Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.Deutschland und Frankreich Abschnitt, in dem das Vorhandensein schüchterner Regungen gegen die Re¬ Sein politischer Gedankengang läßt sich etwa in folgenden Sätzen Deutschland und Frankreich Abschnitt, in dem das Vorhandensein schüchterner Regungen gegen die Re¬ Sein politischer Gedankengang läßt sich etwa in folgenden Sätzen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/216022"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland und Frankreich</fw><lb/> <p xml:id="ID_878" prev="#ID_877"> Abschnitt, in dem das Vorhandensein schüchterner Regungen gegen die Re¬<lb/> vanche in der Litteratur und der Presse festgestellt wird, beschäftigen wir<lb/> uns nicht eingehend. Ist es doch so wenig! Aber nicht unerwähnt soll<lb/> Charnays Schrift: I^l8!los-Korri>,no vinZd »of axrvs (Paris, Alleinane, 1892)<lb/> bleiben, die in Deutschland so auffallend wenig Beachtung gefunden hat, ob¬<lb/> wohl sie sie doch entschieden verdiente. Wer noch eines Exemplars habhaft<lb/> werden kann — es wurde uns versichert, daß von denen, die mit der offnen<lb/> Sprache Charnays nicht einverstanden sind, besonders von den elsässischen<lb/> Emigranten, ein wahrer Vernichtungskrieg gegen das Büchlein geführt worden<lb/> sei —, der wird mit Staunen die offne Verurteilung der Nachepolitik und das<lb/> Bekenntnis lesen, daß die Volksabstimmung den so oft angerufueu Krieg mit<lb/> Deutschland unfehlbar verwerfen würde; die Schrift gipfelt in dem Vorschlag<lb/> einer französisch-deutscheu Allianz, die Deutschland ermöglichen soll, dem Druck<lb/> aus Osten einen Gegendruck entgegenzusetzen. Die Zitate aus Charnays Schrift<lb/> sind sehr lesenswert, wir hätten noch mehr gewünscht, besonders von den<lb/> Stimmungs- oder vielmehr Umstimmuugsbilderu aus Elsaß-Lothringen. Zu<lb/> diesem Kapitel bringt übrigens unser Büchlein von Arendt in den Anmer¬<lb/> kungen noch einige lesenswerte Beiträge.</p><lb/> <p xml:id="ID_879" next="#ID_880"> Sein politischer Gedankengang läßt sich etwa in folgenden Sätzen<lb/> zeichnen. Europa muß endlich mit dem System des bewaffneten Friedens<lb/> brechen. Von der Stellung Englands und Rußlands zu den feindlichen Mächten<lb/> Deutschland und Frankreich hängt es ab, ob dieses Ziel zu erreichen ist. Ent¬<lb/> weder wird der Dreibund durch dos Hinzutreten Englands so verstärkt, daß<lb/> er unangreifbar wird, oder Deutschland und Frankreich versöhnen sich und<lb/> vertreten die Interessen Europas gegen England und Rußland. England<lb/> fühlt sich uun viel zu sicher und ist zu kleinlich besorgt, die festländische»<lb/> Mächte Europas in ihrer bisherigen schwächenden Zerklüftung zu erhalten, als<lb/> daß es erschlossen seine Neutralität einer solchen Verbindung zum Opfer brächte,<lb/> deren Gewinn allerdings aUf den ersten Blick vorwiegend den mitteleuropäischen<lb/> Mächten zufällt. Aber die französisch-russische Freundschaft? Sie nimmt<lb/> augenblicklich fast alles politische Denken, das sich in Frankreich ausspricht,<lb/> gefangen und droht den aufkeimenden Gedanken der Versöhnung zu ersticken.<lb/> Die Gefahren einer Allianz mit Rußland sowohl für die Mittelmeerpolitik Frank¬<lb/> reichs als im Falle des Unterliegens Deutschlands sind aber offenbar. Frank¬<lb/> reich ist überhaupt eine zu kleine Hälfte in dieser Verbindung: es wird sich<lb/> Rußland zu fügen haben. Und je näher es sich an Rußland anschließt, um<lb/> so stärker wird sich sein Gegensatz zu England ausprägen, das ihm auf dem<lb/> außereuropäischen Felde entschiedner Halt gebieten wird. Wie viel fruchtbarer<lb/> an zweifellosen Vorteilen wäre der Anschluß Frankreichs an die mitteleuro¬<lb/> päischen Mächte! Erleichterung der Lasten, friedliche Entwicklung der Hilfs¬<lb/> quellen; energische Vertretung der wirtschaftlichen Interessen West- und Mittel-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0298]
