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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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der schönen Schwester Magdalena, die dort nnter dem Schutze einer religiösen
Gesellschaft stehe, die von Zeit zu Zeit für ihren Schützling Schweigegelder wegen
des letzten Dynamitattcntats von der reichen Familie, wo sie Gesellschafterin
gewesen war, in Empfang nehme. Allen, auch dem jungen Assistenten or. Mac
Donnell, war die Geschichte bekannt, wie ein als Gesellschafterin bei reichen
Leuten aufgenommenes junges Mädchen, das sich von dem Sohn des Hauses
nicht ruiniren lassen wollte, dessen junge Frau durch eine Sprengbombe ge¬
tötet haben sollte, die sie auf der Veranda, wo die Familie versammelt
war, niedergelegt hatte. Alle drei nahmen es als ausgemacht an, daß das ganze
Manöver: die Unterbringung der hübschen Angeklagten in dem religiösen
Stift, ihre Freisprechung, ihre Anstellung im deutschen Hospital, die ganze
Hypothekengeschichte mit dem Kirchengrundstück und nun wieder das Umsatteln
des früher katholische", daun methodistischen Pastors einem einheitlichen Plan
entspringe, wobei noch höhere Mächte als Pastor Fischer mit im Spiele wären.

Doch ganz abgesehen von diesen Hospitalplänen, fuhr Cutter, als wir uns
zum Ausgehen rüsteten, fort, ist das plötzliche Umsatteln zur Medizin nicht
so etwas wunderbares, wie Sie denken, da der Mann, ehe er seine drei Se¬
mester absolvirte, über drei nicht absolvirte Anfaugsscmester schon sozusagen
sein Diplom in der Tasche hatte.

Auf meine Erkundigung über diesen Puukt wurde mir von Cutter, nach¬
dem wir uus auf den Weg zum Viehhof gemacht hatten, bestätigt, daß hier
wie auf jeder der 212 amerikanischen Medizinschulen (mit Ausnahme von sechs
bessern Anstalten) nnr sechs Semester Studium vorgeschrieben sind. Von
diesen können aber noch drei dadurch übersprungen werden, daß der betreffende
ein Zeugnis von einem Arzt ot ^ Uova swnäinZ bringt, worin ihm dieser
bescheinigt, daß er drei Semester lang bei ihm gelernt habe, und daß der Arzt für
die genügende Vorbereitung seines Mündels OM8) Bürgschaft leiste. Daß
das eine reine Form ist, daß der praktische Arzt den Ladenjllngling oder was
er sonst gewesen ist, einfach mit in sein Buggy nimmt zu ein paar Kranken¬
besuchen, bei denen er über Dinge reden oder auch schweigen lernt, die er
nicht versteht, ist eine allbekannte Sache. So kommen Leute, die ein paar
Jahre notdürftigen Elementarunterricht im Schreiben, Lesen und Rechnen und
in der Geschichte der Vereinigten Staaten genossen und dann irgendwo als
Laufburschen oder Clerks gedient haben, unmittelbar in die Kliniken, in die
gynäkologischen Operations- und Untersuchungszimmer u. s. w. und eignen sich
dort die Frechheit an, die dazu nötig ist, mit solcher Ausrüstung an den Leibern
ihrer Mitmenschen herumzuschneiden und herumzuquacksalbern.

Ich äußerte mein Erstaunen über dieses abgekürzte Verfahren.

Es hat uns in der Not in andern Fächern ausgeholfen, wir haben da¬
durch eine Masse Theologen und Juristen bekommen, die wir uns von Europa
nicht zu verschreiben brauchten. Warum soll es mit den Ärzten nicht auch


der schönen Schwester Magdalena, die dort nnter dem Schutze einer religiösen
Gesellschaft stehe, die von Zeit zu Zeit für ihren Schützling Schweigegelder wegen
des letzten Dynamitattcntats von der reichen Familie, wo sie Gesellschafterin
gewesen war, in Empfang nehme. Allen, auch dem jungen Assistenten or. Mac
Donnell, war die Geschichte bekannt, wie ein als Gesellschafterin bei reichen
Leuten aufgenommenes junges Mädchen, das sich von dem Sohn des Hauses
nicht ruiniren lassen wollte, dessen junge Frau durch eine Sprengbombe ge¬
tötet haben sollte, die sie auf der Veranda, wo die Familie versammelt
war, niedergelegt hatte. Alle drei nahmen es als ausgemacht an, daß das ganze
Manöver: die Unterbringung der hübschen Angeklagten in dem religiösen
Stift, ihre Freisprechung, ihre Anstellung im deutschen Hospital, die ganze
Hypothekengeschichte mit dem Kirchengrundstück und nun wieder das Umsatteln
des früher katholische», daun methodistischen Pastors einem einheitlichen Plan
entspringe, wobei noch höhere Mächte als Pastor Fischer mit im Spiele wären.

Doch ganz abgesehen von diesen Hospitalplänen, fuhr Cutter, als wir uns
zum Ausgehen rüsteten, fort, ist das plötzliche Umsatteln zur Medizin nicht
so etwas wunderbares, wie Sie denken, da der Mann, ehe er seine drei Se¬
mester absolvirte, über drei nicht absolvirte Anfaugsscmester schon sozusagen
sein Diplom in der Tasche hatte.

Auf meine Erkundigung über diesen Puukt wurde mir von Cutter, nach¬
dem wir uus auf den Weg zum Viehhof gemacht hatten, bestätigt, daß hier
wie auf jeder der 212 amerikanischen Medizinschulen (mit Ausnahme von sechs
bessern Anstalten) nnr sechs Semester Studium vorgeschrieben sind. Von
diesen können aber noch drei dadurch übersprungen werden, daß der betreffende
ein Zeugnis von einem Arzt ot ^ Uova swnäinZ bringt, worin ihm dieser
bescheinigt, daß er drei Semester lang bei ihm gelernt habe, und daß der Arzt für
die genügende Vorbereitung seines Mündels OM8) Bürgschaft leiste. Daß
das eine reine Form ist, daß der praktische Arzt den Ladenjllngling oder was
er sonst gewesen ist, einfach mit in sein Buggy nimmt zu ein paar Kranken¬
besuchen, bei denen er über Dinge reden oder auch schweigen lernt, die er
nicht versteht, ist eine allbekannte Sache. So kommen Leute, die ein paar
Jahre notdürftigen Elementarunterricht im Schreiben, Lesen und Rechnen und
in der Geschichte der Vereinigten Staaten genossen und dann irgendwo als
Laufburschen oder Clerks gedient haben, unmittelbar in die Kliniken, in die
gynäkologischen Operations- und Untersuchungszimmer u. s. w. und eignen sich
dort die Frechheit an, die dazu nötig ist, mit solcher Ausrüstung an den Leibern
ihrer Mitmenschen herumzuschneiden und herumzuquacksalbern.

Ich äußerte mein Erstaunen über dieses abgekürzte Verfahren.

Es hat uns in der Not in andern Fächern ausgeholfen, wir haben da¬
durch eine Masse Theologen und Juristen bekommen, die wir uns von Europa
nicht zu verschreiben brauchten. Warum soll es mit den Ärzten nicht auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/285>, abgerufen am 22.07.2024.