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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Unser Zeitungselend

Publikums mit der Zeit wieder besser werden. Denn auch der Staat brauchte
bei der hohen Bedeutung, die die Presse für ihn hat, der Mißwirtschaft nicht
gerade so teilnahmlos zuzusehen oder sie gar noch zu begünstigen wie bisher.
Und das thut die Negierung in weitem Maße und in der unverantwortlichsten
Weise durch den Unfug der "offiziellen" und "offiziösen" Nachrichten, die
nach wie vor von hohen und niedern Beamten in die Blätter "laneirt" werden.
Diese Stimmuugsmacherei ist einer starken Negierung unwürdig. Den Zei¬
tungen aber verderben die "offiziösen" Einflüsterungen den Charakter und --
den Stil. Jede Behörde, ob hoch ob niedrig, sollte das, was sie zu sagen
hat, in gleicher Form und zu gleicher Zeit allen Blättern zugehen lassen, die
für sie in Betracht kommen. Keine Zeitung wird die Aufnahme dieser Mit¬
teilungen verweigern. Was die norddeutsche Allgemeine "an hervorragender
Stelle zum Abdruck bringt," macht ja auch die Runde durch die ganze Presse,
wenn es auch in dein dunkelsten Orakeldeutsch geschrieben ist, das die alte
Pythia zu Wege bringt. Da wird immer behauptet, es gehe nicht an,
daß die Negierung nnr offen und ehrlich ihre Meinung sage; sie bedürfe
der Unterstützung durch eine unabhängige und doch zugleich "regierungs¬
freundliche" Presse. Ja die Negierung soll es doch mit der Ehrlichkeit in
der Preßvertretung erst einmal versuchen! Freilich muß sie darauf gefaßt
sein, daß ihre gute Absicht zu Anfang mißbraucht wird, aber darum braucht
sie nicht nach vierzehn Tagen wieder zu dem lieben alten Tuschelsystem zurück¬
zukehren. Zur Ehrlichkeit gehört Mut, aber wenn die Negierung diesen Mut
und die nötige Ausdauer bewiese, könnte sie die Presse wohl nach und nach
auch zur Ehrlichkeit erziehen.

Die Regierung müßte aber ferner anständige Blätter gegen die Schwindel¬
konkurrenz von Neugründungen schützen, die keinem Bedürfnis entspringen,
sondern nur darauf ausgehen, dem Publikum das Geld aus der Tasche zu
locken. Man muß es mit angesehen haben, wie solch ein Wisch von General¬
anzeiger in die Höhe gebracht wird. Da wird das Blatt erst ein Vierteljahr
lang den Leuten umsonst ins Haus getragen. Erst bleibt es liegen, dann liest
die Köchin darin zufällig eine angenehm gruselige Geschichte und erzählt sie
der Hausfrau. Die macht ihren Mann auf das neue Blatt aufmerksam, und
da es um doch Tag für Tag ins Hans fällt, so gewöhnt man sich dran, wie
man sich an einen fremden Hund gewöhnen kann, der sich tagtäglich zur Mit¬
tagszeit einstellt, um sich die Knochenabfülle zu holen. Ist das Blatt erst
einigermaßen eingebürgert, so erhebt es zwanzig Pfennige monatlich als "Be¬
stellgebühr." Diese Gebühr wird nach und nach auf vierzig oder fünfzig
Pfennige erhöht, nebenbei aber der Inhalt des Blattes "immer reichhaltiger
gestaltet." Gleichzeitig werden die Geschäftsleute durch Vergünstigungen im
Preise der Anzeigen gekapert, und wenn das Geschüft gut geht und das Blatt
erst so viele Leser hat, daß es auf die anständigen Leute keine Rücksicht mehr


Unser Zeitungselend

Publikums mit der Zeit wieder besser werden. Denn auch der Staat brauchte
bei der hohen Bedeutung, die die Presse für ihn hat, der Mißwirtschaft nicht
gerade so teilnahmlos zuzusehen oder sie gar noch zu begünstigen wie bisher.
Und das thut die Negierung in weitem Maße und in der unverantwortlichsten
Weise durch den Unfug der „offiziellen" und „offiziösen" Nachrichten, die
nach wie vor von hohen und niedern Beamten in die Blätter „laneirt" werden.
Diese Stimmuugsmacherei ist einer starken Negierung unwürdig. Den Zei¬
tungen aber verderben die „offiziösen" Einflüsterungen den Charakter und —
den Stil. Jede Behörde, ob hoch ob niedrig, sollte das, was sie zu sagen
hat, in gleicher Form und zu gleicher Zeit allen Blättern zugehen lassen, die
für sie in Betracht kommen. Keine Zeitung wird die Aufnahme dieser Mit¬
teilungen verweigern. Was die norddeutsche Allgemeine „an hervorragender
Stelle zum Abdruck bringt," macht ja auch die Runde durch die ganze Presse,
wenn es auch in dein dunkelsten Orakeldeutsch geschrieben ist, das die alte
Pythia zu Wege bringt. Da wird immer behauptet, es gehe nicht an,
daß die Negierung nnr offen und ehrlich ihre Meinung sage; sie bedürfe
der Unterstützung durch eine unabhängige und doch zugleich „regierungs¬
freundliche" Presse. Ja die Negierung soll es doch mit der Ehrlichkeit in
der Preßvertretung erst einmal versuchen! Freilich muß sie darauf gefaßt
sein, daß ihre gute Absicht zu Anfang mißbraucht wird, aber darum braucht
sie nicht nach vierzehn Tagen wieder zu dem lieben alten Tuschelsystem zurück¬
zukehren. Zur Ehrlichkeit gehört Mut, aber wenn die Negierung diesen Mut
und die nötige Ausdauer bewiese, könnte sie die Presse wohl nach und nach
auch zur Ehrlichkeit erziehen.

