Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Unser Zeitungselend

der Wirt erworben hat, wer für den "dekorativen Schmuck" des Saales ge¬
sorgt hat, welcher Gärtner, welcher Tapezierer, alles, alles wird uns getreulich
mitgeteilt!

Nun wird man einwenden, all dieses Jammerzeug finde sich nicht in der
politischen Presse allein, sondern auch bei den parteilosen Blättern, ja bei
diesen in noch viel höherm Maße. Das ist richtig. Aber bei allen Mängeln
haben diese Generalanzeiger eine Seite, die für den Bürgersmann sehr ver¬
lockend ist: sie bieten mehr Unterhaltungsstoff, als sich die politischen Blätter
leisten können. Aus alle" Zeitungen stehlen sie die kurzen Geschichten zu¬
sammen, die dem kleinen Manu besser munden als der aufgewärmte Kohl der
Parteipvlitik. Und da die Generalanzeiger ihren Stoff größtenteils stehlen,
so können sie ihn unvergleichlich viel billiger liefern als andre Blätter, und
so ist es kein Wunder, daß sie diese verdrängen, obwohl sie keineswegs besser
sind. Wenn eine Hausfrau, und wäre sie das beste Weib von der Welt,
ganz in der häusliche" Beschäftigung aufgeht und für nichts andres Inter¬
esse zeigt, so läuft der Mann aus dem Hause und läßt sich von gefälligen
Halbweltdamen die Zeit vertreiben. So ist es auch der braven politischen
Presse gegangen. Sie führt die Parteiwirtschnft sehr gewissenhaft, ist aber
etwas langweilig geworden, und deshalb hat sich das Publikum in die zwar
weniger gute, aber unterhaltsamere Gesellschaft der Generalanzeiger begeben.
Natürlich ist auch die Rückwirkung nicht ausgeblieben. Die Verleger der po¬
litischen Zeitungen verdienen ebenso gern Geld wie die der Generalanzeiger,
und so ist denn ein toller Wettlauf nach Geld und Abonnenten ausgebrochen,
und die Presse, die die öffentliche Meinung leiten sollte, ist zur feilen Dirne
des Publikums geworden. Mit mehr oder minder Eifer und Erfolg kriechen
die einzelnen Blätter vor Behörden, Vereinen, Geschäftsleuten und einzelnen
Abonnenten auf dem Bauche. Wie nirgends sonst herrscht hier der Grund¬
satz: alles ist erlaubt, was nicht geradezu verboten ist; und wo nicht das
Selbstbewußtsein der Redaktion dem Geschäftsverstande der kaufmännischen
Leitung ein starkes Gegengewicht hält, da kann man den größten Blödsinn
und die schreiendste Unwahrheit in eine Zeitung bringen, wenn man nur deu
geeigneten Druck anzuwenden weiß. In den meisten Fällen ist das sehr ein¬
fach. Ehe der Verleger dem Kvnlurrenzblatt eine Anzeige zukommen läßt,
erklärt er sich zu allem bereit, was seinem Blatte keinen unmittelbaren Schaden
zufügt.

Muß mau dieses Unwesen nun ruhig weiter wuchern lassen? Wir glauben,
nein. Freilich, den Geschmack des Publikums kann man nicht von heute auf
morgen dahin ummodeln, daß es sich von der Schundpresse ab- und den
bessern Blättern wieder zuwendet. Aber wenn die übrigen Beteiligten, Staat,
Verleger und Journalisten, an ihrem Teil ehrlich darangehen, die deutsche
Presse aus dem Sumpf herauszuarbeiten, dann wird auch der Geschmack des


Unser Zeitungselend

der Wirt erworben hat, wer für den „dekorativen Schmuck" des Saales ge¬
sorgt hat, welcher Gärtner, welcher Tapezierer, alles, alles wird uns getreulich
mitgeteilt!