Deutschland und Frankreich
Abschnitt, in dem das Vorhandensein schüchterner Regungen gegen die Re¬
vanche in der Litteratur und der Presse festgestellt wird, beschäftigen wir
uns nicht eingehend. Ist es doch so wenig! Aber nicht unerwähnt soll
Charnays Schrift: I^l8!los-Korri>,no vinZd »of axrvs (Paris, Alleinane, 1892)
bleiben, die in Deutschland so auffallend wenig Beachtung gefunden hat, ob¬
wohl sie sie doch entschieden verdiente. Wer noch eines Exemplars habhaft
werden kann — es wurde uns versichert, daß von denen, die mit der offnen
Sprache Charnays nicht einverstanden sind, besonders von den elsässischen
Emigranten, ein wahrer Vernichtungskrieg gegen das Büchlein geführt worden
sei —, der wird mit Staunen die offne Verurteilung der Nachepolitik und das
Bekenntnis lesen, daß die Volksabstimmung den so oft angerufueu Krieg mit
Deutschland unfehlbar verwerfen würde; die Schrift gipfelt in dem Vorschlag
einer französisch-deutscheu Allianz, die Deutschland ermöglichen soll, dem Druck
aus Osten einen Gegendruck entgegenzusetzen. Die Zitate aus Charnays Schrift
sind sehr lesenswert, wir hätten noch mehr gewünscht, besonders von den
Stimmungs- oder vielmehr Umstimmuugsbilderu aus Elsaß-Lothringen. Zu
diesem Kapitel bringt übrigens unser Büchlein von Arendt in den Anmer¬
kungen noch einige lesenswerte Beiträge.
Sein politischer Gedankengang läßt sich etwa in folgenden Sätzen
zeichnen. Europa muß endlich mit dem System des bewaffneten Friedens
brechen. Von der Stellung Englands und Rußlands zu den feindlichen Mächten
Deutschland und Frankreich hängt es ab, ob dieses Ziel zu erreichen ist. Ent¬
weder wird der Dreibund durch dos Hinzutreten Englands so verstärkt, daß
er unangreifbar wird, oder Deutschland und Frankreich versöhnen sich und
vertreten die Interessen Europas gegen England und Rußland. England
fühlt sich uun viel zu sicher und ist zu kleinlich besorgt, die festländische»
Mächte Europas in ihrer bisherigen schwächenden Zerklüftung zu erhalten, als
daß es erschlossen seine Neutralität einer solchen Verbindung zum Opfer brächte,
deren Gewinn allerdings aUf den ersten Blick vorwiegend den mitteleuropäischen
Mächten zufällt. Aber die französisch-russische Freundschaft? Sie nimmt
augenblicklich fast alles politische Denken, das sich in Frankreich ausspricht,
gefangen und droht den aufkeimenden Gedanken der Versöhnung zu ersticken.
Die Gefahren einer Allianz mit Rußland sowohl für die Mittelmeerpolitik Frank¬
reichs als im Falle des Unterliegens Deutschlands sind aber offenbar. Frank¬
reich ist überhaupt eine zu kleine Hälfte in dieser Verbindung: es wird sich
Rußland zu fügen haben. Und je näher es sich an Rußland anschließt, um
so stärker wird sich sein Gegensatz zu England ausprägen, das ihm auf dem
außereuropäischen Felde entschiedner Halt gebieten wird. Wie viel fruchtbarer
an zweifellosen Vorteilen wäre der Anschluß Frankreichs an die mitteleuro¬
päischen Mächte! Erleichterung der Lasten, friedliche Entwicklung der Hilfs¬
quellen; energische Vertretung der wirtschaftlichen Interessen West- und Mittel-
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