Die Regierung müßte aber ferner anständige Blätter gegen die Schwindel¬
konkurrenz von Neugründungen schützen, die keinem Bedürfnis entspringen,
sondern nur darauf ausgehen, dem Publikum das Geld aus der Tasche zu
locken. Man muß es mit angesehen haben, wie solch ein Wisch von General¬
anzeiger in die Höhe gebracht wird. Da wird das Blatt erst ein Vierteljahr
lang den Leuten umsonst ins Haus getragen. Erst bleibt es liegen, dann liest
die Köchin darin zufällig eine angenehm gruselige Geschichte und erzählt sie
der Hausfrau. Die macht ihren Mann auf das neue Blatt aufmerksam, und
da es um doch Tag für Tag ins Hans fällt, so gewöhnt man sich dran, wie
man sich an einen fremden Hund gewöhnen kann, der sich tagtäglich zur Mit¬
tagszeit einstellt, um sich die Knochenabfülle zu holen. Ist das Blatt erst
einigermaßen eingebürgert, so erhebt es zwanzig Pfennige monatlich als „Be¬
stellgebühr." Diese Gebühr wird nach und nach auf vierzig oder fünfzig
Pfennige erhöht, nebenbei aber der Inhalt des Blattes „immer reichhaltiger
gestaltet." Gleichzeitig werden die Geschäftsleute durch Vergünstigungen im
Preise der Anzeigen gekapert, und wenn das Geschüft gut geht und das Blatt
erst so viele Leser hat, daß es auf die anständigen Leute keine Rücksicht mehr


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[0317] Unser Zeitungselend Publikums mit der Zeit wieder besser werden. Denn auch der Staat brauchte bei der hohen Bedeutung, die die Presse für ihn hat, der Mißwirtschaft nicht gerade so teilnahmlos zuzusehen oder sie gar noch zu begünstigen wie bisher. Und das thut die Negierung in weitem Maße und in der unverantwortlichsten Weise durch den Unfug der „offiziellen" und „offiziösen" Nachrichten, die nach wie vor von hohen und niedern Beamten in die Blätter „laneirt" werden. Diese Stimmuugsmacherei ist einer starken Negierung unwürdig. Den Zei¬ tungen aber verderben die „offiziösen" Einflüsterungen den Charakter und — den Stil. Jede Behörde, ob hoch ob niedrig, sollte das, was sie zu sagen hat, in gleicher Form und zu gleicher Zeit allen Blättern zugehen lassen, die für sie in Betracht kommen. Keine Zeitung wird die Aufnahme dieser Mit¬ teilungen verweigern. Was die norddeutsche Allgemeine „an hervorragender Stelle zum Abdruck bringt," macht ja auch die Runde durch die ganze Presse, wenn es auch in dein dunkelsten Orakeldeutsch geschrieben ist, das die alte Pythia zu Wege bringt. Da wird immer behauptet, es gehe nicht an, daß die Negierung nnr offen und ehrlich ihre Meinung sage; sie bedürfe der Unterstützung durch eine unabhängige und doch zugleich „regierungs¬ freundliche" Presse. Ja die Negierung soll es doch mit der Ehrlichkeit in der Preßvertretung erst einmal versuchen! Freilich muß sie darauf gefaßt sein, daß ihre gute Absicht zu Anfang mißbraucht wird, aber darum braucht sie nicht nach vierzehn Tagen wieder zu dem lieben alten Tuschelsystem zurück¬ zukehren. Zur Ehrlichkeit gehört Mut, aber wenn die Negierung diesen Mut und die nötige Ausdauer bewiese, könnte sie die Presse wohl nach und nach auch zur Ehrlichkeit erziehen. Die Regierung müßte aber ferner anständige Blätter gegen die Schwindel¬ konkurrenz von Neugründungen schützen, die keinem Bedürfnis entspringen, sondern nur darauf ausgehen, dem Publikum das Geld aus der Tasche zu locken. Man muß es mit angesehen haben, wie solch ein Wisch von General¬ anzeiger in die Höhe gebracht wird. Da wird das Blatt erst ein Vierteljahr lang den Leuten umsonst ins Haus getragen. Erst bleibt es liegen, dann liest die Köchin darin zufällig eine angenehm gruselige Geschichte und erzählt sie der Hausfrau. Die macht ihren Mann auf das neue Blatt aufmerksam, und da es um doch Tag für Tag ins Hans fällt, so gewöhnt man sich dran, wie man sich an einen fremden Hund gewöhnen kann, der sich tagtäglich zur Mit¬ tagszeit einstellt, um sich die Knochenabfülle zu holen. Ist das Blatt erst einigermaßen eingebürgert, so erhebt es zwanzig Pfennige monatlich als „Be¬ stellgebühr." Diese Gebühr wird nach und nach auf vierzig oder fünfzig Pfennige erhöht, nebenbei aber der Inhalt des Blattes „immer reichhaltiger gestaltet." Gleichzeitig werden die Geschäftsleute durch Vergünstigungen im Preise der Anzeigen gekapert, und wenn das Geschüft gut geht und das Blatt erst so viele Leser hat, daß es auf die anständigen Leute keine Rücksicht mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/317>, abgerufen am 22.07.2024.