Nun wird man einwenden, all dieses Jammerzeug finde sich nicht in der
politischen Presse allein, sondern auch bei den parteilosen Blättern, ja bei
diesen in noch viel höherm Maße. Das ist richtig. Aber bei allen Mängeln
haben diese Generalanzeiger eine Seite, die für den Bürgersmann sehr ver¬
lockend ist: sie bieten mehr Unterhaltungsstoff, als sich die politischen Blätter
leisten können. Aus alle« Zeitungen stehlen sie die kurzen Geschichten zu¬
sammen, die dem kleinen Manu besser munden als der aufgewärmte Kohl der
Parteipvlitik. Und da die Generalanzeiger ihren Stoff größtenteils stehlen,
so können sie ihn unvergleichlich viel billiger liefern als andre Blätter, und
so ist es kein Wunder, daß sie diese verdrängen, obwohl sie keineswegs besser
sind. Wenn eine Hausfrau, und wäre sie das beste Weib von der Welt,
ganz in der häusliche» Beschäftigung aufgeht und für nichts andres Inter¬
esse zeigt, so läuft der Mann aus dem Hause und läßt sich von gefälligen
Halbweltdamen die Zeit vertreiben. So ist es auch der braven politischen
Presse gegangen. Sie führt die Parteiwirtschnft sehr gewissenhaft, ist aber
etwas langweilig geworden, und deshalb hat sich das Publikum in die zwar
weniger gute, aber unterhaltsamere Gesellschaft der Generalanzeiger begeben.
Natürlich ist auch die Rückwirkung nicht ausgeblieben. Die Verleger der po¬
litischen Zeitungen verdienen ebenso gern Geld wie die der Generalanzeiger,
und so ist denn ein toller Wettlauf nach Geld und Abonnenten ausgebrochen,
und die Presse, die die öffentliche Meinung leiten sollte, ist zur feilen Dirne
des Publikums geworden. Mit mehr oder minder Eifer und Erfolg kriechen
die einzelnen Blätter vor Behörden, Vereinen, Geschäftsleuten und einzelnen
Abonnenten auf dem Bauche. Wie nirgends sonst herrscht hier der Grund¬
satz: alles ist erlaubt, was nicht geradezu verboten ist; und wo nicht das
Selbstbewußtsein der Redaktion dem Geschäftsverstande der kaufmännischen
Leitung ein starkes Gegengewicht hält, da kann man den größten Blödsinn
und die schreiendste Unwahrheit in eine Zeitung bringen, wenn man nur deu
geeigneten Druck anzuwenden weiß. In den meisten Fällen ist das sehr ein¬
fach. Ehe der Verleger dem Kvnlurrenzblatt eine Anzeige zukommen läßt,
erklärt er sich zu allem bereit, was seinem Blatte keinen unmittelbaren Schaden
zufügt.

