Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Königreich ivestfalen

freiere Denkungsart. die jenseits des Meeres herrschte. augenommen hatte. An
diesem Kastengeist, der unter den Beamten herrschte, hat das westfälische Re¬
giment nur wenig ändern können, weil es eben die große Mehrzahl der Be¬
amten vorläufig in ihren Stellungen ließ. Aber es kamen doch hin und wieder
durch einzelne in leitender Stellung befindliche Franzosen andre Gedanken zum
Durchbruch. Gründlich Wandlung zu schaffen, war erst dem preußischen Re¬
giment beschieden. " ^ . , ^

,
..Die Wohlthaten des Code Napoleon, die Öffentlichkeit des Verfahren.',
die Einrichtung der Jurhs werden ebenso viel entscheidende Charakterzüge ^hrcr
Monarchie sein," äußerte Napoleon weiter in dem schon erwähnten Schreiben
an Jerome Auf diesem Gebiete ist der Radikalismus, mit dem die Franzosen
Ergingen, nur zu loben. Wenn an der Spitze des Justizwesens nicht Snneon
gestanden hätte, ein eingefleischter Franzose, der gar nicht daran dachte, em
Verständnis für das geschichtlich gewordne Recht zu gewinnen, so Ware es
"icht zu so durchgreisenden Maßregeln gekommen. Was es bedeuten w.it. daß
die gesamten in dem Königreich vereinten Gebiete nur ein Recht hatten. kann
man nur ermessen, wenn man bedenkt, daß selbst in den frühern einzelne..
Staaten nirgends einheitliches Recht galt. Noch schlimmer war es, daß man
im Kurfürstentum Hannover uicht einmal dazu gekommen war, die empfind¬
lichsten Lücken des römischen Rechts auszufüllen. Nur das Osuabrückische
besaß eine Koukursordnm.g. Im Hypothekcnwesen. in der Vormundschaft
fehlte es völlig an gesetzlichen Bestimmungen. In der Strafrechtspflege hatte
'"an noch die Tortur denn als Grundkodex galt dem Kriminakrichter noch
die peinliche Nalsgerichtsordnnng Kaiser Karls V. Hier hat die westfälische
Regierung durchweg bessernd eingegriffen. So gute Gesetze wie dieses König¬
reich hat selten ein Land erhalten. Freilich anch hier ließ die Ausführung
viel zu wünschen übrig, da die Einmengung der Polizei in Sachen der Justiz
und Verwaltung, sowie das in allen napoleonischen Staaten beliebte Sy.onage-
shstem vieles verdarb.

Die große Menge des Volks setzte zuerst in die Neuerungen wenig Ver¬
trauen, man war zu sehr von der Güte des bisherigen Rechts überzeugt und
sah ihm thränenden Auges nach. Einsichtigere hatten freilich schon früher die
herrschenden Mängel erkannt; in Hannover hatte sich bereits ein hervorragender
Rechtsgelehrter sür die Einführung des preußischen Landrechts ausgesprochen.
Trotzdem lebten sich die Juristen sehr allmählich in die neuen Formen ein.
Worin der Grund hierfür zu suchen ist. läßt ein Brief des Justizministers
Simeon an den Prüsideuteu des Appellhofes in Celle deutlich erkennen. ..Lang¬
same Justiz -- heißt es hier -- ist keine Justiz. Es giebt in Westfalen viel ante
Rechtsgelehrte, uur müsse" sie ihr Wisse., einer de.nselben bisweilen anhaf¬
tenden scholastischen und metaphysischen Wendung entkleiden, es weniger spitz¬
findig machen und es direkter auss Ziel lossteuern lassen, ohne sich aus davon


Das Königreich ivestfalen

freiere Denkungsart. die jenseits des Meeres herrschte. augenommen hatte. An
diesem Kastengeist, der unter den Beamten herrschte, hat das westfälische Re¬
giment nur wenig ändern können, weil es eben die große Mehrzahl der Be¬
amten vorläufig in ihren Stellungen ließ. Aber es kamen doch hin und wieder
durch einzelne in leitender Stellung befindliche Franzosen andre Gedanken zum
Durchbruch. Gründlich Wandlung zu schaffen, war erst dem preußischen Re¬
giment beschieden. „ ^ . , ^

