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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Münchner Ausstellungen

liebe Einbuße erlitten hat, der Eindruck der deutschen Abteilung ist flau, unter
einer großen Masse von Bildern sind sehr wenige, die wirklich sesseln.

Es ist bezeichnend, daß die Stärke dieser Ausstellung in den Gattungen
liegt, die bei de" Sczessionisten entweder gar uicht oder nur schwach vertreten
sind, vor allem im Bildnis. Als unerreichbare Größe steht wieder Lenbach
da. Unter seinen diesmaligen Bildnissen ist wohl das schönste das des bai-
rischen Finanzministers Riedel, von einer Noblesse, Große und Einfachheit,
wie wir sie selbst bei Lenbach selten finden. Neben Lenbachs Bildnissen können
sich mir noch die beiden des so traurig zu Grunde gegangnen Stansfer-Bern
halten, der wie Lenbach im wesentlichen Schiller der großen Meister vergangner
Jahrhunderte war und mit seiner gewaltigen Künstlerkraft ihre Einflüsse, die
einem schwächern Talent so leicht gefährlich werden können, verarbeitet hatte.
Besonders anziehend ist eine Bergleichung der Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt
des Anfängers bei Stanffer mit der vollendeten Meisterschaft und souveränen
Sicherheit Lenbachs. Neben diesen beiden haben die andern Bildnismaler einen
schweren Stand. Max. Koner ist in seinem Bildnis des preußischen Finanz¬
ministers Miqnel zu zeichnerisch, Karl Marr in seinem Herrnporträt im Profil
zu malerisch. In einem Prvfilbildnis ist es schon an sich niemals möglich,
den Charakter einer Persönlichkeit zu erschöpfen, um so weniger, wenn man
die malerische Seite zu sehr betont. Eine mehr zeichnerische Auffassung wie
bei Koner kann die Aufgabe der Charakteristik vollständiger lösen. Der Kopf
in Marrs Bildnis ist in lauter kleinen Flüchen gesehen; wie gut aber eine ge¬
wisse Breite der Behandlung thut, kaun mau an der Bildnisskizze eines jungen
Mannes von Franz Hofstötter erkennen. Ein Bildnis muß immer ein Stück
Monumentalmalerei sein: das Historienbild einer einzelnen Persönlichkeit; je
näher es dieser Auffassung kommt, desto besser ist es. Eine solche Auffassung
erstreben die Bildnisse des Professors Liezenmaher von Lüszlü und Wilhelm
Neides von Haus Fechner. Aus deu angeführten Gründen darf ein Bildnis
anch in der Stellung und im Kostüm nichts Zufälliges haben. So vortreff¬
lich auch das Bildnis einer jungen Dame von Schuster-Moldau gemalt ist,
die zufällige Stellung - die Dame kniet vornüber gebeugt ans dem Divan --
stört. Anders ist es bei Kinderbildnissen. Da bietet ein genrehafter Zug oft
einen wohlthätigen Ersatz dafür, daß die uuausgebilaete Persönlichkeit noch
nicht das genügende Interesse erwecken kann. Zu den anziehendsten Gemälden
dieser Art gehört das große Kinderbildnis von Karl Marr. Während wir
aber beim Bildnis auf der einen Seite sehr viel verlangen, sind wir auf der
andern anch mit einer lebendigen Skizze zufrieden. Darum wirken Pastell-
bildmsfe oft so vorteilhaft. Darin haben sich besonders ausgezeichnet der fein¬
farbige Ludwig Passini, Fritz Burger mit dem Bildnis des Anatomieprvfessvrs
Nüdinger. allen Künstlern wohlbekannt dnrch seine Vorträge über plastische
Anatomie, und Helene Mühlthaler. In keinem Fache ist soviel Mittelware


Die Münchner Ausstellungen

liebe Einbuße erlitten hat, der Eindruck der deutschen Abteilung ist flau, unter
einer großen Masse von Bildern sind sehr wenige, die wirklich sesseln.

Es ist bezeichnend, daß die Stärke dieser Ausstellung in den Gattungen
liegt, die bei de» Sczessionisten entweder gar uicht oder nur schwach vertreten
sind, vor allem im Bildnis. Als unerreichbare Größe steht wieder Lenbach
da. Unter seinen diesmaligen Bildnissen ist wohl das schönste das des bai-
rischen Finanzministers Riedel, von einer Noblesse, Große und Einfachheit,
wie wir sie selbst bei Lenbach selten finden. Neben Lenbachs Bildnissen können
sich mir noch die beiden des so traurig zu Grunde gegangnen Stansfer-Bern
halten, der wie Lenbach im wesentlichen Schiller der großen Meister vergangner
Jahrhunderte war und mit seiner gewaltigen Künstlerkraft ihre Einflüsse, die
einem schwächern Talent so leicht gefährlich werden können, verarbeitet hatte.
Besonders anziehend ist eine Bergleichung der Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt
des Anfängers bei Stanffer mit der vollendeten Meisterschaft und souveränen
Sicherheit Lenbachs. Neben diesen beiden haben die andern Bildnismaler einen
schweren Stand. Max. Koner ist in seinem Bildnis des preußischen Finanz¬
ministers Miqnel zu zeichnerisch, Karl Marr in seinem Herrnporträt im Profil
zu malerisch. In einem Prvfilbildnis ist es schon an sich niemals möglich,
den Charakter einer Persönlichkeit zu erschöpfen, um so weniger, wenn man
die malerische Seite zu sehr betont. Eine mehr zeichnerische Auffassung wie
bei Koner kann die Aufgabe der Charakteristik vollständiger lösen. Der Kopf
in Marrs Bildnis ist in lauter kleinen Flüchen gesehen; wie gut aber eine ge¬
wisse Breite der Behandlung thut, kaun mau an der Bildnisskizze eines jungen
Mannes von Franz Hofstötter erkennen. Ein Bildnis muß immer ein Stück
Monumentalmalerei sein: das Historienbild einer einzelnen Persönlichkeit; je
näher es dieser Auffassung kommt, desto besser ist es. Eine solche Auffassung
erstreben die Bildnisse des Professors Liezenmaher von Lüszlü und Wilhelm
Neides von Haus Fechner. Aus deu angeführten Gründen darf ein Bildnis
anch in der Stellung und im Kostüm nichts Zufälliges haben. So vortreff¬
lich auch das Bildnis einer jungen Dame von Schuster-Moldau gemalt ist,
die zufällige Stellung - die Dame kniet vornüber gebeugt ans dem Divan —
stört. Anders ist es bei Kinderbildnissen. Da bietet ein genrehafter Zug oft
einen wohlthätigen Ersatz dafür, daß die uuausgebilaete Persönlichkeit noch
nicht das genügende Interesse erwecken kann. Zu den anziehendsten Gemälden
dieser Art gehört das große Kinderbildnis von Karl Marr. Während wir
aber beim Bildnis auf der einen Seite sehr viel verlangen, sind wir auf der
andern anch mit einer lebendigen Skizze zufrieden. Darum wirken Pastell-
bildmsfe oft so vorteilhaft. Darin haben sich besonders ausgezeichnet der fein¬
farbige Ludwig Passini, Fritz Burger mit dem Bildnis des Anatomieprvfessvrs
Nüdinger. allen Künstlern wohlbekannt dnrch seine Vorträge über plastische
Anatomie, und Helene Mühlthaler. In keinem Fache ist soviel Mittelware


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[0042] Die Münchner Ausstellungen liebe Einbuße erlitten hat, der Eindruck der deutschen Abteilung ist flau, unter einer großen Masse von Bildern sind sehr wenige, die wirklich sesseln. Es ist bezeichnend, daß die Stärke dieser Ausstellung in den Gattungen liegt, die bei de» Sczessionisten entweder gar uicht oder nur schwach vertreten sind, vor allem im Bildnis. Als unerreichbare Größe steht wieder Lenbach da. Unter seinen diesmaligen Bildnissen ist wohl das schönste das des bai- rischen Finanzministers Riedel, von einer Noblesse, Große und Einfachheit, wie wir sie selbst bei Lenbach selten finden. Neben Lenbachs Bildnissen können sich mir noch die beiden des so traurig zu Grunde gegangnen Stansfer-Bern halten, der wie Lenbach im wesentlichen Schiller der großen Meister vergangner Jahrhunderte war und mit seiner gewaltigen Künstlerkraft ihre Einflüsse, die einem schwächern Talent so leicht gefährlich werden können, verarbeitet hatte. Besonders anziehend ist eine Bergleichung der Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt des Anfängers bei Stanffer mit der vollendeten Meisterschaft und souveränen Sicherheit Lenbachs. Neben diesen beiden haben die andern Bildnismaler einen schweren Stand. Max. Koner ist in seinem Bildnis des preußischen Finanz¬ ministers Miqnel zu zeichnerisch, Karl Marr in seinem Herrnporträt im Profil zu malerisch. In einem Prvfilbildnis ist es schon an sich niemals möglich, den Charakter einer Persönlichkeit zu erschöpfen, um so weniger, wenn man die malerische Seite zu sehr betont. Eine mehr zeichnerische Auffassung wie bei Koner kann die Aufgabe der Charakteristik vollständiger lösen. Der Kopf in Marrs Bildnis ist in lauter kleinen Flüchen gesehen; wie gut aber eine ge¬ wisse Breite der Behandlung thut, kaun mau an der Bildnisskizze eines jungen Mannes von Franz Hofstötter erkennen. Ein Bildnis muß immer ein Stück Monumentalmalerei sein: das Historienbild einer einzelnen Persönlichkeit; je näher es dieser Auffassung kommt, desto besser ist es. Eine solche Auffassung erstreben die Bildnisse des Professors Liezenmaher von Lüszlü und Wilhelm Neides von Haus Fechner. Aus deu angeführten Gründen darf ein Bildnis anch in der Stellung und im Kostüm nichts Zufälliges haben. So vortreff¬ lich auch das Bildnis einer jungen Dame von Schuster-Moldau gemalt ist, die zufällige Stellung - die Dame kniet vornüber gebeugt ans dem Divan — stört. Anders ist es bei Kinderbildnissen. Da bietet ein genrehafter Zug oft einen wohlthätigen Ersatz dafür, daß die uuausgebilaete Persönlichkeit noch nicht das genügende Interesse erwecken kann. Zu den anziehendsten Gemälden dieser Art gehört das große Kinderbildnis von Karl Marr. Während wir aber beim Bildnis auf der einen Seite sehr viel verlangen, sind wir auf der andern anch mit einer lebendigen Skizze zufrieden. Darum wirken Pastell- bildmsfe oft so vorteilhaft. Darin haben sich besonders ausgezeichnet der fein¬ farbige Ludwig Passini, Fritz Burger mit dem Bildnis des Anatomieprvfessvrs Nüdinger. allen Künstlern wohlbekannt dnrch seine Vorträge über plastische Anatomie, und Helene Mühlthaler. In keinem Fache ist soviel Mittelware

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/42>, abgerufen am 22.07.2024.