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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Das Königreich Westfalen

scheut wurde. Besonders bedauerlich erscheint es. daß sich als Agenten nied¬
rigster Art vielfach Deutsche benutzen ließen. Wie ein Schandfleck des deutschen
Namens kommt es uns vor. wenn der Chef der westfälischen Polizei rühmend
schreibt: ..Die Deutschen sind eifriger im Dcnunziren. im Entdecken, im Ge¬
heimnisse verraten; darf ich so sagen, sie rapportiren besser." Natürlich war
dieser Klasse von Menschen nichts heilig. Selbst die durch das Völkerrecht
geheiligte Wohnung der fremden Gesandten war der Polizei keine Achtung ge¬
bietende Grenze Sie schleppte einen Diener des sächsischen Gesandten ohne
Wissen seines 5errn hinweg. Natürlich ergaben sich daraus diplomatische
Weiterungen. Daß es dabei auch oft zu Verhaftungen Unschuldiger kam. ist
nicht zu 'verwundern. So wurde der Berghauptmann von Medmg geheimer
Beziehunqeu zu England beschuldigt und eine strenge Haussuchung bei ihm
gehalten. Aber trotz aller Mühen konnte nichts gefunden werden; ebenso wenig
gelang es im Verhör, ihn zu irgend welchen verdächtigen Äußerungen zu ver¬
anlassen. Dieser Schlag ins Wasser erregte ungeheures Aufsehen. Napoleon
selbst war'höchst ungehalten über das Benehmen der westfälischen Polizei und
sie erregte seinen Zorn uoch mehr, als das Jahr 1809 den Beweis lieferte,
daß es ihr vollständig an der Fähigkeit fehlte, die Stimmungen des Volkes
zu ergründen. ^

In derselben 5and. die das Jnstizwesen leitete, ruhten auch die Kultus-
angelegenheitcn. Kleinschmidt bringt auch über diese nur wenige leiten, und
doch verlohnte sich ein tieferes Eingehen, da anch hier das westfälische Regi¬
ment reformirend vorgegangen ist. Der Artikel 10 der Verfassung gewähr¬
leistete allen Unterthanen freie Religionsübung. Es war das erstemal, daß
"uf deutschem Boden ein so weitgehendes Zugeständnis auf religiösem Gebiete
gemacht wurde, denn der Gedanke der unbedingten Toleranz war den Fendal-
staaten etwas ganz Unbekanntes. Selbst in Preußen, wo nach Friedrichs Aus¬
spruch angeblich jeder nach seiner Fa?on selig werden konnte, war man doch
nicht so weit vorgeschritten. Mit Recht rühmte deshalb der offizielle Merkur:
"Kaum giebt es ein Königreich, in welchem mehrere Religionen vorhanden wären,
kaum eins, worin die Toleranz bessern Fuß gefaßt und folglich die Polizei
des Kultus unnüker wäre." Übertrieben war es dann aber, wenn die Regie¬
rung nicht uur alle Anwartschaften ans Präbenden und sonstige Benefizien.
wie sie von den frühern Landesherren festgesetzt waren, aufhob, sondern sogar
bestimmte, daß alle Personen ohne Unterschied der Geburt in die verschiednen
Kapitel aufgenommen werden sollten. Die Einmischung des Staats ging sogar
noch weiter, er beanspruchte ein Zehntel aller Einkünfte für sich und ging dann
später mit dem Besitztum der Stifte so um, als ob es sein Eigentum wäre.

Jerome kümmerte sich im Grunde genommen um die kirchlichen Verhält¬
nisse herzlich wenig. Er schenkte zwar der katholischen Kirche in Kassel ein
"euch Glockengeläute, aber die protestantische Garnisonkirche verwandelte er in


Grenzboten IV 1893 4
Das Königreich Westfalen

scheut wurde. Besonders bedauerlich erscheint es. daß sich als Agenten nied¬
rigster Art vielfach Deutsche benutzen ließen. Wie ein Schandfleck des deutschen
Namens kommt es uns vor. wenn der Chef der westfälischen Polizei rühmend
schreibt: ..Die Deutschen sind eifriger im Dcnunziren. im Entdecken, im Ge¬
heimnisse verraten; darf ich so sagen, sie rapportiren besser." Natürlich war
dieser Klasse von Menschen nichts heilig. Selbst die durch das Völkerrecht
geheiligte Wohnung der fremden Gesandten war der Polizei keine Achtung ge¬
bietende Grenze Sie schleppte einen Diener des sächsischen Gesandten ohne
Wissen seines 5errn hinweg. Natürlich ergaben sich daraus diplomatische
Weiterungen. Daß es dabei auch oft zu Verhaftungen Unschuldiger kam. ist
nicht zu 'verwundern. So wurde der Berghauptmann von Medmg geheimer
Beziehunqeu zu England beschuldigt und eine strenge Haussuchung bei ihm
gehalten. Aber trotz aller Mühen konnte nichts gefunden werden; ebenso wenig
gelang es im Verhör, ihn zu irgend welchen verdächtigen Äußerungen zu ver¬
anlassen. Dieser Schlag ins Wasser erregte ungeheures Aufsehen. Napoleon
selbst war'höchst ungehalten über das Benehmen der westfälischen Polizei und
sie erregte seinen Zorn uoch mehr, als das Jahr 1809 den Beweis lieferte,
daß es ihr vollständig an der Fähigkeit fehlte, die Stimmungen des Volkes
zu ergründen. ^

