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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Das Königreich Westfalen

X-^.<>!önigreich Westfalen - so nannte Napoleon im Jahre 1807 ein
ans der deutschen Landkarte beliebig zusammengesuchtes Gebiet,
das er seinem jüngsten Bruder Jerome, dem verwöhnten Ben¬
jamin der vierten Dynastie, zum Geschenk machte. Es umfaßte
im wesentlichen die Eroberungen des letzten siegreichen Feldzugs
gegen Preuße:., die linkselbischen Besitzungen dieser schwer niedergeworfnen
Macht, zu denen die braunschweigischen und knrhessischen Lande, sowie der
südliche Teil des ehemaligen Kurfürstentums Hannover kamen. Das neu¬
geschaffne Staatswesen wurde ganz nach französischem Muster geordnet, denn
nur so, ganz ohne Rücksicht auf die nationalen und geschichtlich begründeten
Eigentümlichkeiten dieser Lande, konnte etwas Einheitliches geschaffen werden
Freilich rief der Radikalismus, mit dem das neue Regiment vorging, vielfach
Unwillen hervor, und selbst später noch, als man die guten Folgen, die
namentlich in der Beseitigung des alteingebürgerten Schlendrians der Ver¬
waltung bestanden, anerkannte, fehlte es nicht an Leuten, in deren Erinnerung
nur die Trübsale jener schweren Zeiten haften geblieben waren. Das kann
'"an ihnen nun nicht verübeln, denn schwer hat Napoleons Hand auf diesen
Ländern geruht. Anders aber stellt sich der Geschichtsforscher bei der Be¬
urteilung dieses Staatswesens; er wägt die Vorteile, die das französische Re¬
giment brachte, gegen die Opfer ab. Und wenn bereits ein so hervorragender
Staatsmann wie der preußische Staatskanzler von Hardenberg den Reformen,
die damals in Westfalen angebahnt wurden, seine Aufmerksamkeit schenkte, so
ist das ein Zeichen sür ihre Bedeutung- Freilich schwand mit dem Sturz des
korsischen Usurpators die Herrlichkeit seines in Kassel lustig residirenden Bruders
schnell dahin, und die alten Gewalten kehrten zurück. Aber sie konnten doch
unmöglich all teil getroffnen Neuerungen in der Gesetzgebung und Verwaltung
vorübergehen, sie mußten ihnen Rechnung tragen. So bildet denn das König¬
reich Westfalen ein wichtiges Bindeglied in dem Übergänge vom Feudalstaat
Ma modernen Staatswesen und verdient wohl eine eingehendere Betrachtung.

Ein Spiel des Zufalls ist es. daß soeben zwei Werke erschienen sind, die
sich dieser Aufgabe unterziehen. Im einzelnen bringen sie verschiednes. Der
durch seine Studien über die napoleonische Zeit bekannnte Heidelberger Professor




Das Königreich Westfalen

X-^.<>!önigreich Westfalen - so nannte Napoleon im Jahre 1807 ein
ans der deutschen Landkarte beliebig zusammengesuchtes Gebiet,
das er seinem jüngsten Bruder Jerome, dem verwöhnten Ben¬
jamin der vierten Dynastie, zum Geschenk machte. Es umfaßte
im wesentlichen die Eroberungen des letzten siegreichen Feldzugs
gegen Preuße:., die linkselbischen Besitzungen dieser schwer niedergeworfnen
Macht, zu denen die braunschweigischen und knrhessischen Lande, sowie der
südliche Teil des ehemaligen Kurfürstentums Hannover kamen. Das neu¬
geschaffne Staatswesen wurde ganz nach französischem Muster geordnet, denn
nur so, ganz ohne Rücksicht auf die nationalen und geschichtlich begründeten
Eigentümlichkeiten dieser Lande, konnte etwas Einheitliches geschaffen werden
Freilich rief der Radikalismus, mit dem das neue Regiment vorging, vielfach
Unwillen hervor, und selbst später noch, als man die guten Folgen, die
namentlich in der Beseitigung des alteingebürgerten Schlendrians der Ver¬
waltung bestanden, anerkannte, fehlte es nicht an Leuten, in deren Erinnerung
nur die Trübsale jener schweren Zeiten haften geblieben waren. Das kann
'"an ihnen nun nicht verübeln, denn schwer hat Napoleons Hand auf diesen
Ländern geruht. Anders aber stellt sich der Geschichtsforscher bei der Be¬
urteilung dieses Staatswesens; er wägt die Vorteile, die das französische Re¬
giment brachte, gegen die Opfer ab. Und wenn bereits ein so hervorragender
Staatsmann wie der preußische Staatskanzler von Hardenberg den Reformen,
die damals in Westfalen angebahnt wurden, seine Aufmerksamkeit schenkte, so
ist das ein Zeichen sür ihre Bedeutung- Freilich schwand mit dem Sturz des
korsischen Usurpators die Herrlichkeit seines in Kassel lustig residirenden Bruders
schnell dahin, und die alten Gewalten kehrten zurück. Aber sie konnten doch
unmöglich all teil getroffnen Neuerungen in der Gesetzgebung und Verwaltung
vorübergehen, sie mußten ihnen Rechnung tragen. So bildet denn das König¬
reich Westfalen ein wichtiges Bindeglied in dem Übergänge vom Feudalstaat
Ma modernen Staatswesen und verdient wohl eine eingehendere Betrachtung.

Ein Spiel des Zufalls ist es. daß soeben zwei Werke erschienen sind, die
sich dieser Aufgabe unterziehen. Im einzelnen bringen sie verschiednes. Der
durch seine Studien über die napoleonische Zeit bekannnte Heidelberger Professor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/29>, abgerufen am 04.07.2024.