Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bildung

zips aufgefaßt. An diese Verwendung knüpft die Bedeutung an, in der in
der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Wörter bilden, Bildung
zum technische" Ausdruck in der Pädagogik geworden sind. Die neue Wort¬
bildung hängt mit der gleichzeitigen Wandlung in den Anschauungen zusammen:
naturgemäße Entwicklung der Anlage von innen heraus, nach Weise orga¬
nischer Wesen, anstatt mechanischer Ablichtung für einen bestimmten Zweck, das
ist das Leitmotiv der großen pädagogischen Reformbewegung, die sich an
Rousseau anschließt. Pestalozzi und Herder sind, so viel ich sehe, die ersten
Schriftsteller, bei denen "Bildung" zum ständigen Ausdruck sowohl für die
Thätigkeit des Erziehers und Lehrers, als für ihr Ergebnis, die innere Form
des Zöglings, geworden ist. So heißt es bei Pestalozzi in seiner Erstlings¬
schrift, den "Abendstunden eines Einsiedlers" (1780): "Allgemeine Empvrbil-
dung der innern Kräfte der Menschennatur zu reiner Menschenweisheit ist all¬
gemeiner Zweck der Bildung auch der niedrigsten Menschen. Übung, Anwen¬
dung und Gebrauch seiner Kraft und Weisheit in den besondern Lagen und
Umständen der Menschheit ist Berufs- und Standesbildung. Diese muß immer
dem allgemeinen Zweck der Menschenbildung untergeordnet sein.... Wer nicht
Mensch ist, in seinen innern Kräften ausgebildeter Mensch ist, dem fehlt die
Grundlage zur Bildung seiner nähern Bestimmung." Ähnlich setzt Herder in
einer Rede "Vom Zweck des Gymnasialunterrichts" (1786) diesen in die all¬
gemein menschliche Bildung, die der Berufsbildung zu Grunde liegen müsse:
"Menschen sind wir eher, als wir Professionisten werden! Bon dem, was wir
als Menschen wissen und als Jünglinge gelernt haben, kommt unsre schönste
Bildung und Brauchbarkeit für uns selbst her, noch ohne zu ängstliche Rück¬
sicht, was der Staat aus uus machen wolle. Ist das Messer gewetzt, so kann
man allerlei damit schneiden."*) Ein "gebildeter Mensch" im vollen Sinne,
so führt eine spätere Rede "Vom wahren Begriff der schönen Wissenschaften
und der Ghmnastalbildung" (1788) weiter aus, wird man vor allem durch
den Verkehr mit den Alten, "diesen Altvätern der menschlichen Geistesbildung,
diesen ewigen Mustern des richtigen, guten und geübten Geschmacks und der
schönsten Fertigkeit im Gebrauch der Sprache; an ihnen müssen wir unsre
Denk- und Schreibart formen, nach ihnen müssen wir, Menschen nützlich zu
werde", unsre Vernunft lind Sprache bilden.... Wer das gethan hat, dem ist
der Sinn der Humanität, d. i. der echten Menschenvernunft, der reinen mensch¬
lichen Empfindung aufgeschlossen, und so lernt er Richtigkeit und Wahrheit,
Genauigkeit und innere Güte über alles schätzen und lieben, kurz, er wird ein
gebildeter Mensch sein und sich als solcher im Kleinsten und Größten zeigen."
Darum heißt eben das Studium der Alten das Studium der tiuinimiorg,.
Herder setzt ihnen entgegen die Ag,l-me,iorg,, bei denen "mancher so weit kommt,



*) Herders Schulreden, herausgegeben von H, Düntzcr, S. 85.