In derselben 5and. die das Jnstizwesen leitete, ruhten auch die Kultus-
angelegenheitcn. Kleinschmidt bringt auch über diese nur wenige leiten, und
doch verlohnte sich ein tieferes Eingehen, da anch hier das westfälische Regi¬
ment reformirend vorgegangen ist. Der Artikel 10 der Verfassung gewähr¬
leistete allen Unterthanen freie Religionsübung. Es war das erstemal, daß
"uf deutschem Boden ein so weitgehendes Zugeständnis auf religiösem Gebiete
gemacht wurde, denn der Gedanke der unbedingten Toleranz war den Fendal-
staaten etwas ganz Unbekanntes. Selbst in Preußen, wo nach Friedrichs Aus¬
spruch angeblich jeder nach seiner Fa?on selig werden konnte, war man doch
nicht so weit vorgeschritten. Mit Recht rühmte deshalb der offizielle Merkur:
«Kaum giebt es ein Königreich, in welchem mehrere Religionen vorhanden wären,
kaum eins, worin die Toleranz bessern Fuß gefaßt und folglich die Polizei
des Kultus unnüker wäre." Übertrieben war es dann aber, wenn die Regie¬
rung nicht uur alle Anwartschaften ans Präbenden und sonstige Benefizien.
wie sie von den frühern Landesherren festgesetzt waren, aufhob, sondern sogar
bestimmte, daß alle Personen ohne Unterschied der Geburt in die verschiednen
Kapitel aufgenommen werden sollten. Die Einmischung des Staats ging sogar
noch weiter, er beanspruchte ein Zehntel aller Einkünfte für sich und ging dann
später mit dem Besitztum der Stifte so um, als ob es sein Eigentum wäre.

Jerome kümmerte sich im Grunde genommen um die kirchlichen Verhält¬
nisse herzlich wenig. Er schenkte zwar der katholischen Kirche in Kassel ein
»euch Glockengeläute, aber die protestantische Garnisonkirche verwandelte er in


Grenzboten IV 1893 4
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[0033] Das Königreich Westfalen scheut wurde. Besonders bedauerlich erscheint es. daß sich als Agenten nied¬ rigster Art vielfach Deutsche benutzen ließen. Wie ein Schandfleck des deutschen Namens kommt es uns vor. wenn der Chef der westfälischen Polizei rühmend schreibt: ..Die Deutschen sind eifriger im Dcnunziren. im Entdecken, im Ge¬ heimnisse verraten; darf ich so sagen, sie rapportiren besser." Natürlich war dieser Klasse von Menschen nichts heilig. Selbst die durch das Völkerrecht geheiligte Wohnung der fremden Gesandten war der Polizei keine Achtung ge¬ bietende Grenze Sie schleppte einen Diener des sächsischen Gesandten ohne Wissen seines 5errn hinweg. Natürlich ergaben sich daraus diplomatische Weiterungen. Daß es dabei auch oft zu Verhaftungen Unschuldiger kam. ist nicht zu 'verwundern. So wurde der Berghauptmann von Medmg geheimer Beziehunqeu zu England beschuldigt und eine strenge Haussuchung bei ihm gehalten. Aber trotz aller Mühen konnte nichts gefunden werden; ebenso wenig gelang es im Verhör, ihn zu irgend welchen verdächtigen Äußerungen zu ver¬ anlassen. Dieser Schlag ins Wasser erregte ungeheures Aufsehen. Napoleon selbst war'höchst ungehalten über das Benehmen der westfälischen Polizei und sie erregte seinen Zorn uoch mehr, als das Jahr 1809 den Beweis lieferte, daß es ihr vollständig an der Fähigkeit fehlte, die Stimmungen des Volkes zu ergründen. ^ In derselben 5and. die das Jnstizwesen leitete, ruhten auch die Kultus- angelegenheitcn. Kleinschmidt bringt auch über diese nur wenige leiten, und doch verlohnte sich ein tieferes Eingehen, da anch hier das westfälische Regi¬ ment reformirend vorgegangen ist. Der Artikel 10 der Verfassung gewähr¬ leistete allen Unterthanen freie Religionsübung. Es war das erstemal, daß "uf deutschem Boden ein so weitgehendes Zugeständnis auf religiösem Gebiete gemacht wurde, denn der Gedanke der unbedingten Toleranz war den Fendal- staaten etwas ganz Unbekanntes. Selbst in Preußen, wo nach Friedrichs Aus¬ spruch angeblich jeder nach seiner Fa?on selig werden konnte, war man doch nicht so weit vorgeschritten. Mit Recht rühmte deshalb der offizielle Merkur: «Kaum giebt es ein Königreich, in welchem mehrere Religionen vorhanden wären, kaum eins, worin die Toleranz bessern Fuß gefaßt und folglich die Polizei des Kultus unnüker wäre." Übertrieben war es dann aber, wenn die Regie¬ rung nicht uur alle Anwartschaften ans Präbenden und sonstige Benefizien. wie sie von den frühern Landesherren festgesetzt waren, aufhob, sondern sogar bestimmte, daß alle Personen ohne Unterschied der Geburt in die verschiednen Kapitel aufgenommen werden sollten. Die Einmischung des Staats ging sogar noch weiter, er beanspruchte ein Zehntel aller Einkünfte für sich und ging dann später mit dem Besitztum der Stifte so um, als ob es sein Eigentum wäre. Jerome kümmerte sich im Grunde genommen um die kirchlichen Verhält¬ nisse herzlich wenig. Er schenkte zwar der katholischen Kirche in Kassel ein »euch Glockengeläute, aber die protestantische Garnisonkirche verwandelte er in Grenzboten IV 1893 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/33>, abgerufen am 04.07.2024.