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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Aussichte" der Reichssteueru

folgten Verkauf des Fürstentums Lichtenberg an Preußen erwuchs und aus
Gütern in den Provinzen Posen und Sachsen fließen. Deutschland gewährt
also, indem sich in den einzelnen Staaten altes landesherrliches und neues ver¬
fassungsmüßiges Recht vertragen haben, seinen zweinndzwanzig erblich regie¬
renden Herren nachweisbar zusammen über 40 Millionen Mark an Einkünften;
was darüber hinausgeht, ist dem Uneingeweihten schwer zu ermitteln.

Wir wissen recht gut, welche Bedeutung die Einzelposten dieses ansehn¬
lichen nationalen Aufwandes für das wirtschaftliche Leben der zweinndzwanzig
Staaten haben. Noscher spricht, indem er eine Gutmütigkeit und Anhänglich¬
keit der Staatsbürger an ihr angestammtes Herrscherhaus voraussetzt, wie sie
angesichts der freisinnige" Reichstags-, Landtags- und Stadtverordnetenwahlen
in Berlin, der sozialdemokratischen Neichstagswahlen in Berlin, München,
Gotha und Gera nicht mehr ungeschmälert angetroffen werden, höchst liebens¬
würdig von den Bedingungen, unter denen "das Auge des Volks" auf der
Haus- und Hofhaltung seines Fürsten "mit Achtung und Freude" ruhen
könne, jedermann, der für den Hof arbeite, es "mit Stolz und Freude" thun
werde. (Finanzwissenschaft S. 482.) Daß aber weder Röscher noch Lorenz
von Stein die Steuerfreiheit der Höfe, obgleich beide Gelehrten bei der Er¬
örterung der lange beibehaltenen und endlich abgeschafften ritterschaftlichen
Steuerfreiheit nahe bei ihr vorbeikamen, auch nur erwähnt, ist deshalb noch
keine Rechtfertigung oder Verteidigung derselben.

Mag aber das alles auf sich beruhen. Unsre fürstlichen Staatsober¬
häupter sind Fürsten des deutschen Reichs geworden. Wir möchten sie weder
als Rcichsunterthanen noch als Neichsoberhäupter betrachten, obgleich zu dem
einen allenfalls die Reichsverfassung, zum andern ohne Zweifel der Reichs-
begrisf Anlaß böte. Jedenfalls sind unsre fürstlichen Staatsoberhäupter seit
1871 so gut wie wir als Neichsangehörige und Neichsbürger anzusehen. Oder
würden sie es in Abrede stellen? In der Reichsverfassung Artikel 57 heißt
es: "Jeder ^dazu taugliches Deutsche ist wehrpflichtig." Zur Zeit des Bundes¬
tags erstreckte sich die Wehrpflicht nicht auf die Landesherren und ihre Söhne,
auch nicht auf die Mediatisirten, aber sie alle betrachteten es als Ehrensache,
dem Militär anzugehören. Ganz herkömmlich tragen die Söhne des Königs
von Preußen von Kindesbeinen an den Soldatenrock. Nicht minder sollte es
in der Reichsverfassung heißen: "Jeder bemittelte Deutsche ist steuerpflichtig."
Die Vertreter der Partikularrechte mögen unbesorgt sein, wir würden das nnr
auf die vorhandnen oder noch kommenden Neichsstenern beziehen. Und sollte
es nicht Ehre und Ehrenpflicht sein, diese Steuern zu entrichten? Friedrich
Wilhelm, der große Kurfürst, hielt vom deutscheu Reiche nicht viel, ihm war
Brandenburg das Reich. Als er aber 1677 seinen Unterthanen eine hohe
Kopfsteuer auferlegte, war es ihm Ehrensache, Beispielssache, sich und sein
Hans der Steuer ebenfalls zu unterziehen. Unmöglich kann die Würde unsrer


Die Aussichte» der Reichssteueru

folgten Verkauf des Fürstentums Lichtenberg an Preußen erwuchs und aus
Gütern in den Provinzen Posen und Sachsen fließen. Deutschland gewährt
also, indem sich in den einzelnen Staaten altes landesherrliches und neues ver¬
fassungsmüßiges Recht vertragen haben, seinen zweinndzwanzig erblich regie¬
renden Herren nachweisbar zusammen über 40 Millionen Mark an Einkünften;
was darüber hinausgeht, ist dem Uneingeweihten schwer zu ermitteln.

Wir wissen recht gut, welche Bedeutung die Einzelposten dieses ansehn¬
lichen nationalen Aufwandes für das wirtschaftliche Leben der zweinndzwanzig
Staaten haben. Noscher spricht, indem er eine Gutmütigkeit und Anhänglich¬
keit der Staatsbürger an ihr angestammtes Herrscherhaus voraussetzt, wie sie
angesichts der freisinnige« Reichstags-, Landtags- und Stadtverordnetenwahlen
in Berlin, der sozialdemokratischen Neichstagswahlen in Berlin, München,
Gotha und Gera nicht mehr ungeschmälert angetroffen werden, höchst liebens¬
würdig von den Bedingungen, unter denen „das Auge des Volks" auf der
Haus- und Hofhaltung seines Fürsten „mit Achtung und Freude" ruhen
könne, jedermann, der für den Hof arbeite, es „mit Stolz und Freude" thun
werde. (Finanzwissenschaft S. 482.) Daß aber weder Röscher noch Lorenz
von Stein die Steuerfreiheit der Höfe, obgleich beide Gelehrten bei der Er¬
örterung der lange beibehaltenen und endlich abgeschafften ritterschaftlichen
Steuerfreiheit nahe bei ihr vorbeikamen, auch nur erwähnt, ist deshalb noch
keine Rechtfertigung oder Verteidigung derselben.

Mag aber das alles auf sich beruhen. Unsre fürstlichen Staatsober¬
häupter sind Fürsten des deutschen Reichs geworden. Wir möchten sie weder
als Rcichsunterthanen noch als Neichsoberhäupter betrachten, obgleich zu dem
einen allenfalls die Reichsverfassung, zum andern ohne Zweifel der Reichs-
begrisf Anlaß böte. Jedenfalls sind unsre fürstlichen Staatsoberhäupter seit
1871 so gut wie wir als Neichsangehörige und Neichsbürger anzusehen. Oder
würden sie es in Abrede stellen? In der Reichsverfassung Artikel 57 heißt
es: „Jeder ^dazu taugliches Deutsche ist wehrpflichtig." Zur Zeit des Bundes¬
tags erstreckte sich die Wehrpflicht nicht auf die Landesherren und ihre Söhne,
auch nicht auf die Mediatisirten, aber sie alle betrachteten es als Ehrensache,
dem Militär anzugehören. Ganz herkömmlich tragen die Söhne des Königs
von Preußen von Kindesbeinen an den Soldatenrock. Nicht minder sollte es
in der Reichsverfassung heißen: „Jeder bemittelte Deutsche ist steuerpflichtig."
Die Vertreter der Partikularrechte mögen unbesorgt sein, wir würden das nnr
auf die vorhandnen oder noch kommenden Neichsstenern beziehen. Und sollte
es nicht Ehre und Ehrenpflicht sein, diese Steuern zu entrichten? Friedrich
Wilhelm, der große Kurfürst, hielt vom deutscheu Reiche nicht viel, ihm war
Brandenburg das Reich. Als er aber 1677 seinen Unterthanen eine hohe
Kopfsteuer auferlegte, war es ihm Ehrensache, Beispielssache, sich und sein
Hans der Steuer ebenfalls zu unterziehen. Unmöglich kann die Würde unsrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/350>, abgerufen am 22.07.2024.