Muß mau dieses Unwesen nun ruhig weiter wuchern lassen? Wir glauben,
nein. Freilich, den Geschmack des Publikums kann man nicht von heute auf
morgen dahin ummodeln, daß es sich von der Schundpresse ab- und den
bessern Blättern wieder zuwendet. Aber wenn die übrigen Beteiligten, Staat,
Verleger und Journalisten, an ihrem Teil ehrlich darangehen, die deutsche
Presse aus dem Sumpf herauszuarbeiten, dann wird auch der Geschmack des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216040"/>
          <fw type="header" place="top"> Unser Zeitungselend</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_932" prev="#ID_931"> der Wirt erworben hat, wer für den &#x201E;dekorativen Schmuck" des Saales ge¬<lb/>
sorgt hat, welcher Gärtner, welcher Tapezierer, alles, alles wird uns getreulich<lb/>
mitgeteilt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_933"> Nun wird man einwenden, all dieses Jammerzeug finde sich nicht in der<lb/>
politischen Presse allein, sondern auch bei den parteilosen Blättern, ja bei<lb/>
diesen in noch viel höherm Maße. Das ist richtig. Aber bei allen Mängeln<lb/>
haben diese Generalanzeiger eine Seite, die für den Bürgersmann sehr ver¬<lb/>
lockend ist: sie bieten mehr Unterhaltungsstoff, als sich die politischen Blätter<lb/>
leisten können. Aus alle« Zeitungen stehlen sie die kurzen Geschichten zu¬<lb/>
sammen, die dem kleinen Manu besser munden als der aufgewärmte Kohl der<lb/>
Parteipvlitik. Und da die Generalanzeiger ihren Stoff größtenteils stehlen,<lb/>
so können sie ihn unvergleichlich viel billiger liefern als andre Blätter, und<lb/>
so ist es kein Wunder, daß sie diese verdrängen, obwohl sie keineswegs besser<lb/>
sind. Wenn eine Hausfrau, und wäre sie das beste Weib von der Welt,<lb/>
ganz in der häusliche» Beschäftigung aufgeht und für nichts andres Inter¬<lb/>
esse zeigt, so läuft der Mann aus dem Hause und läßt sich von gefälligen<lb/>
Halbweltdamen die Zeit vertreiben. So ist es auch der braven politischen<lb/>
Presse gegangen. Sie führt die Parteiwirtschnft sehr gewissenhaft, ist aber<lb/>
etwas langweilig geworden, und deshalb hat sich das Publikum in die zwar<lb/>
weniger gute, aber unterhaltsamere Gesellschaft der Generalanzeiger begeben.<lb/>
Natürlich ist auch die Rückwirkung nicht ausgeblieben. Die Verleger der po¬<lb/>
litischen Zeitungen verdienen ebenso gern Geld wie die der Generalanzeiger,<lb/>
und so ist denn ein toller Wettlauf nach Geld und Abonnenten ausgebrochen,<lb/>
und die Presse, die die öffentliche Meinung leiten sollte, ist zur feilen Dirne<lb/>
des Publikums geworden. Mit mehr oder minder Eifer und Erfolg kriechen<lb/>
die einzelnen Blätter vor Behörden, Vereinen, Geschäftsleuten und einzelnen<lb/>
Abonnenten auf dem Bauche. Wie nirgends sonst herrscht hier der Grund¬<lb/>
satz: alles ist erlaubt, was nicht geradezu verboten ist; und wo nicht das<lb/>
Selbstbewußtsein der Redaktion dem Geschäftsverstande der kaufmännischen<lb/>
Leitung ein starkes Gegengewicht hält, da kann man den größten Blödsinn<lb/>
und die schreiendste Unwahrheit in eine Zeitung bringen, wenn man nur deu<lb/>
geeigneten Druck anzuwenden weiß. In den meisten Fällen ist das sehr ein¬<lb/>
fach. Ehe der Verleger dem Kvnlurrenzblatt eine Anzeige zukommen läßt,<lb/>
erklärt er sich zu allem bereit, was seinem Blatte keinen unmittelbaren Schaden<lb/>
zufügt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_934" next="#ID_935"> Muß mau dieses Unwesen nun ruhig weiter wuchern lassen? Wir glauben,<lb/>
nein. Freilich, den Geschmack des Publikums kann man nicht von heute auf<lb/>
morgen dahin ummodeln, daß es sich von der Schundpresse ab- und den<lb/>
bessern Blättern wieder zuwendet. Aber wenn die übrigen Beteiligten, Staat,<lb/>
Verleger und Journalisten, an ihrem Teil ehrlich darangehen, die deutsche<lb/>
Presse aus dem Sumpf herauszuarbeiten, dann wird auch der Geschmack des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0316] Unser Zeitungselend der Wirt erworben hat, wer für den „dekorativen Schmuck" des Saales ge¬ sorgt hat, welcher Gärtner, welcher Tapezierer, alles, alles wird uns getreulich mitgeteilt! Nun wird man einwenden, all dieses Jammerzeug finde sich nicht in der politischen Presse allein, sondern auch bei den parteilosen Blättern, ja bei diesen in noch viel höherm Maße. Das ist richtig. Aber bei allen Mängeln haben diese Generalanzeiger eine Seite, die für den Bürgersmann sehr ver¬ lockend ist: sie bieten mehr Unterhaltungsstoff, als sich die politischen Blätter leisten können. Aus alle« Zeitungen stehlen sie die kurzen Geschichten zu¬ sammen, die dem kleinen Manu besser munden als der aufgewärmte Kohl der Parteipvlitik. Und da die Generalanzeiger ihren Stoff größtenteils stehlen, so können sie ihn unvergleichlich viel billiger liefern als andre Blätter, und so ist es kein Wunder, daß sie diese verdrängen, obwohl sie keineswegs besser sind. Wenn eine Hausfrau, und wäre sie das beste Weib von der Welt, ganz in der häusliche» Beschäftigung aufgeht und für nichts andres Inter¬ esse zeigt, so läuft der Mann aus dem Hause und läßt sich von gefälligen Halbweltdamen die Zeit vertreiben. So ist es auch der braven politischen Presse gegangen. Sie führt die Parteiwirtschnft sehr gewissenhaft, ist aber etwas langweilig geworden, und deshalb hat sich das Publikum in die zwar weniger gute, aber unterhaltsamere Gesellschaft der Generalanzeiger begeben. Natürlich ist auch die Rückwirkung nicht ausgeblieben. Die Verleger der po¬ litischen Zeitungen verdienen ebenso gern Geld wie die der Generalanzeiger, und so ist denn ein toller Wettlauf nach Geld und Abonnenten ausgebrochen, und die Presse, die die öffentliche Meinung leiten sollte, ist zur feilen Dirne des Publikums geworden. Mit mehr oder minder Eifer und Erfolg kriechen die einzelnen Blätter vor Behörden, Vereinen, Geschäftsleuten und einzelnen Abonnenten auf dem Bauche. Wie nirgends sonst herrscht hier der Grund¬ satz: alles ist erlaubt, was nicht geradezu verboten ist; und wo nicht das Selbstbewußtsein der Redaktion dem Geschäftsverstande der kaufmännischen Leitung ein starkes Gegengewicht hält, da kann man den größten Blödsinn und die schreiendste Unwahrheit in eine Zeitung bringen, wenn man nur deu geeigneten Druck anzuwenden weiß. In den meisten Fällen ist das sehr ein¬ fach. Ehe der Verleger dem Kvnlurrenzblatt eine Anzeige zukommen läßt, erklärt er sich zu allem bereit, was seinem Blatte keinen unmittelbaren Schaden zufügt. Muß mau dieses Unwesen nun ruhig weiter wuchern lassen? Wir glauben, nein. Freilich, den Geschmack des Publikums kann man nicht von heute auf morgen dahin ummodeln, daß es sich von der Schundpresse ab- und den bessern Blättern wieder zuwendet. Aber wenn die übrigen Beteiligten, Staat, Verleger und Journalisten, an ihrem Teil ehrlich darangehen, die deutsche Presse aus dem Sumpf herauszuarbeiten, dann wird auch der Geschmack des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/316
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/316>, abgerufen am 25.08.2024.