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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Taiidarbeiterfrage

Vielleicht verdeckten Widerstande gegen den Besiedlungsplan entflammen, sobald
damit Ernst gemacht wird. Fällt irgendwo einmal die Äußerung: Gutsbesitzer,
die zu teuer gekauft hätten, müßten eben herunter, so organisirt der Bund der
Landwirte sofort einen Höllenlärm und bietet alles auf, um Männer, die sich
zu dieser Ansicht bekennen, von den Parlamenten fernzuhalten. Dazu kommt
noch etwas andres. Möchte auch bei einem umsichtig betriebneu Ausiedlungs-
werke vom Großgrundbesitz soviel erhalten bleiben, als aus politischen und
landwirtschaftlichen Gründen wünschenswert erscheint, so würden doch die dann
noch vorhandnen Rittergutsbesitzer die soziale Stellung verlieren, die sie im
Nordosten Deutschlands seit Jahrhunderten behauptet haben. Der Besitzer des
ehemaligen Dominiums würde nicht mehr der gnädige Herr, sondern nur der
xriinus iutsr xg-rc-s, der vornehmste unter den mit ihm gleichberechtigten Guts¬
besitzern seines Dorfes sein, und die Landgemeindevrdnnng würde verbessert
werden, aber nicht in dem Sinne, wie es die konservative Partei meint, wenn
sie die "Verbesserung" in ihr Programm aufnimmt. Und über den Arbeiter den
Stock oder die Peitsche zu schwingen, das würde dem ehemaligen gnädigen
Herrn gänzlich vergehen, denn der Arbeiter würde ein wirklich freier Man"
sein. Der Gedanke an diesen Wandel aber ist den Herren unerträglich und
wohl für sich allein schon mächtig genug, sie zu entschiednen Gegnern jedes
dahin abzielenden Planes zu machen.

Das Ideal, das den Männern vom Verein für Sozialpolitik und auch
uns vorschwebt, ist in Nordamerika ungefähr hundert Jahre hindurch ver¬
wirklicht gewesen. Dem dortigen Bauer fehlte es niemals an Knechten, weil
fortwährend mittellose Einwandrer ankamen. Aber diese Knechte waren keine
Sklaven, weil sie vom Herrn als Familienglieder behandelt wurden, weil es
ihnen jederzeit freistand, den Dienst zu verlassen, und sie in diesem Falle sicher
waren, anderswo Arbeit zu finden, und weil sie die sichere Aussicht auf Selb¬
ständigkeit hatten; denn da der Lohn hoch und der reichlich vorhandne Boden
spottbillig war, so konnten sie sich mit den Ersparnissen einer sechs- bis zehn¬
jährigen Dienstzeit ankaufen. Dieser Zustand oder ein ähnlicher könnte bei
uns nnr dann hergestellt werden, wenn hinter unsrer Ostgrenze ein weites
Ansiedlungsgebiet mit billigem Boden offen stünde; die Dienstboten- und Tage-
löhnerstellung wäre dann nur der Durchgang zur Selbständigkeit, und die all¬
gemeine Freiheit, das wirkliche allgemeine Staatsbürgertum, wäre möglich ohne
Gefährdung der Landwirtschaft. Selbstverständlich dürfte der Mann erst wahl¬
berechtigt und Staatsbürger werden, wenn er sich ankaufte; ein Herrenknecht
mag Aussicht auss Bürgerrecht haben, Bürger sein kann er nicht. Und so
kommen wir denn auch hier wiederum auf unser ez-uztoruin <z<zu86o zurück und
zugleich zu unsrer Freude mit Dr. Weber zusammen, der (Frankenstein a. a. O.)
sagt: "Vom Jnteressenstandpunkte des Arbeiters >und, fügen wir hinzu, des
Volkes, des Staates, des Vaterlandesj aus gipfelt die ländliche Arbeiterfrage


Die Taiidarbeiterfrage

Vielleicht verdeckten Widerstande gegen den Besiedlungsplan entflammen, sobald
damit Ernst gemacht wird. Fällt irgendwo einmal die Äußerung: Gutsbesitzer,
die zu teuer gekauft hätten, müßten eben herunter, so organisirt der Bund der
Landwirte sofort einen Höllenlärm und bietet alles auf, um Männer, die sich
zu dieser Ansicht bekennen, von den Parlamenten fernzuhalten. Dazu kommt
noch etwas andres. Möchte auch bei einem umsichtig betriebneu Ausiedlungs-
werke vom Großgrundbesitz soviel erhalten bleiben, als aus politischen und
landwirtschaftlichen Gründen wünschenswert erscheint, so würden doch die dann
noch vorhandnen Rittergutsbesitzer die soziale Stellung verlieren, die sie im
Nordosten Deutschlands seit Jahrhunderten behauptet haben. Der Besitzer des
ehemaligen Dominiums würde nicht mehr der gnädige Herr, sondern nur der
xriinus iutsr xg-rc-s, der vornehmste unter den mit ihm gleichberechtigten Guts¬
besitzern seines Dorfes sein, und die Landgemeindevrdnnng würde verbessert
werden, aber nicht in dem Sinne, wie es die konservative Partei meint, wenn
sie die „Verbesserung" in ihr Programm aufnimmt. Und über den Arbeiter den
Stock oder die Peitsche zu schwingen, das würde dem ehemaligen gnädigen
Herrn gänzlich vergehen, denn der Arbeiter würde ein wirklich freier Man»
sein. Der Gedanke an diesen Wandel aber ist den Herren unerträglich und
wohl für sich allein schon mächtig genug, sie zu entschiednen Gegnern jedes
dahin abzielenden Planes zu machen.

