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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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außerordentlich praktisch werden können -- man denke an die sogenannten
Militärexzesse --, die Entscheidung in die Hände eines obersten, vielleicht durch
bürgerliche Richter verstärkten Militärgerichtshofs zu legen. Die Entscheidung
darüber, ob die Ergebnisse der Vorerörternngen ausreichen, den Angeklagten
vor das urteilende Gericht zu stellen, ist in Vaiern dem militärischen Befehls¬
haber entzogen und einem Dreirichterkolleginm übertragen, Auch der bürger¬
liche Prozeß erfordert eine besondre richterliche Entscheidung über Eröffnung
des Hanptverfahrcns. Freilich ist es eine alte Klage, daß diese Entscheidung
zu leicht genommen werde, und von angesehener Seite wird die Meinung ver¬
treten, daß die Anklagebefngnis der Staatsanwaltschaft so weit reichen solle,
den Angeklagten unmittelbar vor das urteilende Gericht zu stellen. Militärisch
wäre dies um so unbedenklicher, als der Anklagestand auf dem militärischen Be¬
schuldigten regelmäßig nicht so schwer lastet, wie auf dem bürgerlichen An¬
geklagten. Selbst die Haft trifft den Soldaten nie so schwer, wie den aus den
bürgerlichen Verhältnissen herausgerissenen Untersnchungsgefangnen. Immerhin
verdient die bairische Einrichtung den Vorzug. Auch dem außer Verfolgung
gesetzten Angeklagten muß daran gelegen sein, daß seine Unschuld nicht bloß
vom Vorgesetzten, sondern von einer unparteiischen richterlichen Instanz an¬
erkannt wird. Gegen ungerechtfertigte Einstellungen aber ist ein Rechtsmittel
des Verletzten oder des von den Befehlen des Vorgesetzten abhängigen Militär¬
staatsanwalts leicht herzustellen. Die vielnmstrittene Bestätigung der Urteile
sieht schlimmer aus, als sie ist. Das Urteil zu schärfen ist dem Gerichtsherrn
ausdrücklich untersagt. Noch weniger kann er an Stelle eines freisprechenden
ein verurteilendes Erkenntnis setzen, oder umgekehrt. Das Recht der Straf¬
milderung ist aber im Grunde nichts andres, als das von ihm selbst aus¬
geübte oder an deu betreffende" Befehlshaber delegirte Begnadigungsrecht des
obersten Kriegsherrn, Praktisch läuft also das Bestätignngsrecht des Gerichts¬
herrn darauf hinaus, daß ihm, allerdings nur ihm allein, ermöglicht ist, die
Sache durch ein neues Gericht aburteilen zu lassen, also seinem Wesen nach
nichts andres, als das, was im bürgerlichen Recht mit der Berufung be¬
zweckt wird. Es scheint daher mehr Formfrage, ob man es bei dem Bestüti-
guugsrecht lassen oder statt dessen in gewissem Umfange die Berufung zulassen
soll. v. Marck will die Bestätigung aller gegen Offiziere ergangnen Straf¬
urteile durch den Kriegsherrn in jedem Falle beibehalten wissen.

Die Frage der Ständigkeit und überhaupt der Zusammensetzung der Spruch¬
gerichte dürfte bei einer Neugestaltung des militärischen Strafverfahrens schwer¬
lich besondern Schwierigkeiten begegnen. Niemand denkt daran, die Gerichts¬
barkeit ausschließlich in die Hunde gelehrter Militärrichter, der Anditeure, zu
lege". Die mit fünf juristischen Richtern besetzten bürgerlichen Strafkammern
werden wohl nirgends besser als in ihrem eignen Schoße als eine auf die Dauer
unhaltbare Einrichtung erkannt. Die Nichterklassen des preußischen und die


außerordentlich praktisch werden können — man denke an die sogenannten
Militärexzesse —, die Entscheidung in die Hände eines obersten, vielleicht durch
bürgerliche Richter verstärkten Militärgerichtshofs zu legen. Die Entscheidung
darüber, ob die Ergebnisse der Vorerörternngen ausreichen, den Angeklagten
vor das urteilende Gericht zu stellen, ist in Vaiern dem militärischen Befehls¬
haber entzogen und einem Dreirichterkolleginm übertragen, Auch der bürger¬
liche Prozeß erfordert eine besondre richterliche Entscheidung über Eröffnung
des Hanptverfahrcns. Freilich ist es eine alte Klage, daß diese Entscheidung
zu leicht genommen werde, und von angesehener Seite wird die Meinung ver¬
treten, daß die Anklagebefngnis der Staatsanwaltschaft so weit reichen solle,
den Angeklagten unmittelbar vor das urteilende Gericht zu stellen. Militärisch
wäre dies um so unbedenklicher, als der Anklagestand auf dem militärischen Be¬
schuldigten regelmäßig nicht so schwer lastet, wie auf dem bürgerlichen An¬
geklagten. Selbst die Haft trifft den Soldaten nie so schwer, wie den aus den
bürgerlichen Verhältnissen herausgerissenen Untersnchungsgefangnen. Immerhin
verdient die bairische Einrichtung den Vorzug. Auch dem außer Verfolgung
gesetzten Angeklagten muß daran gelegen sein, daß seine Unschuld nicht bloß
vom Vorgesetzten, sondern von einer unparteiischen richterlichen Instanz an¬
erkannt wird. Gegen ungerechtfertigte Einstellungen aber ist ein Rechtsmittel
des Verletzten oder des von den Befehlen des Vorgesetzten abhängigen Militär¬
staatsanwalts leicht herzustellen. Die vielnmstrittene Bestätigung der Urteile
sieht schlimmer aus, als sie ist. Das Urteil zu schärfen ist dem Gerichtsherrn
ausdrücklich untersagt. Noch weniger kann er an Stelle eines freisprechenden
ein verurteilendes Erkenntnis setzen, oder umgekehrt. Das Recht der Straf¬
milderung ist aber im Grunde nichts andres, als das von ihm selbst aus¬
geübte oder an deu betreffende» Befehlshaber delegirte Begnadigungsrecht des
obersten Kriegsherrn, Praktisch läuft also das Bestätignngsrecht des Gerichts¬
herrn darauf hinaus, daß ihm, allerdings nur ihm allein, ermöglicht ist, die
Sache durch ein neues Gericht aburteilen zu lassen, also seinem Wesen nach
nichts andres, als das, was im bürgerlichen Recht mit der Berufung be¬
zweckt wird. Es scheint daher mehr Formfrage, ob man es bei dem Bestüti-
guugsrecht lassen oder statt dessen in gewissem Umfange die Berufung zulassen
soll. v. Marck will die Bestätigung aller gegen Offiziere ergangnen Straf¬
urteile durch den Kriegsherrn in jedem Falle beibehalten wissen.

Die Frage der Ständigkeit und überhaupt der Zusammensetzung der Spruch¬
gerichte dürfte bei einer Neugestaltung des militärischen Strafverfahrens schwer¬
lich besondern Schwierigkeiten begegnen. Niemand denkt daran, die Gerichts¬
barkeit ausschließlich in die Hunde gelehrter Militärrichter, der Anditeure, zu
lege». Die mit fünf juristischen Richtern besetzten bürgerlichen Strafkammern
werden wohl nirgends besser als in ihrem eignen Schoße als eine auf die Dauer
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/372>, abgerufen am 24.07.2024.