,
..Die Wohlthaten des Code Napoleon, die Öffentlichkeit des Verfahren.',
die Einrichtung der Jurhs werden ebenso viel entscheidende Charakterzüge ^hrcr
Monarchie sein," äußerte Napoleon weiter in dem schon erwähnten Schreiben
an Jerome Auf diesem Gebiete ist der Radikalismus, mit dem die Franzosen
Ergingen, nur zu loben. Wenn an der Spitze des Justizwesens nicht Snneon
gestanden hätte, ein eingefleischter Franzose, der gar nicht daran dachte, em
Verständnis für das geschichtlich gewordne Recht zu gewinnen, so Ware es
"icht zu so durchgreisenden Maßregeln gekommen. Was es bedeuten w.it. daß
die gesamten in dem Königreich vereinten Gebiete nur ein Recht hatten. kann
man nur ermessen, wenn man bedenkt, daß selbst in den frühern einzelne..
Staaten nirgends einheitliches Recht galt. Noch schlimmer war es, daß man
im Kurfürstentum Hannover uicht einmal dazu gekommen war, die empfind¬
lichsten Lücken des römischen Rechts auszufüllen. Nur das Osuabrückische
besaß eine Koukursordnm.g. Im Hypothekcnwesen. in der Vormundschaft
fehlte es völlig an gesetzlichen Bestimmungen. In der Strafrechtspflege hatte
'"an noch die Tortur denn als Grundkodex galt dem Kriminakrichter noch
die peinliche Nalsgerichtsordnnng Kaiser Karls V. Hier hat die westfälische
Regierung durchweg bessernd eingegriffen. So gute Gesetze wie dieses König¬
reich hat selten ein Land erhalten. Freilich anch hier ließ die Ausführung
viel zu wünschen übrig, da die Einmengung der Polizei in Sachen der Justiz
und Verwaltung, sowie das in allen napoleonischen Staaten beliebte Sy.onage-
shstem vieles verdarb.

Die große Menge des Volks setzte zuerst in die Neuerungen wenig Ver¬
trauen, man war zu sehr von der Güte des bisherigen Rechts überzeugt und
sah ihm thränenden Auges nach. Einsichtigere hatten freilich schon früher die
herrschenden Mängel erkannt; in Hannover hatte sich bereits ein hervorragender
Rechtsgelehrter sür die Einführung des preußischen Landrechts ausgesprochen.
Trotzdem lebten sich die Juristen sehr allmählich in die neuen Formen ein.
Worin der Grund hierfür zu suchen ist. läßt ein Brief des Justizministers
Simeon an den Prüsideuteu des Appellhofes in Celle deutlich erkennen. ..Lang¬
same Justiz — heißt es hier — ist keine Justiz. Es giebt in Westfalen viel ante
Rechtsgelehrte, uur müsse» sie ihr Wisse., einer de.nselben bisweilen anhaf¬
tenden scholastischen und metaphysischen Wendung entkleiden, es weniger spitz¬
findig machen und es direkter auss Ziel lossteuern lassen, ohne sich aus davon