Bildung

zips aufgefaßt. An diese Verwendung knüpft die Bedeutung an, in der in
der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Wörter bilden, Bildung
zum technische» Ausdruck in der Pädagogik geworden sind. Die neue Wort¬
bildung hängt mit der gleichzeitigen Wandlung in den Anschauungen zusammen:
naturgemäße Entwicklung der Anlage von innen heraus, nach Weise orga¬
nischer Wesen, anstatt mechanischer Ablichtung für einen bestimmten Zweck, das
ist das Leitmotiv der großen pädagogischen Reformbewegung, die sich an
Rousseau anschließt. Pestalozzi und Herder sind, so viel ich sehe, die ersten
Schriftsteller, bei denen „Bildung" zum ständigen Ausdruck sowohl für die
Thätigkeit des Erziehers und Lehrers, als für ihr Ergebnis, die innere Form
des Zöglings, geworden ist. So heißt es bei Pestalozzi in seiner Erstlings¬
schrift, den „Abendstunden eines Einsiedlers" (1780): „Allgemeine Empvrbil-
dung der innern Kräfte der Menschennatur zu reiner Menschenweisheit ist all¬
gemeiner Zweck der Bildung auch der niedrigsten Menschen. Übung, Anwen¬
dung und Gebrauch seiner Kraft und Weisheit in den besondern Lagen und
Umständen der Menschheit ist Berufs- und Standesbildung. Diese muß immer
dem allgemeinen Zweck der Menschenbildung untergeordnet sein.... Wer nicht
Mensch ist, in seinen innern Kräften ausgebildeter Mensch ist, dem fehlt die
Grundlage zur Bildung seiner nähern Bestimmung." Ähnlich setzt Herder in
einer Rede „Vom Zweck des Gymnasialunterrichts" (1786) diesen in die all¬
gemein menschliche Bildung, die der Berufsbildung zu Grunde liegen müsse:
„Menschen sind wir eher, als wir Professionisten werden! Bon dem, was wir
als Menschen wissen und als Jünglinge gelernt haben, kommt unsre schönste
Bildung und Brauchbarkeit für uns selbst her, noch ohne zu ängstliche Rück¬
sicht, was der Staat aus uus machen wolle. Ist das Messer gewetzt, so kann
man allerlei damit schneiden."*) Ein „gebildeter Mensch" im vollen Sinne,
so führt eine spätere Rede „Vom wahren Begriff der schönen Wissenschaften
und der Ghmnastalbildung" (1788) weiter aus, wird man vor allem durch
den Verkehr mit den Alten, „diesen Altvätern der menschlichen Geistesbildung,
diesen ewigen Mustern des richtigen, guten und geübten Geschmacks und der
schönsten Fertigkeit im Gebrauch der Sprache; an ihnen müssen wir unsre
Denk- und Schreibart formen, nach ihnen müssen wir, Menschen nützlich zu
werde», unsre Vernunft lind Sprache bilden.... Wer das gethan hat, dem ist
der Sinn der Humanität, d. i. der echten Menschenvernunft, der reinen mensch¬
lichen Empfindung aufgeschlossen, und so lernt er Richtigkeit und Wahrheit,
Genauigkeit und innere Güte über alles schätzen und lieben, kurz, er wird ein
gebildeter Mensch sein und sich als solcher im Kleinsten und Größten zeigen."
Darum heißt eben das Studium der Alten das Studium der tiuinimiorg,.
Herder setzt ihnen entgegen die Ag,l-me,iorg,, bei denen „mancher so weit kommt,



*) Herders Schulreden, herausgegeben von H, Düntzcr, S. 85.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216150"/>
            <fw type="header" place="top"> Bildung</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1461" prev="#ID_1460" next="#ID_1462"> zips aufgefaßt. An diese Verwendung knüpft die Bedeutung an, in der in<lb/>
der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Wörter bilden, Bildung<lb/>
zum technische» Ausdruck in der Pädagogik geworden sind. Die neue Wort¬<lb/>
bildung hängt mit der gleichzeitigen Wandlung in den Anschauungen zusammen:<lb/>
naturgemäße Entwicklung der Anlage von innen heraus, nach Weise orga¬<lb/>
nischer Wesen, anstatt mechanischer Ablichtung für einen bestimmten Zweck, das<lb/>
ist das Leitmotiv der großen pädagogischen Reformbewegung, die sich an<lb/>
Rousseau anschließt. Pestalozzi und Herder sind, so viel ich sehe, die ersten<lb/>
Schriftsteller, bei denen &#x201E;Bildung" zum ständigen Ausdruck sowohl für die<lb/>
Thätigkeit des Erziehers und Lehrers, als für ihr Ergebnis, die innere Form<lb/>
des Zöglings, geworden ist. So heißt es bei Pestalozzi in seiner Erstlings¬<lb/>
schrift, den &#x201E;Abendstunden eines Einsiedlers" (1780): &#x201E;Allgemeine Empvrbil-<lb/>
dung der innern Kräfte der Menschennatur zu reiner Menschenweisheit ist all¬<lb/>
gemeiner Zweck der Bildung auch der niedrigsten Menschen. Übung, Anwen¬<lb/>
dung und Gebrauch seiner Kraft und Weisheit in den besondern Lagen und<lb/>
Umständen der Menschheit ist Berufs- und Standesbildung. Diese muß immer<lb/>
dem allgemeinen Zweck der Menschenbildung untergeordnet sein.... Wer nicht<lb/>
Mensch ist, in seinen innern Kräften ausgebildeter Mensch ist, dem fehlt die<lb/>
Grundlage zur Bildung seiner nähern Bestimmung." Ähnlich setzt Herder in<lb/>
einer Rede &#x201E;Vom Zweck des Gymnasialunterrichts" (1786) diesen in die all¬<lb/>
