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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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vie Landarbeiterfrage

hältnis verpflichteten Personen in Form der Frohndienste oder des Zwangs-
gcsindedienstes verrichtet. 3. Personen, die aus freiem Willen, d. h. ohne durch
das Unterthänigkeitsverhältnis unmittelbar oder mittelbar hierzu verpflichtet
zu sein, ländliche Tagelohnarbeit leisteten und sich hierdurch ihren Lebens¬
unterhalt vorzugsweise oder ausschließlich erwarben, gab es überhaupt nicht
oder doch nur in verschwindend geringer Anzahl. Die als ländliche Tage¬
löhner beschäftigten Personen waren weit überwiegend Glieder des Bauern¬
standes, die zur Zeit keine unmittelbaren Dienstverpflichtungen gegen ihre
Herrschaft hatten und sich deshalb in der Lage befanden, sei es bei der Herr¬
schaft, sei es bei Fremden Tagelohnverdienst zu suchen. 4. In dem Bauern¬
stande des achtzehnten Jahrhunderts waren die beiden jetzt getrennten Be-
völkernngsklassen, die Bauern und ländlichen Arbeiter, mit einander vereinigt.
5. Einen besondern ländlichen Arbeiterstand gab es im achtzehnten Jahrhundert
nicht; dieser bildete sich erst als eine Folge der Bauernbefreiung, die eine Auf¬
hebung der Frohndienste sowie des Zwangsgesindedienstes der Bauern herbei¬
führte und damit die Bildung einer von den Bauern getrennten Volksklasse,
der Landarbeiter, notwendig machte.

In dem zweiten Abschnitt seines Buches zeigt der Verfasser, wie diese
neue Menschenklasse entstand, und wie sich ihre Schicksale gestalteten. Nach¬
dem vom Jahre 1799 ab mit den Domänenbauern der Anfang gemacht worden
war, erklärte das berühmte Edikt vom 9. Oktober 1807, daß am Martinitage
1810 alle Gutsunterthänigkeit im ganzen preußischen Staate aufhören solle-
Das Edikt vom 14. September 1811 sodann über die Regulirung der guts-
herrlichen und bäuerlichen Verhältnisse bestimmte, daß die Bauern, die nun
ihre Höfe als freies Eigentum besaßen, zur Entschädigung für die ausgehöhlten
Lasten einen Teil ihres Ackers an den bisherigen Grundherrn abzutreten hätten,
und zwar von erblichen Bauerngütern ein Drittel, von nicht erblichen die
Hälfte. Auf vielfältige Beschwerden der Gutsherren wurde endlich durch die
Deklaration vom 29. Mai 1816 die Reguliruugsfähigkeit auf die spaunfühigcn
Güter eingeschränkt, die übrigen, also die zu klein waren, Pferde halten zu
können, sollten ausgeschlossen bleiben. Diese wurden nnn in den nächsten
Jahrzehnten größtenteils von den Gutsherren eingezogen, und so wurden ihre
Inhaber in besitzlose Lohnarbeiter verwandelt. Deren Zahl vermehrte sich
dann später durch Justleute, die aus den noch anzuführenden Ursachen eine
oder einige Stufen tiefer sanken. So entstand die moderne große Guts-
wirtschaft und gleichzeitig mit ihr die Arbeiterschaft, die sie brauchte. Die in
der Feudalzeit kleine Wirtschaft des Gutsherrn wurde vergrößert einerseits
durch die von den regulirten Höfen abgetretenen Landflächen, andrerseits durch
die Einziehung der kleinern Stellen, und durch diese Einziehung wurde zu¬
gleich die Arbeitermenge geschaffen, die zur Bebauung des der Frohndeu be¬
raubten und noch dazu vergrößerten Ritterguts notwendig war. Daß erst


vie Landarbeiterfrage

hältnis verpflichteten Personen in Form der Frohndienste oder des Zwangs-
gcsindedienstes verrichtet. 3. Personen, die aus freiem Willen, d. h. ohne durch
das Unterthänigkeitsverhältnis unmittelbar oder mittelbar hierzu verpflichtet
zu sein, ländliche Tagelohnarbeit leisteten und sich hierdurch ihren Lebens¬
unterhalt vorzugsweise oder ausschließlich erwarben, gab es überhaupt nicht
oder doch nur in verschwindend geringer Anzahl. Die als ländliche Tage¬
löhner beschäftigten Personen waren weit überwiegend Glieder des Bauern¬
standes, die zur Zeit keine unmittelbaren Dienstverpflichtungen gegen ihre
Herrschaft hatten und sich deshalb in der Lage befanden, sei es bei der Herr¬
schaft, sei es bei Fremden Tagelohnverdienst zu suchen. 4. In dem Bauern¬
stande des achtzehnten Jahrhunderts waren die beiden jetzt getrennten Be-
völkernngsklassen, die Bauern und ländlichen Arbeiter, mit einander vereinigt.
5. Einen besondern ländlichen Arbeiterstand gab es im achtzehnten Jahrhundert
nicht; dieser bildete sich erst als eine Folge der Bauernbefreiung, die eine Auf¬
hebung der Frohndienste sowie des Zwangsgesindedienstes der Bauern herbei¬
führte und damit die Bildung einer von den Bauern getrennten Volksklasse,
der Landarbeiter, notwendig machte.

