens gleicher Ich glaube nicht, daß die Zeit kommt, die diesem Ideal Erfüllung bringt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216196"/> <fw type="header" place="top"> Bildung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1715" prev="#ID_1714"> Verwertung zum Geldmacheu zu denken ist; wertvoll ist die Erkenntnis, die<lb/> ihren Besitzer einerseits in der Ausfassung und Lösung der praktischen Auf¬<lb/> gaben fördert, die ihm das Leben im Beruf und in der Familie, im Staat<lb/> und in der Gesellschaft stellt, andrerseits ihn zur Betrachtung, zur Philosophie<lb/> aufgelegter und geschickter macht. Was unter den gegebnen Umständen weder<lb/> das eine noch das andre leistet, ist ihm weniger wert als nichts: „Was man<lb/> nicht nützt, ist eine schwere Last."</p><lb/> <p xml:id="ID_1716"> In der Wirklichkeit machen sich widerstrebende Tendenzen gegen die For¬<lb/> derung der Theorie geltend. Auf der einen Seite verwirft die demokratische<lb/> Doktrin grundsätzlich die Rücksicht auf die gesellschaftlichen und Verufsunter-<lb/> schiede, auf der ander» Seite pflegt sozialaristokratische Praxis gegen die<lb/> Forderungen und Weigerungen der Natur überaus harthörig zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1717"> Das alte Ideal der Demokratie ist: gleiche Erziehung, wenigstens gleicher<lb/> Schulunterricht für alle, ohne Unterschied des Berufs und der wirtschaftlichen<lb/> Lebensstellung. Gegenwärtig hat sich die Sozialdemokratie diese Forderung<lb/> angeeignet; sie verspricht sich seine Erfüllung allerdings erst von der Auf¬<lb/> hebung der Klassenunterschiede selbst und ist so konsequent, zugleich die Be¬<lb/> rufsunterschiede als künftig wegfallend anzusehen: in der vollkommnen Gesell¬<lb/> schaft der Zukunft wird jeder zu allen Aufgaben geschickt sein und. je ucich<lb/> Bedarf auf Zeit verwendet werden. Das gilt insbesondre auch von den bis¬<lb/> herigen Regieruugsberufeu; die Aufgabe der Leitung bedarf nicht besondrer<lb/> und besonders vorgebildeter Personen, sie wird — so versichern die Zukunfts-<lb/> philosophen — bei allen der Reihe nach umgehen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1718" next="#ID_1719"> Ich glaube nicht, daß die Zeit kommt, die diesem Ideal Erfüllung bringt.<lb/> Die Aufhebung der Berufsdisferenzirnng konnte nicht ohne schwerste Schädi¬<lb/> gung der Leistungsfähigkeit der Gesellschaft geschehen; die erstaunliche Kraft<lb/> und Produktivität der gesellschaftlich organisirten Arbeit beruht eben darauf,<lb/> daß die Einzelnen zu differenzirten und spezifizirten Organen ausgebildet werden.<lb/> Auch werden berufsmüßige Leiter und Regierer mit besondrer technischer Vor¬<lb/> bildung nicht entbehrlich werden. Was man als ein mögliches Ziel ins Ange<lb/> fassen kann, das ist: die Answcchl für den Beruf allein oder doch wesentlich<lb/> von der natürlichen Begabung der Einzelnen abhängig zu machen. Jetzt ist<lb/> sie wesentlich abhängig von der gesellschaftlichen Stellung der Eltern. Den<lb/> besitzenden Klassen fallen die leitenden Stellungen im wirtschaftlichen Leben<lb/> und die Regiernngsberufe im Staat als erbliche Ausstattung zu, während die<lb/> nichtbesitzenden von dem Wettbewerb thatsächlich so gut wie ausgeschlossen<lb/> sind; ihnen ist Handarbeit als erblicher Beruf zugewiesen. Und das hat denn<lb/> zur Folge, daß die Forderungen der Natur uicht selten schwer gekränkt werden.<lb/> Unfähige werden mit unendlicher Mühe notdürftig abgerichtet und treten in<lb/> die leitenden Stellen, wo sie nichts leisten, und wo ihnen selber nicht wohl<lb/> wird. Und andrerseits wird solchen, die zu großer Thätigkeit innere Be-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0472]
Bildung
Verwertung zum Geldmacheu zu denken ist; wertvoll ist die Erkenntnis, die
ihren Besitzer einerseits in der Ausfassung und Lösung der praktischen Auf¬
gaben fördert, die ihm das Leben im Beruf und in der Familie, im Staat
und in der Gesellschaft stellt, andrerseits ihn zur Betrachtung, zur Philosophie
aufgelegter und geschickter macht. Was unter den gegebnen Umständen weder
das eine noch das andre leistet, ist ihm weniger wert als nichts: „Was man
nicht nützt, ist eine schwere Last."