gemein menschliche Bildung, die der Berufsbildung zu Grunde liegen müsse:<lb/>
&#x201E;Menschen sind wir eher, als wir Professionisten werden! Bon dem, was wir<lb/>
als Menschen wissen und als Jünglinge gelernt haben, kommt unsre schönste<lb/>
Bildung und Brauchbarkeit für uns selbst her, noch ohne zu ängstliche Rück¬<lb/>
sicht, was der Staat aus uus machen wolle. Ist das Messer gewetzt, so kann<lb/>
man allerlei damit schneiden."*) Ein &#x201E;gebildeter Mensch" im vollen Sinne,<lb/>
so führt eine spätere Rede &#x201E;Vom wahren Begriff der schönen Wissenschaften<lb/>
und der Ghmnastalbildung" (1788) weiter aus, wird man vor allem durch<lb/>
den Verkehr mit den Alten, &#x201E;diesen Altvätern der menschlichen Geistesbildung,<lb/>
diesen ewigen Mustern des richtigen, guten und geübten Geschmacks und der<lb/>
schönsten Fertigkeit im Gebrauch der Sprache; an ihnen müssen wir unsre<lb/>
Denk- und Schreibart formen, nach ihnen müssen wir, Menschen nützlich zu<lb/>
werde», unsre Vernunft lind Sprache bilden.... Wer das gethan hat, dem ist<lb/>
der Sinn der Humanität, d. i. der echten Menschenvernunft, der reinen mensch¬<lb/>
lichen Empfindung aufgeschlossen, und so lernt er Richtigkeit und Wahrheit,<lb/>
Genauigkeit und innere Güte über alles schätzen und lieben, kurz, er wird ein<lb/>
gebildeter Mensch sein und sich als solcher im Kleinsten und Größten zeigen."<lb/>
Darum heißt eben das Studium der Alten das Studium der tiuinimiorg,.<lb/>
Herder setzt ihnen entgegen die Ag,l-me,iorg,, bei denen &#x201E;mancher so weit kommt,</p><lb/>
            <note xml:id="FID_65" place="foot"> *) Herders Schulreden, herausgegeben von H, Düntzcr, S. 85.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0426] Bildung zips aufgefaßt. An diese Verwendung knüpft die Bedeutung an, in der in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts die Wörter bilden, Bildung zum technische» Ausdruck in der Pädagogik geworden sind. Die neue Wort¬ bildung hängt mit der gleichzeitigen Wandlung in den Anschauungen zusammen: naturgemäße Entwicklung der Anlage von innen heraus, nach Weise orga¬ nischer Wesen, anstatt mechanischer Ablichtung für einen bestimmten Zweck, das ist das Leitmotiv der großen pädagogischen Reformbewegung, die sich an Rousseau anschließt. Pestalozzi und Herder sind, so viel ich sehe, die ersten Schriftsteller, bei denen „Bildung" zum ständigen Ausdruck sowohl für die Thätigkeit des Erziehers und Lehrers, als für ihr Ergebnis, die innere Form des Zöglings, geworden ist. So heißt es bei Pestalozzi in seiner Erstlings¬ schrift, den „Abendstunden eines Einsiedlers" (1780): „Allgemeine Empvrbil- dung der innern Kräfte der Menschennatur zu reiner Menschenweisheit ist all¬ gemeiner Zweck der Bildung auch der niedrigsten Menschen. Übung, Anwen¬ dung und Gebrauch seiner Kraft und Weisheit in den besondern Lagen und Umständen der Menschheit ist Berufs- und Standesbildung. Diese muß immer dem allgemeinen Zweck der Menschenbildung untergeordnet sein.... Wer nicht Mensch ist, in seinen innern Kräften ausgebildeter Mensch ist, dem fehlt die Grundlage zur Bildung seiner nähern Bestimmung." Ähnlich setzt Herder in einer Rede „Vom Zweck des Gymnasialunterrichts" (1786) diesen in die all¬ gemein menschliche Bildung, die der Berufsbildung zu Grunde liegen müsse: „Menschen sind wir eher, als wir Professionisten werden! Bon dem, was wir als Menschen wissen und als Jünglinge gelernt haben, kommt unsre schönste Bildung und Brauchbarkeit für uns selbst her, noch ohne zu ängstliche Rück¬ sicht, was der Staat aus uus machen wolle. Ist das Messer gewetzt, so kann man allerlei damit schneiden."*) Ein „gebildeter Mensch" im vollen Sinne, so führt eine spätere Rede „Vom wahren Begriff der schönen Wissenschaften und der Ghmnastalbildung" (1788) weiter aus, wird man vor allem durch den Verkehr mit den Alten, „diesen Altvätern der menschlichen Geistesbildung, diesen ewigen Mustern des richtigen, guten und geübten Geschmacks und der schönsten Fertigkeit im Gebrauch der Sprache; an ihnen müssen wir unsre Denk- und Schreibart formen, nach ihnen müssen wir, Menschen nützlich zu werde», unsre Vernunft lind Sprache bilden.... Wer das gethan hat, dem ist der Sinn der Humanität, d. i. der echten Menschenvernunft, der reinen mensch¬ lichen Empfindung aufgeschlossen, und so lernt er Richtigkeit und Wahrheit, Genauigkeit und innere Güte über alles schätzen und lieben, kurz, er wird ein gebildeter Mensch sein und sich als solcher im Kleinsten und Größten zeigen." Darum heißt eben das Studium der Alten das Studium der tiuinimiorg,. Herder setzt ihnen entgegen die Ag,l-me,iorg,, bei denen „mancher so weit kommt, *) Herders Schulreden, herausgegeben von H, Düntzcr, S. 85.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/426
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/426>, abgerufen am 22.07.2024.