In dem zweiten Abschnitt seines Buches zeigt der Verfasser, wie diese
neue Menschenklasse entstand, und wie sich ihre Schicksale gestalteten. Nach¬
dem vom Jahre 1799 ab mit den Domänenbauern der Anfang gemacht worden
war, erklärte das berühmte Edikt vom 9. Oktober 1807, daß am Martinitage
1810 alle Gutsunterthänigkeit im ganzen preußischen Staate aufhören solle-
Das Edikt vom 14. September 1811 sodann über die Regulirung der guts-
herrlichen und bäuerlichen Verhältnisse bestimmte, daß die Bauern, die nun
ihre Höfe als freies Eigentum besaßen, zur Entschädigung für die ausgehöhlten
Lasten einen Teil ihres Ackers an den bisherigen Grundherrn abzutreten hätten,
und zwar von erblichen Bauerngütern ein Drittel, von nicht erblichen die
Hälfte. Auf vielfältige Beschwerden der Gutsherren wurde endlich durch die
Deklaration vom 29. Mai 1816 die Reguliruugsfähigkeit auf die spaunfühigcn
Güter eingeschränkt, die übrigen, also die zu klein waren, Pferde halten zu
können, sollten ausgeschlossen bleiben. Diese wurden nnn in den nächsten
Jahrzehnten größtenteils von den Gutsherren eingezogen, und so wurden ihre
Inhaber in besitzlose Lohnarbeiter verwandelt. Deren Zahl vermehrte sich
dann später durch Justleute, die aus den noch anzuführenden Ursachen eine
oder einige Stufen tiefer sanken. So entstand die moderne große Guts-
wirtschaft und gleichzeitig mit ihr die Arbeiterschaft, die sie brauchte. Die in
der Feudalzeit kleine Wirtschaft des Gutsherrn wurde vergrößert einerseits
durch die von den regulirten Höfen abgetretenen Landflächen, andrerseits durch
die Einziehung der kleinern Stellen, und durch diese Einziehung wurde zu¬
gleich die Arbeitermenge geschaffen, die zur Bebauung des der Frohndeu be¬
raubten und noch dazu vergrößerten Ritterguts notwendig war. Daß erst


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[0360] vie Landarbeiterfrage hältnis verpflichteten Personen in Form der Frohndienste oder des Zwangs- gcsindedienstes verrichtet. 3. Personen, die aus freiem Willen, d. h. ohne durch das Unterthänigkeitsverhältnis unmittelbar oder mittelbar hierzu verpflichtet zu sein, ländliche Tagelohnarbeit leisteten und sich hierdurch ihren Lebens¬ unterhalt vorzugsweise oder ausschließlich erwarben, gab es überhaupt nicht oder doch nur in verschwindend geringer Anzahl. Die als ländliche Tage¬ löhner beschäftigten Personen waren weit überwiegend Glieder des Bauern¬ standes, die zur Zeit keine unmittelbaren Dienstverpflichtungen gegen ihre Herrschaft hatten und sich deshalb in der Lage befanden, sei es bei der Herr¬ schaft, sei es bei Fremden Tagelohnverdienst zu suchen. 4. In dem Bauern¬ stande des achtzehnten Jahrhunderts waren die beiden jetzt getrennten Be- völkernngsklassen, die Bauern und ländlichen Arbeiter, mit einander vereinigt. 5. Einen besondern ländlichen Arbeiterstand gab es im achtzehnten Jahrhundert nicht; dieser bildete sich erst als eine Folge der Bauernbefreiung, die eine Auf¬ hebung der Frohndienste sowie des Zwangsgesindedienstes der Bauern herbei¬ führte und damit die Bildung einer von den Bauern getrennten Volksklasse, der Landarbeiter, notwendig machte. In dem zweiten Abschnitt seines Buches zeigt der Verfasser, wie diese neue Menschenklasse entstand, und wie sich ihre Schicksale gestalteten. Nach¬ dem vom Jahre 1799 ab mit den Domänenbauern der Anfang gemacht worden war, erklärte das berühmte Edikt vom 9. Oktober 1807, daß am Martinitage 1810 alle Gutsunterthänigkeit im ganzen preußischen Staate aufhören solle- Das Edikt vom 14. September 1811 sodann über die Regulirung der guts- herrlichen und bäuerlichen Verhältnisse bestimmte, daß die Bauern, die nun ihre Höfe als freies Eigentum besaßen, zur Entschädigung für die ausgehöhlten Lasten einen Teil ihres Ackers an den bisherigen Grundherrn abzutreten hätten, und zwar von erblichen Bauerngütern ein Drittel, von nicht erblichen die Hälfte. Auf vielfältige Beschwerden der Gutsherren wurde endlich durch die Deklaration vom 29. Mai 1816 die Reguliruugsfähigkeit auf die spaunfühigcn Güter eingeschränkt, die übrigen, also die zu klein waren, Pferde halten zu können, sollten ausgeschlossen bleiben. Diese wurden nnn in den nächsten Jahrzehnten größtenteils von den Gutsherren eingezogen, und so wurden ihre Inhaber in besitzlose Lohnarbeiter verwandelt. Deren Zahl vermehrte sich dann später durch Justleute, die aus den noch anzuführenden Ursachen eine oder einige Stufen tiefer sanken. So entstand die moderne große Guts- wirtschaft und gleichzeitig mit ihr die Arbeiterschaft, die sie brauchte. Die in der Feudalzeit kleine Wirtschaft des Gutsherrn wurde vergrößert einerseits durch die von den regulirten Höfen abgetretenen Landflächen, andrerseits durch die Einziehung der kleinern Stellen, und durch diese Einziehung wurde zu¬ gleich die Arbeitermenge geschaffen, die zur Bebauung des der Frohndeu be¬ raubten und noch dazu vergrößerten Ritterguts notwendig war. Daß erst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/360>, abgerufen am 22.07.2024.