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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Edmund Dorer

andern ausgesprochen und dargestellt gesehen hat, und dichtet Variationen zu
Motiven, die nicht sein sind. Gar mancher widmet sein ganzes Leben der
Poesie, und von all seinen Erlebnissen steht in seinen Dichtungen kein Wort
zu lesen. Was ist dann noch groß zu erstaunen, wenn "manche Gelehrte,
Schriftsteller und Dichter, trotz höchst schätzbarer Werke, die sie hervorgebracht,
doch nie die gebührende Anerkennung gefunden haben, während manche Autoren
von völlig wertlosen und schülerhaften Produkten es zu Ruf und Ansehen
gebracht haben"? In den Proben eigner Dichtung, die wir in Dorers nach¬
gelassenen Schriften erhalten, fehlt der individuelle Hauch, die Signatur eignen
Lebens, von allem, was uns über ihn, seine Eindrücke und Schicksale berichtet
wird, ist beinahe nichts in diese Dichtungen übergegangen, selbst die humo¬
ristischen Katzenlieder klingen, als wären sie ein Nachhall zu Lope de Vegas
"Katzenkrieg." Dabei sind übrigens "Kater Pessimist" und "Der Frosch" sehr
hübsche Gedichte, in dem zweiten tritt der Frosch als Dozent der Ästhetik auf
und belehrt die befiederten Vögel und die bepelzten Tiere:


Das einfach Schlichte ist das wahrhaft Schiine,
Und dies bedarf nicht des bombastschen Schmucks.
Doch selten nur erreichte die Natur
Das höchste Ziel, wie wir ja klar dies schnueu.
Die Frösche dürfen solcher Gunst sich rühmen.
Wie einfach schön ist ihre Haut! Kein Haar,
Kein Federwerk verunziert deren Glattheit.
O ahmt mit Eifer unserm Vorbild nach!
Werft weg den eiteln Schmuck und den Bombast,
Die bunten Federn und die Haargebilde!
O mausert euch, enthaart euch, meine Lieben,
Daß ihr erreicht der Schönheit Ideal!

Aber solche Regungen selbständigen Geistes und eigner Anschauung bleiben
zu vereinzelt, selten weht uns der Hauch ganz unmittelbaren Lebens und Em¬
pfindens an. Und doch war Dorer seiner persönlichen Haltung und Er¬
scheinung nach ein sehr origineller Mensch, aus dem Bilde heraus, das dem
dritten Band seiner Nachlaßschriften beigegeben ist, blickt uns ein Gesicht, blicken
uns Augen entgegen, wie man ihnen nicht alle Tage begegnet. Aber die Be¬
sonderheit seines Wesens enthüllt er nur in einem Punkte. Wer die Bände
aufmerksam liest, wird bald entdecken, daß das originelle Gedicht "König Na-
miro" des ersten Bandes mit den sämtlichen Aufsätzen des dritten Bandes in
einem gemütlichen und Gedankenzusammenhänge steht. Der schweizerische Dichter
war in dem letzten Teil seines Lebens ein leidenschaftlicher Vegetarianer (die
Diät hat sich an dem Kranken, Schwerleidenden, freilich schlecht genug be¬
währt, aber wer weiß denn, ob es ihm bei andrer Kost besser ergangen wäre!)
und in Verbindung damit ein mitleidiger, gegen menschliche Grausamkeit und
sich übersehende Gleichgiltigkeit tapfer auftretender Tierfreund. Die Aufsätze


Edmund Dorer

andern ausgesprochen und dargestellt gesehen hat, und dichtet Variationen zu
Motiven, die nicht sein sind. Gar mancher widmet sein ganzes Leben der
Poesie, und von all seinen Erlebnissen steht in seinen Dichtungen kein Wort
zu lesen. Was ist dann noch groß zu erstaunen, wenn „manche Gelehrte,
Schriftsteller und Dichter, trotz höchst schätzbarer Werke, die sie hervorgebracht,
doch nie die gebührende Anerkennung gefunden haben, während manche Autoren
von völlig wertlosen und schülerhaften Produkten es zu Ruf und Ansehen
gebracht haben"? In den Proben eigner Dichtung, die wir in Dorers nach¬
gelassenen Schriften erhalten, fehlt der individuelle Hauch, die Signatur eignen
Lebens, von allem, was uns über ihn, seine Eindrücke und Schicksale berichtet
wird, ist beinahe nichts in diese Dichtungen übergegangen, selbst die humo¬
ristischen Katzenlieder klingen, als wären sie ein Nachhall zu Lope de Vegas
„Katzenkrieg." Dabei sind übrigens „Kater Pessimist" und „Der Frosch" sehr
hübsche Gedichte, in dem zweiten tritt der Frosch als Dozent der Ästhetik auf
und belehrt die befiederten Vögel und die bepelzten Tiere:


Das einfach Schlichte ist das wahrhaft Schiine,
Und dies bedarf nicht des bombastschen Schmucks.
Doch selten nur erreichte die Natur
Das höchste Ziel, wie wir ja klar dies schnueu.
Die Frösche dürfen solcher Gunst sich rühmen.
Wie einfach schön ist ihre Haut! Kein Haar,
Kein Federwerk verunziert deren Glattheit.
O ahmt mit Eifer unserm Vorbild nach!
Werft weg den eiteln Schmuck und den Bombast,
Die bunten Federn und die Haargebilde!
O mausert euch, enthaart euch, meine Lieben,
Daß ihr erreicht der Schönheit Ideal!

