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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

endlich klar, daß es keine Schande ist, von den Rcklmneolättern als reaktionär,
als befangen in Sonderinteressen, als unduldsam, mit einem Wort als anti¬
semitisch verschrieen zu werden.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Symbiose.

Vor einiger Zeit wurde in den Grenzboten die Ansicht aus¬
gesprochen: Wucherer wie die westdeutsche" Güterschlächtcr und Viehhändler müßten
allerdings bestraft werden, nicht um den dortigen Bauernstand zu retten, wozu
untre, positive Maßregeln gehören würden, sondern weil doch eben eine Schädi¬
gung des Nächsten, bei der es nicht heißen könne: votoirti nun lit iunni^, uicht
ungestraft bleiben dürfe, und weil das Treiben der gemeingefährlichen Menschenklnsse,
um die es sich dabei handelt, gebrandnuirkt werden müsse; dagegen widerfahre
dem Liederlichen, der sich an den Halsabschneider wendet, von diesem nur sein Recht,
und der Staat habe keine Veranlassung, sich des einen gegen den andern anzu¬
nehmen. Wie richtig der zweite Teil dieser Ansicht ist, hat jeder Tag der Ver¬
handlung in Hannover gezeigt. Als schutzbedürftige Waisenknaben wird die alten
Generäle und Rittergutsbesitzer, die dort als Zeugen auftreten, doch niemand hin¬
stellen wollen. Auf Kavalier reimt sich Vamphr; keine dieser beiden Arten von
Tierchen kann ohne die andre leben, und kann oder will man die Kavaliere nicht
ausrotte", so wird man ihnen wohl oder übel die Vampyre, die ja andern Ge¬
schöpfe" nichts thun -- wer vo" "us Greuzboteuleuteu hätte wohl vo" Seemann
und Genossen etwas zu fürchten! -- so wird man ihnen also dieses Ungeziefer
lassen müssen. Und dann: wie kommt der Staat dazu, das Falschspieler zu be¬
strafen? Er erkennt den Spielvertrag nicht an (daher kommt es ja, daß Spiel¬
schulden Ehrenschulden sind), folglich geht ihn die Verletzung dieses Vertrages durch
Betrug so wenig etwas an, wie die durch Nichtbezahlung der Spielschuld. Ja
der Staat verbietet sogar das Hazardspiel. (Daß er uicht den Spieler bestraft,
sondern den Wirt, bei dem gespielt wird, daß er selbst durch seine Lotterie zum
Spiel verleitet, daß er dann wiederum das Spielen in den "ausländischen," d. h.
in der sächsischen, der braunschweigische" u. s, w., Laudeslotterieu verbietet, gehört
zu den zahllosen Widersprüchen, in die sich unsre Strafgesetzgebung rat- und hilflos
verwickelt hat.) Wie kann er den Spieler in Schutz nehme" gegen den Spiel-
genossen, der ihn bei der verbotnen Handlung bemogelt? Das ist ja gerade so, wie
wenn er einen Spitzbuben davor schützen wollte, von seinen Diebsgenossen bei der
Teilung der Bente übervorteilt zu werden! In volkswirtschaftlicher und sozialer
Beziehung aber ist es ganz gleichgiltig, ob der Spieler sein Geld an el"en ehr¬
liche" oder an einen ""ehrlichen Mitspieler verliert. Ja, wenn durch die Bestra-
s"ug des falschen Spielers das Geld gezwungen werden könnte, an die Stellen zu
flüchte", wo es von Rechts wegen hingehört! Aber daran ist ja gar nicht zu
deuten! "Ich sagte mir -- so äußert sich der Zeuge Graf Sierstorpff --, es ist
gleichgiltig, ob ich "ach Monaco gehe oder zu Samuel Seeina""." Was el" rieb-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

endlich klar, daß es keine Schande ist, von den Rcklmneolättern als reaktionär,
als befangen in Sonderinteressen, als unduldsam, mit einem Wort als anti¬
semitisch verschrieen zu werden.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Symbiose.

Vor einiger Zeit wurde in den Grenzboten die Ansicht aus¬
gesprochen: Wucherer wie die westdeutsche» Güterschlächtcr und Viehhändler müßten
allerdings bestraft werden, nicht um den dortigen Bauernstand zu retten, wozu
untre, positive Maßregeln gehören würden, sondern weil doch eben eine Schädi¬
gung des Nächsten, bei der es nicht heißen könne: votoirti nun lit iunni^, uicht
ungestraft bleiben dürfe, und weil das Treiben der gemeingefährlichen Menschenklnsse,
um die es sich dabei handelt, gebrandnuirkt werden müsse; dagegen widerfahre
dem Liederlichen, der sich an den Halsabschneider wendet, von diesem nur sein Recht,
und der Staat habe keine Veranlassung, sich des einen gegen den andern anzu¬
nehmen. Wie richtig der zweite Teil dieser Ansicht ist, hat jeder Tag der Ver¬
handlung in Hannover gezeigt. Als schutzbedürftige Waisenknaben wird die alten
Generäle und Rittergutsbesitzer, die dort als Zeugen auftreten, doch niemand hin¬
stellen wollen. Auf Kavalier reimt sich Vamphr; keine dieser beiden Arten von
Tierchen kann ohne die andre leben, und kann oder will man die Kavaliere nicht
ausrotte», so wird man ihnen wohl oder übel die Vampyre, die ja andern Ge¬
schöpfe» nichts thun — wer vo» »us Greuzboteuleuteu hätte wohl vo» Seemann
und Genossen etwas zu fürchten! — so wird man ihnen also dieses Ungeziefer
lassen müssen. Und dann: wie kommt der Staat dazu, das Falschspieler zu be¬
strafen? Er erkennt den Spielvertrag nicht an (daher kommt es ja, daß Spiel¬
schulden Ehrenschulden sind), folglich geht ihn die Verletzung dieses Vertrages durch
Betrug so wenig etwas an, wie die durch Nichtbezahlung der Spielschuld. Ja
der Staat verbietet sogar das Hazardspiel. (Daß er uicht den Spieler bestraft,
sondern den Wirt, bei dem gespielt wird, daß er selbst durch seine Lotterie zum
Spiel verleitet, daß er dann wiederum das Spielen in den „ausländischen," d. h.
in der sächsischen, der braunschweigische» u. s, w., Laudeslotterieu verbietet, gehört
zu den zahllosen Widersprüchen, in die sich unsre Strafgesetzgebung rat- und hilflos
verwickelt hat.) Wie kann er den Spieler in Schutz nehme» gegen den Spiel-
genossen, der ihn bei der verbotnen Handlung bemogelt? Das ist ja gerade so, wie
wenn er einen Spitzbuben davor schützen wollte, von seinen Diebsgenossen bei der
Teilung der Bente übervorteilt zu werden! In volkswirtschaftlicher und sozialer
Beziehung aber ist es ganz gleichgiltig, ob der Spieler sein Geld an el»en ehr¬
liche» oder an einen »»ehrlichen Mitspieler verliert. Ja, wenn durch die Bestra-
s»ug des falschen Spielers das Geld gezwungen werden könnte, an die Stellen zu
flüchte», wo es von Rechts wegen hingehört! Aber daran ist ja gar nicht zu
deuten! „Ich sagte mir — so äußert sich der Zeuge Graf Sierstorpff —, es ist
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/340>, abgerufen am 04.07.2024.