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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Weiteres zur Steuerfrage und zur Lincmzreform

Deshalb werden so viele Unkundige von jobberhaften Kommissionären zu Zeit¬
geschäften überredet und um ihr und ihrer Familien Vermögen und um die
ganze Existenz gebracht. Die Zahl der so vernichteten Familien ist weit großer,
als gewöhnlich angenommen wird. In Monte Carlo endet allerdings in vielen
Fällen ein Selbstmord das Elend derer, die in wahnsinniger Weise ihr ganzes
Hab und Gut bar mit an deu Spieltisch geschleppt haben, weil der Verlust
meist in kürzester Zeit und plötzlich, im jähesten Wechsel eintritt. Die nicht
minder schweren Verluste an der Terminbörse vollziehen sich etwas langsamer.
Der Verlierer begeht nicht Selbstmord, er erliegt einem Verfall aller geistigen
und körperlichen Kräfte aus Gram, daß er mit den Seinen an den Bettelstab
gebracht worden ist.

Eine völlig unzutreffende Verteidigung der Zeitgeschäfte wird dadurch ver¬
sucht, daß man sagt, durch sie allein werde es möglich, daß in Zeiten großer
Krisen und Kursschwankungen überhaupt noch Geschäfte zu stände kommen,
und daß uicht alle Kurse sofort ins Bodenlose fallen. Daran ist etwas wahres.
Denn Wertpapiere, in denen nur Kassengeschäfte abgeschlossen werden, fallen
in solchen Zeiten viel mehr. Aber daß in solchen Krisen bei Wertpapieren,
die auf Zeit gehandelt werden, wenigstens wenn ein Deckungsbedürfnis aus
Leerverküufen besteht, anfänglich noch einige Geschäfte gemacht werden und der
Kurssturz etwas verlangsamt wird, das hat doch nur den Erfolg, daß die
großen Bankgeschäfte noch Gelegenheit haben, an das dumme, vertrauensselige
Privatpnblikum ihre Bestände loszuschlagen. Ist das gelungen, dann folgt
der gewaltige Kurssturz auch solcher Papiere.

Die Terminbörsen sind die Vcunphre, dnrch die der sauer verdiente Spar-
pfennig der arbeitsamen Bevölkerung in die Kassen der großen Finanzmänner
geleitet wird, um da zu einer staatsgefährlichen Macht anzuschwellen. Wenn
eine hohe Börsensteuer mit dazu diente, diese unheilvolle Aussaugung etwas
zu beschränken, so wäre das eine freudig zu begrüßende Folge des Steuer¬
gesetzes.

Freilich ist zu fürchten, daß sich die Reichsregierung bei ihren Ent¬
schließungen von Männern Rat erteilen läßt, die im eigensten Interesse die
Verstopfung dieser ihrer Reichtumsauelle fürchten, daß also die Regierungen
schlecht beraten werden. Da nach unsrer, von der Wahrheit sicher uicht ab¬
weichenden Behauptung nur ein oder höchstens zwei Prozent aller Zeitgeschäfte
über börseumäßig gehcmdelte Werte nicht Spotgeschäfte sind, so wird die von
uns vorgeschlagne Steuer auf solches Glücksspiel immer noch sehr niedrig er¬
scheinen, wenn mau damit den Neichsstempel vergleicht, der auf das Lvtterie-
spiel erhoben wird.

Von einer Kontingentirung der Börsensteuer, d. h. der Auferlegung be¬
stimmter Summen, auf die einzelnen Börsen, deren Mitglieder die Aufbringung
unter sich auszumachen Hütten, kann, wenn der ernstliche Wille besteht, eine


Weiteres zur Steuerfrage und zur Lincmzreform

Deshalb werden so viele Unkundige von jobberhaften Kommissionären zu Zeit¬
geschäften überredet und um ihr und ihrer Familien Vermögen und um die
ganze Existenz gebracht. Die Zahl der so vernichteten Familien ist weit großer,
als gewöhnlich angenommen wird. In Monte Carlo endet allerdings in vielen
Fällen ein Selbstmord das Elend derer, die in wahnsinniger Weise ihr ganzes
Hab und Gut bar mit an deu Spieltisch geschleppt haben, weil der Verlust
meist in kürzester Zeit und plötzlich, im jähesten Wechsel eintritt. Die nicht
minder schweren Verluste an der Terminbörse vollziehen sich etwas langsamer.
Der Verlierer begeht nicht Selbstmord, er erliegt einem Verfall aller geistigen
und körperlichen Kräfte aus Gram, daß er mit den Seinen an den Bettelstab
gebracht worden ist.

Eine völlig unzutreffende Verteidigung der Zeitgeschäfte wird dadurch ver¬
sucht, daß man sagt, durch sie allein werde es möglich, daß in Zeiten großer
Krisen und Kursschwankungen überhaupt noch Geschäfte zu stände kommen,
und daß uicht alle Kurse sofort ins Bodenlose fallen. Daran ist etwas wahres.
Denn Wertpapiere, in denen nur Kassengeschäfte abgeschlossen werden, fallen
in solchen Zeiten viel mehr. Aber daß in solchen Krisen bei Wertpapieren,
die auf Zeit gehandelt werden, wenigstens wenn ein Deckungsbedürfnis aus
Leerverküufen besteht, anfänglich noch einige Geschäfte gemacht werden und der
Kurssturz etwas verlangsamt wird, das hat doch nur den Erfolg, daß die
großen Bankgeschäfte noch Gelegenheit haben, an das dumme, vertrauensselige
Privatpnblikum ihre Bestände loszuschlagen. Ist das gelungen, dann folgt
der gewaltige Kurssturz auch solcher Papiere.