Das Ideal, das den Männern vom Verein für Sozialpolitik und auch
uns vorschwebt, ist in Nordamerika ungefähr hundert Jahre hindurch ver¬
wirklicht gewesen. Dem dortigen Bauer fehlte es niemals an Knechten, weil
fortwährend mittellose Einwandrer ankamen. Aber diese Knechte waren keine
Sklaven, weil sie vom Herrn als Familienglieder behandelt wurden, weil es
ihnen jederzeit freistand, den Dienst zu verlassen, und sie in diesem Falle sicher
waren, anderswo Arbeit zu finden, und weil sie die sichere Aussicht auf Selb¬
ständigkeit hatten; denn da der Lohn hoch und der reichlich vorhandne Boden
spottbillig war, so konnten sie sich mit den Ersparnissen einer sechs- bis zehn¬
jährigen Dienstzeit ankaufen. Dieser Zustand oder ein ähnlicher könnte bei
uns nnr dann hergestellt werden, wenn hinter unsrer Ostgrenze ein weites
Ansiedlungsgebiet mit billigem Boden offen stünde; die Dienstboten- und Tage-
löhnerstellung wäre dann nur der Durchgang zur Selbständigkeit, und die all¬
gemeine Freiheit, das wirkliche allgemeine Staatsbürgertum, wäre möglich ohne
Gefährdung der Landwirtschaft. Selbstverständlich dürfte der Mann erst wahl¬
berechtigt und Staatsbürger werden, wenn er sich ankaufte; ein Herrenknecht
mag Aussicht auss Bürgerrecht haben, Bürger sein kann er nicht. Und so
kommen wir denn auch hier wiederum auf unser ez-uztoruin <z<zu86o zurück und
zugleich zu unsrer Freude mit Dr. Weber zusammen, der (Frankenstein a. a. O.)
sagt: „Vom Jnteressenstandpunkte des Arbeiters >und, fügen wir hinzu, des
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[0422] Die Taiidarbeiterfrage Vielleicht verdeckten Widerstande gegen den Besiedlungsplan entflammen, sobald damit Ernst gemacht wird. Fällt irgendwo einmal die Äußerung: Gutsbesitzer, die zu teuer gekauft hätten, müßten eben herunter, so organisirt der Bund der Landwirte sofort einen Höllenlärm und bietet alles auf, um Männer, die sich zu dieser Ansicht bekennen, von den Parlamenten fernzuhalten. Dazu kommt noch etwas andres. Möchte auch bei einem umsichtig betriebneu Ausiedlungs- werke vom Großgrundbesitz soviel erhalten bleiben, als aus politischen und landwirtschaftlichen Gründen wünschenswert erscheint, so würden doch die dann noch vorhandnen Rittergutsbesitzer die soziale Stellung verlieren, die sie im Nordosten Deutschlands seit Jahrhunderten behauptet haben. Der Besitzer des ehemaligen Dominiums würde nicht mehr der gnädige Herr, sondern nur der xriinus iutsr xg-rc-s, der vornehmste unter den mit ihm gleichberechtigten Guts¬ besitzern seines Dorfes sein, und die Landgemeindevrdnnng würde verbessert werden, aber nicht in dem Sinne, wie es die konservative Partei meint, wenn sie die „Verbesserung" in ihr Programm aufnimmt. Und über den Arbeiter den Stock oder die Peitsche zu schwingen, das würde dem ehemaligen gnädigen Herrn gänzlich vergehen, denn der Arbeiter würde ein wirklich freier Man» sein. Der Gedanke an diesen Wandel aber ist den Herren unerträglich und wohl für sich allein schon mächtig genug, sie zu entschiednen Gegnern jedes dahin abzielenden Planes zu machen. Das Ideal, das den Männern vom Verein für Sozialpolitik und auch uns vorschwebt, ist in Nordamerika ungefähr hundert Jahre hindurch ver¬ wirklicht gewesen. Dem dortigen Bauer fehlte es niemals an Knechten, weil fortwährend mittellose Einwandrer ankamen. Aber diese Knechte waren keine Sklaven, weil sie vom Herrn als Familienglieder behandelt wurden, weil es ihnen jederzeit freistand, den Dienst zu verlassen, und sie in diesem Falle sicher waren, anderswo Arbeit zu finden, und weil sie die sichere Aussicht auf Selb¬ ständigkeit hatten; denn da der Lohn hoch und der reichlich vorhandne Boden spottbillig war, so konnten sie sich mit den Ersparnissen einer sechs- bis zehn¬ jährigen Dienstzeit ankaufen. Dieser Zustand oder ein ähnlicher könnte bei uns nnr dann hergestellt werden, wenn hinter unsrer Ostgrenze ein weites Ansiedlungsgebiet mit billigem Boden offen stünde; die Dienstboten- und Tage- löhnerstellung wäre dann nur der Durchgang zur Selbständigkeit, und die all¬ gemeine Freiheit, das wirkliche allgemeine Staatsbürgertum, wäre möglich ohne Gefährdung der Landwirtschaft. Selbstverständlich dürfte der Mann erst wahl¬ berechtigt und Staatsbürger werden, wenn er sich ankaufte; ein Herrenknecht mag Aussicht auss Bürgerrecht haben, Bürger sein kann er nicht. Und so kommen wir denn auch hier wiederum auf unser ez-uztoruin <z<zu86o zurück und zugleich zu unsrer Freude mit Dr. Weber zusammen, der (Frankenstein a. a. O.) sagt: „Vom Jnteressenstandpunkte des Arbeiters >und, fügen wir hinzu, des Volkes, des Staates, des Vaterlandesj aus gipfelt die ländliche Arbeiterfrage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/422>, abgerufen am 22.07.2024.