Aber solche Regungen selbständigen Geistes und eigner Anschauung bleiben
zu vereinzelt, selten weht uns der Hauch ganz unmittelbaren Lebens und Em¬
pfindens an. Und doch war Dorer seiner persönlichen Haltung und Er¬
scheinung nach ein sehr origineller Mensch, aus dem Bilde heraus, das dem
dritten Band seiner Nachlaßschriften beigegeben ist, blickt uns ein Gesicht, blicken
uns Augen entgegen, wie man ihnen nicht alle Tage begegnet. Aber die Be¬
sonderheit seines Wesens enthüllt er nur in einem Punkte. Wer die Bände
aufmerksam liest, wird bald entdecken, daß das originelle Gedicht „König Na-
miro" des ersten Bandes mit den sämtlichen Aufsätzen des dritten Bandes in
einem gemütlichen und Gedankenzusammenhänge steht. Der schweizerische Dichter
war in dem letzten Teil seines Lebens ein leidenschaftlicher Vegetarianer (die
Diät hat sich an dem Kranken, Schwerleidenden, freilich schlecht genug be¬
währt, aber wer weiß denn, ob es ihm bei andrer Kost besser ergangen wäre!)
und in Verbindung damit ein mitleidiger, gegen menschliche Grausamkeit und
sich übersehende Gleichgiltigkeit tapfer auftretender Tierfreund. Die Aufsätze


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[0380] Edmund Dorer andern ausgesprochen und dargestellt gesehen hat, und dichtet Variationen zu Motiven, die nicht sein sind. Gar mancher widmet sein ganzes Leben der Poesie, und von all seinen Erlebnissen steht in seinen Dichtungen kein Wort zu lesen. Was ist dann noch groß zu erstaunen, wenn „manche Gelehrte, Schriftsteller und Dichter, trotz höchst schätzbarer Werke, die sie hervorgebracht, doch nie die gebührende Anerkennung gefunden haben, während manche Autoren von völlig wertlosen und schülerhaften Produkten es zu Ruf und Ansehen gebracht haben"? In den Proben eigner Dichtung, die wir in Dorers nach¬ gelassenen Schriften erhalten, fehlt der individuelle Hauch, die Signatur eignen Lebens, von allem, was uns über ihn, seine Eindrücke und Schicksale berichtet wird, ist beinahe nichts in diese Dichtungen übergegangen, selbst die humo¬ ristischen Katzenlieder klingen, als wären sie ein Nachhall zu Lope de Vegas „Katzenkrieg." Dabei sind übrigens „Kater Pessimist" und „Der Frosch" sehr hübsche Gedichte, in dem zweiten tritt der Frosch als Dozent der Ästhetik auf und belehrt die befiederten Vögel und die bepelzten Tiere: Das einfach Schlichte ist das wahrhaft Schiine, Und dies bedarf nicht des bombastschen Schmucks. Doch selten nur erreichte die Natur Das höchste Ziel, wie wir ja klar dies schnueu. Die Frösche dürfen solcher Gunst sich rühmen. Wie einfach schön ist ihre Haut! Kein Haar, Kein Federwerk verunziert deren Glattheit. O ahmt mit Eifer unserm Vorbild nach! Werft weg den eiteln Schmuck und den Bombast, Die bunten Federn und die Haargebilde! O mausert euch, enthaart euch, meine Lieben, Daß ihr erreicht der Schönheit Ideal! Aber solche Regungen selbständigen Geistes und eigner Anschauung bleiben zu vereinzelt, selten weht uns der Hauch ganz unmittelbaren Lebens und Em¬ pfindens an. Und doch war Dorer seiner persönlichen Haltung und Er¬ scheinung nach ein sehr origineller Mensch, aus dem Bilde heraus, das dem dritten Band seiner Nachlaßschriften beigegeben ist, blickt uns ein Gesicht, blicken uns Augen entgegen, wie man ihnen nicht alle Tage begegnet. Aber die Be¬ sonderheit seines Wesens enthüllt er nur in einem Punkte. Wer die Bände aufmerksam liest, wird bald entdecken, daß das originelle Gedicht „König Na- miro" des ersten Bandes mit den sämtlichen Aufsätzen des dritten Bandes in einem gemütlichen und Gedankenzusammenhänge steht. Der schweizerische Dichter war in dem letzten Teil seines Lebens ein leidenschaftlicher Vegetarianer (die Diät hat sich an dem Kranken, Schwerleidenden, freilich schlecht genug be¬ währt, aber wer weiß denn, ob es ihm bei andrer Kost besser ergangen wäre!) und in Verbindung damit ein mitleidiger, gegen menschliche Grausamkeit und sich übersehende Gleichgiltigkeit tapfer auftretender Tierfreund. Die Aufsätze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/380>, abgerufen am 04.07.2024.