Die Terminbörsen sind die Vcunphre, dnrch die der sauer verdiente Spar-
pfennig der arbeitsamen Bevölkerung in die Kassen der großen Finanzmänner
geleitet wird, um da zu einer staatsgefährlichen Macht anzuschwellen. Wenn
eine hohe Börsensteuer mit dazu diente, diese unheilvolle Aussaugung etwas
zu beschränken, so wäre das eine freudig zu begrüßende Folge des Steuer¬
gesetzes.

Freilich ist zu fürchten, daß sich die Reichsregierung bei ihren Ent¬
schließungen von Männern Rat erteilen läßt, die im eigensten Interesse die
Verstopfung dieser ihrer Reichtumsauelle fürchten, daß also die Regierungen
schlecht beraten werden. Da nach unsrer, von der Wahrheit sicher uicht ab¬
weichenden Behauptung nur ein oder höchstens zwei Prozent aller Zeitgeschäfte
über börseumäßig gehcmdelte Werte nicht Spotgeschäfte sind, so wird die von
uns vorgeschlagne Steuer auf solches Glücksspiel immer noch sehr niedrig er¬
scheinen, wenn mau damit den Neichsstempel vergleicht, der auf das Lvtterie-
spiel erhoben wird.

Von einer Kontingentirung der Börsensteuer, d. h. der Auferlegung be¬
stimmter Summen, auf die einzelnen Börsen, deren Mitglieder die Aufbringung
unter sich auszumachen Hütten, kann, wenn der ernstliche Wille besteht, eine


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[0406] Weiteres zur Steuerfrage und zur Lincmzreform Deshalb werden so viele Unkundige von jobberhaften Kommissionären zu Zeit¬ geschäften überredet und um ihr und ihrer Familien Vermögen und um die ganze Existenz gebracht. Die Zahl der so vernichteten Familien ist weit großer, als gewöhnlich angenommen wird. In Monte Carlo endet allerdings in vielen Fällen ein Selbstmord das Elend derer, die in wahnsinniger Weise ihr ganzes Hab und Gut bar mit an deu Spieltisch geschleppt haben, weil der Verlust meist in kürzester Zeit und plötzlich, im jähesten Wechsel eintritt. Die nicht minder schweren Verluste an der Terminbörse vollziehen sich etwas langsamer. Der Verlierer begeht nicht Selbstmord, er erliegt einem Verfall aller geistigen und körperlichen Kräfte aus Gram, daß er mit den Seinen an den Bettelstab gebracht worden ist. Eine völlig unzutreffende Verteidigung der Zeitgeschäfte wird dadurch ver¬ sucht, daß man sagt, durch sie allein werde es möglich, daß in Zeiten großer Krisen und Kursschwankungen überhaupt noch Geschäfte zu stände kommen, und daß uicht alle Kurse sofort ins Bodenlose fallen. Daran ist etwas wahres. Denn Wertpapiere, in denen nur Kassengeschäfte abgeschlossen werden, fallen in solchen Zeiten viel mehr. Aber daß in solchen Krisen bei Wertpapieren, die auf Zeit gehandelt werden, wenigstens wenn ein Deckungsbedürfnis aus Leerverküufen besteht, anfänglich noch einige Geschäfte gemacht werden und der Kurssturz etwas verlangsamt wird, das hat doch nur den Erfolg, daß die großen Bankgeschäfte noch Gelegenheit haben, an das dumme, vertrauensselige Privatpnblikum ihre Bestände loszuschlagen. Ist das gelungen, dann folgt der gewaltige Kurssturz auch solcher Papiere. Die Terminbörsen sind die Vcunphre, dnrch die der sauer verdiente Spar- pfennig der arbeitsamen Bevölkerung in die Kassen der großen Finanzmänner geleitet wird, um da zu einer staatsgefährlichen Macht anzuschwellen. Wenn eine hohe Börsensteuer mit dazu diente, diese unheilvolle Aussaugung etwas zu beschränken, so wäre das eine freudig zu begrüßende Folge des Steuer¬ gesetzes. Freilich ist zu fürchten, daß sich die Reichsregierung bei ihren Ent¬ schließungen von Männern Rat erteilen läßt, die im eigensten Interesse die Verstopfung dieser ihrer Reichtumsauelle fürchten, daß also die Regierungen schlecht beraten werden. Da nach unsrer, von der Wahrheit sicher uicht ab¬ weichenden Behauptung nur ein oder höchstens zwei Prozent aller Zeitgeschäfte über börseumäßig gehcmdelte Werte nicht Spotgeschäfte sind, so wird die von uns vorgeschlagne Steuer auf solches Glücksspiel immer noch sehr niedrig er¬ scheinen, wenn mau damit den Neichsstempel vergleicht, der auf das Lvtterie- spiel erhoben wird. Von einer Kontingentirung der Börsensteuer, d. h. der Auferlegung be¬ stimmter Summen, auf die einzelnen Börsen, deren Mitglieder die Aufbringung unter sich auszumachen Hütten, kann, wenn der ernstliche Wille besteht, eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/406>, abgerufen am 24.07.2024.