In der Wirklichkeit machen sich widerstrebende Tendenzen gegen die For¬
derung der Theorie geltend. Auf der einen Seite verwirft die demokratische
Doktrin grundsätzlich die Rücksicht auf die gesellschaftlichen und Verufsunter-
schiede, auf der ander» Seite pflegt sozialaristokratische Praxis gegen die
Forderungen und Weigerungen der Natur überaus harthörig zu sein.
Das alte Ideal der Demokratie ist: gleiche Erziehung, wenigstens gleicher
Schulunterricht für alle, ohne Unterschied des Berufs und der wirtschaftlichen
Lebensstellung. Gegenwärtig hat sich die Sozialdemokratie diese Forderung
angeeignet; sie verspricht sich seine Erfüllung allerdings erst von der Auf¬
hebung der Klassenunterschiede selbst und ist so konsequent, zugleich die Be¬
rufsunterschiede als künftig wegfallend anzusehen: in der vollkommnen Gesell¬
schaft der Zukunft wird jeder zu allen Aufgaben geschickt sein und. je ucich
Bedarf auf Zeit verwendet werden. Das gilt insbesondre auch von den bis¬
herigen Regieruugsberufeu; die Aufgabe der Leitung bedarf nicht besondrer
und besonders vorgebildeter Personen, sie wird — so versichern die Zukunfts-
philosophen — bei allen der Reihe nach umgehen können.
Ich glaube nicht, daß die Zeit kommt, die diesem Ideal Erfüllung bringt.
Die Aufhebung der Berufsdisferenzirnng konnte nicht ohne schwerste Schädi¬
gung der Leistungsfähigkeit der Gesellschaft geschehen; die erstaunliche Kraft
und Produktivität der gesellschaftlich organisirten Arbeit beruht eben darauf,
daß die Einzelnen zu differenzirten und spezifizirten Organen ausgebildet werden.
Auch werden berufsmüßige Leiter und Regierer mit besondrer technischer Vor¬
bildung nicht entbehrlich werden. Was man als ein mögliches Ziel ins Ange
fassen kann, das ist: die Answcchl für den Beruf allein oder doch wesentlich
von der natürlichen Begabung der Einzelnen abhängig zu machen. Jetzt ist
sie wesentlich abhängig von der gesellschaftlichen Stellung der Eltern. Den
besitzenden Klassen fallen die leitenden Stellungen im wirtschaftlichen Leben
und die Regiernngsberufe im Staat als erbliche Ausstattung zu, während die
nichtbesitzenden von dem Wettbewerb thatsächlich so gut wie ausgeschlossen
sind; ihnen ist Handarbeit als erblicher Beruf zugewiesen. Und das hat denn
zur Folge, daß die Forderungen der Natur uicht selten schwer gekränkt werden.
Unfähige werden mit unendlicher Mühe notdürftig abgerichtet und treten in
die leitenden Stellen, wo sie nichts leisten, und wo ihnen selber nicht wohl
wird. Und andrerseits wird solchen, die zu großer Thätigkeit innere Be-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |