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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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zwanzig Jahren noch fleißig geprügelt worden, dürfe es aber heute nicht mehr
gewagt werden.

Das zweite Merkmal der Knechtschaft ist der Zwang zur Arbeit für einen
andern. Selbst der von christlicher Gesinnung und warmem Mitgefühl für
die Arbeiter beseelte Freiherr v. d. Goltz hält doch an der in Altpreußen
seit Jahrzehnten wohlbekannten Regel fest: werden die Landarbeiter mit Acker
ausgestattet, so dürfen sie nicht mehr als 2^ Morgen bekommen, weil sie sonst
sofort nach Selbständigkeit streben, um der Notwendigkeit, für den Gutsherr"
zu arbeiten, überhoben zu sein. Zwar will er ihnen durch die beschriebne Ver¬
teilung des Grundbesitzes die Möglichkeit des Aufsteigens gewahrt wissen, aber
es bleibt doch dabei, daß sie nur so lauge für den Gutsherrn arbeiten, als
sie dazu gezwungen sind, daß also, wenn die große Gntswirtschaft bestehen
soll, dort, wo nicht soziale Verhültnisfe (wie zahlreiches in der Industrie un¬
verwendbares Prvletaritat) den Zwang ausüben, der Staat ihn dnrch Gesetze
und Einrichtungen herstellen muß. Um noch genauer einzusehen, wiefern der
Zwang zur Arbeit für andre Knechtschaft bedeutet, werfen wir einen Blick auf
die Industrie.

Nicht jede Arbeit im Dienste eines Unternehmers ist Sklavenarbeit. Loko¬
motiven kann der arme Schlosser, der mit einem Jungen arbeitet, in seinem
Hinterstübchen nicht bauen. Sollen welche gebant werden, so gehören dazu
große Räume, großartige Veranstaltungen, Hunderte von geschickten Metall¬
arbeitern und mindestens ein sehr gescheiter Kopfarbeiter, gewöhnlich aber
mindestens zwei: ein technischer und ein kaufmännischer Leiter. Damit also
diese nützlichen und auf einer gewissen Kulturstufe notwendigen Befördernngs-
maschinen gebaut werden können, müssen sich je einige hundert Personen ver¬
einigen. Eine solche Arbeitsgemeinschaft braucht nichts von einem Sklaven¬
verhältnis an sich zu haben. Wenn der Metallarbeiter in der Lvkomotiven-
bnucmstalt anständig bezahlt und behandelt wird, wenn er sicher ist, nicht
entlassen zu werden, so lange er seine Sache macht, wenn der Unternehmer
nur in den Stücken Gehorsam fordert, die für den Betrieb notwendig sind,
und sich nicht darum kümmert, was der Mann im politischen und Privatleben
treibt, dann ist dieser ein freier Mann; denn Unterwerfung unter eine Dis¬
ziplin, die zur Ausübung einer gemeinsamen Thätigkeit notwendig ist, beein¬
trächtigt nicht die persönliche Freiheit.*) Hat der kleine Schlosser nur die
erforderliche Geschicklichkeit, und hat er keine Aussicht, sich zum größern Meister



Der Unterschied des männlichen Gehorsams vom Gehorsam des Kindes und des
Sklaven besteht darin, daß dieser einer Person geleistet wird, in deren Belieben es steht, ob
sie dein Untergebnen einen Spielraum für freie Lebensäußerung einräumen will und
welchen, jener dem Gesetz oder einer Ordnung nur in dem Gebiete, wofür das Gesetz oder
die Ordnung gilt, und aus Einsicht in die Notwendigkeit dieser Ordnung. In dieser Art des
Gehorsams übt sich der Kunde zuerst beim Spiel mit Kameraden.

zwanzig Jahren noch fleißig geprügelt worden, dürfe es aber heute nicht mehr
gewagt werden.

Das zweite Merkmal der Knechtschaft ist der Zwang zur Arbeit für einen
andern. Selbst der von christlicher Gesinnung und warmem Mitgefühl für
die Arbeiter beseelte Freiherr v. d. Goltz hält doch an der in Altpreußen
seit Jahrzehnten wohlbekannten Regel fest: werden die Landarbeiter mit Acker
ausgestattet, so dürfen sie nicht mehr als 2^ Morgen bekommen, weil sie sonst
sofort nach Selbständigkeit streben, um der Notwendigkeit, für den Gutsherr»
zu arbeiten, überhoben zu sein. Zwar will er ihnen durch die beschriebne Ver¬
teilung des Grundbesitzes die Möglichkeit des Aufsteigens gewahrt wissen, aber
es bleibt doch dabei, daß sie nur so lauge für den Gutsherrn arbeiten, als
sie dazu gezwungen sind, daß also, wenn die große Gntswirtschaft bestehen
soll, dort, wo nicht soziale Verhültnisfe (wie zahlreiches in der Industrie un¬
verwendbares Prvletaritat) den Zwang ausüben, der Staat ihn dnrch Gesetze
und Einrichtungen herstellen muß. Um noch genauer einzusehen, wiefern der
Zwang zur Arbeit für andre Knechtschaft bedeutet, werfen wir einen Blick auf
die Industrie.

