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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Nichts hat augenscheinlich Bernhardi leidenschaftlicher interesstrt als die
Reorganisation des preußischen Heeres. Im Frühjahr 1855 geht er mit dem
General von Etzel die Rangliste dnrch und klagt darüber, daß die "wandelnden
Leichen," nämlich die Kvrpskvmmcmdanten, unangetastet blieben, und daß man
sich um so mehr scheue, sie zu entfernen, als die Divisionsgeuerale, die an
ihre Stelle treten müßten, nicht jünger seien. Am 16. März 1857 spricht er
dem General von Frauseekh gegem'pber die Überzeugung aus, daß Preußen mit
seiner dermaligen Organisation den Franzosen nicht gewachsen sei, worauf der
General zustimmend bemerkt, die Kadres seien zu schwach, namentlich an Offi¬
zieren, die dürftigen Etats rührten aus der Zeit der größten Armut, 1808,
her und seien später ohne eigentlichen Grund beibehalten worden. Alle Adju¬
tanten, alle abkvmmandirteu Offiziere würden der ohnehin schon dürftigen Zahl
der etatsmäßigen Offiziere entnommen. Nun sollten auch noch im Kriegsfalle
Offiziere zur Landwehr abgegeben werden, deren so schon lose Organisation
ans keine Weise genüge, ihren Bataillonen die nötige Festigkeit zu geben.
Höchst interessant ist dabei Franseclhs Behauptung, der Prinz von Preußen
weise den Vorschlag, die gegenwärtige Organisation zu ändern, zurück. Drei¬
zehn Tage später schlägt Bernhardi vor, bei jedem Infanterieregiment ein viertes
Bataillon zu errichten, das ans den Kadres der drei Landwehrbatailloue be¬
stehe und natürlich seinen vollständigen Etat haben müsse.

Zahlreiche Mitteilungen über bekannte historische Persönlichkeiten geben
Beruhardis Aufzeichnungen einen besondern Reiz. Ein Augenzeuge erzählte
ihm, wie ein Nationalgardist Napoleon III als Präsident in Metz zugerufen
hat: Vivv In ruxu!ni<iuv vt rlsn Ws in rvpnMqnö! und Napoleon, dessen
Haupteigenschaft sonst nicht gerade Schlagfertigkeit war, ihm erwidert habe:
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1ö etroit als in'on cionnvr; Ä o'ost- uns is^vo, jiz l'keovxts xg.8. ^.11^!
worauf ein Beifallssturm folgte. Der Herzog Engen von Württemberg er¬
zählte, daß ein ungewöhnlich dummer Russe Tallehraud in Wien gefragt habe:
Rom (moll, 5i>rvo16on am'a-t-it ckouo voalu tÄirv su linssis? worauf Talley-
rnnd, ohne sein Kartenspiel zu unterbrechen, antwortete: I-n, wktniv clss voz^Sö,
Won vtisr!

Sehr häufig wird Moltke erwähnt. Als bei einer Generalstabsreise im
Jahre 1854 von Alexander von Humboldts hohem Alter und der Schwierig¬
keit, thu nach seinem Tode zu ersetzen, die Rede war, schlug der damalige
Oberst von Moltke -- Louis Schneider vor, zum allgemeinen Entsetzen, dem
allgemeine Heiterkeit folgte, in die auch die beiden Prinzen Friedrich Wilhelm
"ut Friedrich Karl mit einstimmten. Im Jahre 1856 macht das in und bei
Moskau versammelte russische Heer von 72000 Mann einen traurigen Ein¬
druck auf ihn, er findet es dnrch den Krieg sehr heruntergekommen; selbst die
Garden sehen schlecht aus. Ju einer zweistündigen Unterredung mit Bern-


Nichts hat augenscheinlich Bernhardi leidenschaftlicher interesstrt als die
Reorganisation des preußischen Heeres. Im Frühjahr 1855 geht er mit dem
General von Etzel die Rangliste dnrch und klagt darüber, daß die „wandelnden
Leichen," nämlich die Kvrpskvmmcmdanten, unangetastet blieben, und daß man
sich um so mehr scheue, sie zu entfernen, als die Divisionsgeuerale, die an
ihre Stelle treten müßten, nicht jünger seien. Am 16. März 1857 spricht er
dem General von Frauseekh gegem'pber die Überzeugung aus, daß Preußen mit
seiner dermaligen Organisation den Franzosen nicht gewachsen sei, worauf der
General zustimmend bemerkt, die Kadres seien zu schwach, namentlich an Offi¬
zieren, die dürftigen Etats rührten aus der Zeit der größten Armut, 1808,
her und seien später ohne eigentlichen Grund beibehalten worden. Alle Adju¬
tanten, alle abkvmmandirteu Offiziere würden der ohnehin schon dürftigen Zahl
der etatsmäßigen Offiziere entnommen. Nun sollten auch noch im Kriegsfalle
Offiziere zur Landwehr abgegeben werden, deren so schon lose Organisation
ans keine Weise genüge, ihren Bataillonen die nötige Festigkeit zu geben.
Höchst interessant ist dabei Franseclhs Behauptung, der Prinz von Preußen
weise den Vorschlag, die gegenwärtige Organisation zu ändern, zurück. Drei¬
zehn Tage später schlägt Bernhardi vor, bei jedem Infanterieregiment ein viertes
Bataillon zu errichten, das ans den Kadres der drei Landwehrbatailloue be¬
stehe und natürlich seinen vollständigen Etat haben müsse.

Zahlreiche Mitteilungen über bekannte historische Persönlichkeiten geben
Beruhardis Aufzeichnungen einen besondern Reiz. Ein Augenzeuge erzählte
ihm, wie ein Nationalgardist Napoleon III als Präsident in Metz zugerufen
hat: Vivv In ruxu!ni<iuv vt rlsn Ws in rvpnMqnö! und Napoleon, dessen
Haupteigenschaft sonst nicht gerade Schlagfertigkeit war, ihm erwidert habe:
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worauf ein Beifallssturm folgte. Der Herzog Engen von Württemberg er¬
zählte, daß ein ungewöhnlich dummer Russe Tallehraud in Wien gefragt habe:
Rom (moll, 5i>rvo16on am'a-t-it ckouo voalu tÄirv su linssis? worauf Talley-
rnnd, ohne sein Kartenspiel zu unterbrechen, antwortete: I-n, wktniv clss voz^Sö,
Won vtisr!

Sehr häufig wird Moltke erwähnt. Als bei einer Generalstabsreise im
Jahre 1854 von Alexander von Humboldts hohem Alter und der Schwierig¬
keit, thu nach seinem Tode zu ersetzen, die Rede war, schlug der damalige
Oberst von Moltke — Louis Schneider vor, zum allgemeinen Entsetzen, dem
allgemeine Heiterkeit folgte, in die auch die beiden Prinzen Friedrich Wilhelm
"ut Friedrich Karl mit einstimmten. Im Jahre 1856 macht das in und bei
Moskau versammelte russische Heer von 72000 Mann einen traurigen Ein¬
druck auf ihn, er findet es dnrch den Krieg sehr heruntergekommen; selbst die
Garden sehen schlecht aus. Ju einer zweistündigen Unterredung mit Bern-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/271>, abgerufen am 22.07.2024.