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215755"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Königreich ivestfalen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_52" prev="#ID_51"> freiere Denkungsart. die jenseits des Meeres herrschte. augenommen hatte. An<lb/>
diesem Kastengeist, der unter den Beamten herrschte, hat das westfälische Re¬<lb/>
giment nur wenig ändern können, weil es eben die große Mehrzahl der Be¬<lb/>
amten vorläufig in ihren Stellungen ließ. Aber es kamen doch hin und wieder<lb/>
durch einzelne in leitender Stellung befindliche Franzosen andre Gedanken zum<lb/>
Durchbruch. Gründlich Wandlung zu schaffen, war erst dem preußischen Re¬<lb/>
giment beschieden. &#x201E;    ^ . ,  ^ </p><lb/>
          <p xml:id="ID_53"> ,<lb/>
..Die Wohlthaten des Code Napoleon, die Öffentlichkeit des Verfahren.',<lb/>
die Einrichtung der Jurhs werden ebenso viel entscheidende Charakterzüge ^hrcr<lb/>
Monarchie sein," äußerte Napoleon weiter in dem schon erwähnten Schreiben<lb/>
an Jerome Auf diesem Gebiete ist der Radikalismus, mit dem die Franzosen<lb/>
Ergingen, nur zu loben. Wenn an der Spitze des Justizwesens nicht Snneon<lb/>
gestanden hätte, ein eingefleischter Franzose, der gar nicht daran dachte, em<lb/>
Verständnis für das geschichtlich gewordne Recht zu gewinnen, so Ware es<lb/>
"icht zu so durchgreisenden Maßregeln gekommen. Was es bedeuten w.it. daß<lb/>
die gesamten in dem Königreich vereinten Gebiete nur ein Recht hatten. kann<lb/>
man nur ermessen, wenn man bedenkt, daß selbst in den frühern einzelne..<lb/>
Staaten nirgends einheitliches Recht galt. Noch schlimmer war es, daß man<lb/>
im Kurfürstentum Hannover uicht einmal dazu gekommen war, die empfind¬<lb/>
lichsten Lücken des römischen Rechts auszufüllen. Nur das Osuabrückische<lb/>
besaß eine Koukursordnm.g. Im Hypothekcnwesen. in der Vormundschaft<lb/>
fehlte es völlig an gesetzlichen Bestimmungen. In der Strafrechtspflege hatte<lb/>
'"an noch die Tortur denn als Grundkodex galt dem Kriminakrichter noch<lb/>
die peinliche Nalsgerichtsordnnng Kaiser Karls V. Hier hat die westfälische<lb/>
Regierung durchweg bessernd eingegriffen. So gute Gesetze wie dieses König¬<lb/>
reich hat selten ein Land erhalten. Freilich anch hier ließ die Ausführung<lb/>
viel zu wünschen übrig, da die Einmengung der Polizei in Sachen der Justiz<lb/>
und Verwaltung, sowie das in allen napoleonischen Staaten beliebte Sy.onage-<lb/>
shstem vieles verdarb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_54" next="#ID_55"> Die große Menge des Volks setzte zuerst in die Neuerungen wenig Ver¬<lb/>
trauen, man war zu sehr von der Güte des bisherigen Rechts überzeugt und<lb/>
sah ihm thränenden Auges nach. Einsichtigere hatten freilich schon früher die<lb/>
herrschenden Mängel erkannt; in Hannover hatte sich bereits ein hervorragender<lb/>
Rechtsgelehrter sür die Einführung des preußischen Landrechts ausgesprochen.<lb/>
Trotzdem lebten sich die Juristen sehr allmählich in die neuen Formen ein.<lb/>
Worin der Grund hierfür zu suchen ist. läßt ein Brief des Justizministers<lb/>
Simeon an den Prüsideuteu des Appellhofes in Celle deutlich erkennen. ..Lang¬<lb/>
same Justiz &#x2014; heißt es hier &#x2014; ist keine Justiz. Es giebt in Westfalen viel ante<lb/>
Rechtsgelehrte, uur müsse» sie ihr Wisse., einer de.nselben bisweilen anhaf¬<lb/>
tenden scholastischen und metaphysischen Wendung entkleiden, es weniger spitz¬<lb/>
findig machen und es direkter auss Ziel lossteuern lassen, ohne sich aus davon</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0031] Das Königreich ivestfalen freiere Denkungsart. die jenseits des Meeres herrschte. augenommen hatte. An diesem Kastengeist, der unter den Beamten herrschte, hat das westfälische Re¬ giment nur wenig ändern können, weil es eben die große Mehrzahl der Be¬ amten vorläufig in ihren Stellungen ließ. Aber es kamen doch hin und wieder durch einzelne in leitender Stellung befindliche Franzosen andre Gedanken zum Durchbruch. Gründlich Wandlung zu schaffen, war erst dem preußischen Re¬ giment beschieden. „ ^ . , ^ , ..Die Wohlthaten des Code Napoleon, die Öffentlichkeit des Verfahren.', die Einrichtung der Jurhs werden ebenso viel entscheidende Charakterzüge ^hrcr Monarchie sein," äußerte Napoleon weiter in dem schon erwähnten Schreiben an Jerome Auf diesem Gebiete ist der Radikalismus, mit dem die Franzosen Ergingen, nur zu loben. Wenn an der Spitze des Justizwesens nicht Snneon gestanden hätte, ein eingefleischter Franzose, der gar nicht daran dachte, em Verständnis für das geschichtlich gewordne Recht zu gewinnen, so Ware es "icht zu so durchgreisenden Maßregeln gekommen. Was es bedeuten w.it. daß die gesamten in dem Königreich vereinten Gebiete nur ein Recht hatten. kann man nur ermessen, wenn man bedenkt, daß selbst in den frühern einzelne.. Staaten nirgends einheitliches Recht galt. Noch schlimmer war es, daß man im Kurfürstentum Hannover uicht einmal dazu gekommen war, die empfind¬ lichsten Lücken des römischen Rechts auszufüllen. Nur das Osuabrückische besaß eine Koukursordnm.g. Im Hypothekcnwesen. in der Vormundschaft fehlte es völlig an gesetzlichen Bestimmungen. In der Strafrechtspflege hatte '"an noch die Tortur denn als Grundkodex galt dem Kriminakrichter noch die peinliche Nalsgerichtsordnnng Kaiser Karls V. Hier hat die westfälische Regierung durchweg bessernd eingegriffen. So gute Gesetze wie dieses König¬ reich hat selten ein Land erhalten. Freilich anch hier ließ die Ausführung viel zu wünschen übrig, da die Einmengung der Polizei in Sachen der Justiz und Verwaltung, sowie das in allen napoleonischen Staaten beliebte Sy.onage- shstem vieles verdarb. Die große Menge des Volks setzte zuerst in die Neuerungen wenig Ver¬ trauen, man war zu sehr von der Güte des bisherigen Rechts überzeugt und sah ihm thränenden Auges nach. Einsichtigere hatten freilich schon früher die herrschenden Mängel erkannt; in Hannover hatte sich bereits ein hervorragender Rechtsgelehrter sür die Einführung des preußischen Landrechts ausgesprochen. Trotzdem lebten sich die Juristen sehr allmählich in die neuen Formen ein. Worin der Grund hierfür zu suchen ist. läßt ein Brief des Justizministers Simeon an den Prüsideuteu des Appellhofes in Celle deutlich erkennen. ..Lang¬ same Justiz — heißt es hier — ist keine Justiz. Es giebt in Westfalen viel ante Rechtsgelehrte, uur müsse» sie ihr Wisse., einer de.nselben bisweilen anhaf¬ tenden scholastischen und metaphysischen Wendung entkleiden, es weniger spitz¬ findig machen und es direkter auss Ziel lossteuern lassen, ohne sich aus davon

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/31
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/31>, abgerufen am 04.07.2024.