Nicht jede Arbeit im Dienste eines Unternehmers ist Sklavenarbeit. Loko¬
motiven kann der arme Schlosser, der mit einem Jungen arbeitet, in seinem
Hinterstübchen nicht bauen. Sollen welche gebant werden, so gehören dazu
große Räume, großartige Veranstaltungen, Hunderte von geschickten Metall¬
arbeitern und mindestens ein sehr gescheiter Kopfarbeiter, gewöhnlich aber
mindestens zwei: ein technischer und ein kaufmännischer Leiter. Damit also
diese nützlichen und auf einer gewissen Kulturstufe notwendigen Befördernngs-
maschinen gebaut werden können, müssen sich je einige hundert Personen ver¬
einigen. Eine solche Arbeitsgemeinschaft braucht nichts von einem Sklaven¬
verhältnis an sich zu haben. Wenn der Metallarbeiter in der Lvkomotiven-
bnucmstalt anständig bezahlt und behandelt wird, wenn er sicher ist, nicht
entlassen zu werden, so lange er seine Sache macht, wenn der Unternehmer
nur in den Stücken Gehorsam fordert, die für den Betrieb notwendig sind,
und sich nicht darum kümmert, was der Mann im politischen und Privatleben
treibt, dann ist dieser ein freier Mann; denn Unterwerfung unter eine Dis¬
ziplin, die zur Ausübung einer gemeinsamen Thätigkeit notwendig ist, beein¬
trächtigt nicht die persönliche Freiheit.*) Hat der kleine Schlosser nur die
erforderliche Geschicklichkeit, und hat er keine Aussicht, sich zum größern Meister



Der Unterschied des männlichen Gehorsams vom Gehorsam des Kindes und des
Sklaven besteht darin, daß dieser einer Person geleistet wird, in deren Belieben es steht, ob
sie dein Untergebnen einen Spielraum für freie Lebensäußerung einräumen will und
welchen, jener dem Gesetz oder einer Ordnung nur in dem Gebiete, wofür das Gesetz oder
die Ordnung gilt, und aus Einsicht in die Notwendigkeit dieser Ordnung. In dieser Art des
Gehorsams übt sich der Kunde zuerst beim Spiel mit Kameraden.
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[0416] zwanzig Jahren noch fleißig geprügelt worden, dürfe es aber heute nicht mehr gewagt werden. Das zweite Merkmal der Knechtschaft ist der Zwang zur Arbeit für einen andern. Selbst der von christlicher Gesinnung und warmem Mitgefühl für die Arbeiter beseelte Freiherr v. d. Goltz hält doch an der in Altpreußen seit Jahrzehnten wohlbekannten Regel fest: werden die Landarbeiter mit Acker ausgestattet, so dürfen sie nicht mehr als 2^ Morgen bekommen, weil sie sonst sofort nach Selbständigkeit streben, um der Notwendigkeit, für den Gutsherr» zu arbeiten, überhoben zu sein. Zwar will er ihnen durch die beschriebne Ver¬ teilung des Grundbesitzes die Möglichkeit des Aufsteigens gewahrt wissen, aber es bleibt doch dabei, daß sie nur so lauge für den Gutsherrn arbeiten, als sie dazu gezwungen sind, daß also, wenn die große Gntswirtschaft bestehen soll, dort, wo nicht soziale Verhültnisfe (wie zahlreiches in der Industrie un¬ verwendbares Prvletaritat) den Zwang ausüben, der Staat ihn dnrch Gesetze und Einrichtungen herstellen muß. Um noch genauer einzusehen, wiefern der Zwang zur Arbeit für andre Knechtschaft bedeutet, werfen wir einen Blick auf die Industrie. Nicht jede Arbeit im Dienste eines Unternehmers ist Sklavenarbeit. Loko¬ motiven kann der arme Schlosser, der mit einem Jungen arbeitet, in seinem Hinterstübchen nicht bauen. Sollen welche gebant werden, so gehören dazu große Räume, großartige Veranstaltungen, Hunderte von geschickten Metall¬ arbeitern und mindestens ein sehr gescheiter Kopfarbeiter, gewöhnlich aber mindestens zwei: ein technischer und ein kaufmännischer Leiter. Damit also diese nützlichen und auf einer gewissen Kulturstufe notwendigen Befördernngs- maschinen gebaut werden können, müssen sich je einige hundert Personen ver¬ einigen. Eine solche Arbeitsgemeinschaft braucht nichts von einem Sklaven¬ verhältnis an sich zu haben. Wenn der Metallarbeiter in der Lvkomotiven- bnucmstalt anständig bezahlt und behandelt wird, wenn er sicher ist, nicht entlassen zu werden, so lange er seine Sache macht, wenn der Unternehmer nur in den Stücken Gehorsam fordert, die für den Betrieb notwendig sind, und sich nicht darum kümmert, was der Mann im politischen und Privatleben treibt, dann ist dieser ein freier Mann; denn Unterwerfung unter eine Dis¬ ziplin, die zur Ausübung einer gemeinsamen Thätigkeit notwendig ist, beein¬ trächtigt nicht die persönliche Freiheit.*) Hat der kleine Schlosser nur die erforderliche Geschicklichkeit, und hat er keine Aussicht, sich zum größern Meister Der Unterschied des männlichen Gehorsams vom Gehorsam des Kindes und des Sklaven besteht darin, daß dieser einer Person geleistet wird, in deren Belieben es steht, ob sie dein Untergebnen einen Spielraum für freie Lebensäußerung einräumen will und welchen, jener dem Gesetz oder einer Ordnung nur in dem Gebiete, wofür das Gesetz oder die Ordnung gilt, und aus Einsicht in die Notwendigkeit dieser Ordnung. In dieser Art des Gehorsams übt sich der Kunde zuerst beim Spiel mit Kameraden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/416>, abgerufen am 22.07.2024.