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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Flüchtlinge
Line Geschichte von der Landstraße
1

uf der Straße, die zu einer kleinen Stadt führte, gingen in der
Abenddämmerung zwei junge Leute, ein Mädchen und ein Soldat.
Sie ginge" nicht Arm in Arm, sondern hielten sich etwas von
einander entfernt. Und doch merkte ihnen jeder der Vorübergehenden
leicht an, daß sie zusammengehörten. Die Arbeiter und Arbeite¬
rinnen, die sich noch auf deu Feldern befanden, riefen ihnen neckische
Worte zu, und wie die Menschen, so schien auch alles, was sonst noch um sie
lebte, alle die mannigfaltigen Stimmen der Natur ihre Liebe zu billigen und sich
ihres Glückes zu freue". Welch ein hübsches Paar! sagten die Leute. Wie schön
ist das Leben! riefen die Sperlinge von den Hecken. Wie schön ist die Zeit der
Liebe! sang die Lerche über ihnen im Blau, und auch aus dem wallenden, rauschenden
Halmcnfcld, das in der Abendglut weithin schimmerte, klang und sang es, wie ein
ununterbrvchnes Lied der Freude und der Liebe.

Der Soldat war hoch gewachsen, von schlanker, ebenmäßiger Gestalt; er hatte
ein feines, schmales Gesicht und lichte blaue Augen, in deren Glänze sich die Be-
wundrung wiederspiegelte, die er für seine Begleiterin im Herzen trug. Sie war
aber auch schon genug, ein junges Herz in Flammen zu setzen. Der Abendwind
spielte mit ihrem krausen Haar und jagte ihr die Locken über die hohe Stirn.
Ein rotes Gewand umfloß ihre Gestalt und stand prächtig zu dem dunkeln Kopfe
und den leuchtenden Augen. ^
Wie schon sie ist! dachte der Mann um ihrer Seite. Und wie ist es nur
möglich, daß sie mich lieben kann? Das erschien ihm als das Wunder aller
Wunder, als ein Ereignis, dem sich nichts vergleichen ließ.

Das Mädchen las die Gedanken von seinem Gesichte ab und beantwortete sie
mit einem Lächeln, in dem schelmischer Spott und Übermut lag, das aber auch
erkennen ließ, daß sie über das Wunder ihrer beiderseitigen Liebe nicht anders
dachte als er.

Eine ganze Strecke waren sie schweigend neben einander hergegangen, nur
ihre Blicke hatten sich gesucht. Jetzt, als die Straße eine Biegung machte und
sich weithin hohe Hecken vorschoben, suchte sich der Soldat seiner Begleiterin zu
nähern und ihre Hand zu ergreifen. Aber sie hatte seine Absicht schon gemerkt
und sprang mit fröhlichem Lachen zur Seite, indem sie ihn mit den Händen ab-


Grenzboteu IV 1M3 40


Die Flüchtlinge
Line Geschichte von der Landstraße
1

uf der Straße, die zu einer kleinen Stadt führte, gingen in der
Abenddämmerung zwei junge Leute, ein Mädchen und ein Soldat.
Sie ginge» nicht Arm in Arm, sondern hielten sich etwas von
einander entfernt. Und doch merkte ihnen jeder der Vorübergehenden
leicht an, daß sie zusammengehörten. Die Arbeiter und Arbeite¬
rinnen, die sich noch auf deu Feldern befanden, riefen ihnen neckische
Worte zu, und wie die Menschen, so schien auch alles, was sonst noch um sie
lebte, alle die mannigfaltigen Stimmen der Natur ihre Liebe zu billigen und sich
ihres Glückes zu freue«. Welch ein hübsches Paar! sagten die Leute. Wie schön
ist das Leben! riefen die Sperlinge von den Hecken. Wie schön ist die Zeit der
Liebe! sang die Lerche über ihnen im Blau, und auch aus dem wallenden, rauschenden
Halmcnfcld, das in der Abendglut weithin schimmerte, klang und sang es, wie ein
ununterbrvchnes Lied der Freude und der Liebe.

Der Soldat war hoch gewachsen, von schlanker, ebenmäßiger Gestalt; er hatte
ein feines, schmales Gesicht und lichte blaue Augen, in deren Glänze sich die Be-
wundrung wiederspiegelte, die er für seine Begleiterin im Herzen trug. Sie war
aber auch schon genug, ein junges Herz in Flammen zu setzen. Der Abendwind
spielte mit ihrem krausen Haar und jagte ihr die Locken über die hohe Stirn.
Ein rotes Gewand umfloß ihre Gestalt und stand prächtig zu dem dunkeln Kopfe
und den leuchtenden Augen. ^
Wie schon sie ist! dachte der Mann um ihrer Seite. Und wie ist es nur
möglich, daß sie mich lieben kann? Das erschien ihm als das Wunder aller
Wunder, als ein Ereignis, dem sich nichts vergleichen ließ.

Das Mädchen las die Gedanken von seinem Gesichte ab und beantwortete sie
mit einem Lächeln, in dem schelmischer Spott und Übermut lag, das aber auch
erkennen ließ, daß sie über das Wunder ihrer beiderseitigen Liebe nicht anders
dachte als er.

Eine ganze Strecke waren sie schweigend neben einander hergegangen, nur
ihre Blicke hatten sich gesucht. Jetzt, als die Straße eine Biegung machte und
sich weithin hohe Hecken vorschoben, suchte sich der Soldat seiner Begleiterin zu
nähern und ihre Hand zu ergreifen. Aber sie hatte seine Absicht schon gemerkt
und sprang mit fröhlichem Lachen zur Seite, indem sie ihn mit den Händen ab-


Grenzboteu IV 1M3 40
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/321>, abgerufen am 22.07.2024.