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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Beuchen'ti

Friedrich Wilhelm III.; dein Russentum, das sich in seiner Umgebung bei
seinem Aufenthalt in Vreslan im Frühjahre 1857 breit machte, trat er offen
und energisch entgegen, auch sonst werden manche interessanten Einzelheiten
über ihn mitgeteilt. Mit großer Betrübnis sprach er in demselben Jahre von
der geringen Achtung, in der Preußen stand, und äußerte sich mit Widerwillen
über das Treiben der Juukerpartei. Bei einem Diner erwähnte er in Bern¬
hardts Gegenwart, es gebe in Preußen Leute, die gern das linke Rheinufer
an Frankreich und Schlesien an Österreich abtreten würden, und zwar -- um
Preußen zu arrondiren!

Zahlreiche geschichtliche Notizen wurden Bernhardt noch von den han¬
delnden Personen mitgeteilt. So erzählte ihm der Legationsrat Kupfer, Eng¬
land sei mit Preußen beim Wiener Kongresse darüber einverstanden gewesen,
Rußland östlich von der Weichsel festzuhalten und ganz Sachsen preußisch
werden zu lasse". Das habe Alexander l. dadurch hintertrieben, daß er Polen
von der persönlichen Freundschaft Friedrich Wilhelms erbat und erhielt,
und dadurch der Anschauung Bahn brach, Preußen sei uur ein Vasallen¬
staat Rußlands, der auf jede Weise geschwächt werden müsse. Darauf hätten
dann die vereinigten Gegner Preußens die Erhaltung des Königreichs Sachsen
durchgesetzt, natürlich ohne daß der falsche Alexander eine Hand zu Gunsten
seines "Freundes" rührte.

Kaiser Nikolaus erscheint als Mann von geringem Verstände und schwachem
Charakter: "er verlor bei der geringsten Veranlassung das Gleichgewicht, der
kleinste Erfolg machte ihn thöricht übermütig, das kleinste Mißgeschick warf
ihn vollkommen nieder, er war dann ganz vernichtet," sagt ein Manu aus
seiner unsern Umgebung.

Grauenhafte Dinge erzählte General Tulubjew von dem Schmutz, der
Hungerleiderei, der schlechten Verpflegung und der großen Sterblichkeit der
russischen Soldaten. Von der russischen Heeresverwaltung giebt wohl nichts
eine klarere Vorstellung als der Umstand, daß die Offiziere beim Ausbruch nach
der Donau keine Mobilmachungsgelder bekamen, während ein Zivilist wie der
Geheimrat Julius von Krusenstern, Bernhardts Schwager, neben seinein
laufenden Gehalt 3600 Silberrubel Mvbilinachnngsgelder und vier Dukaten
Diäten, ein dem Hauptquartier zugeteilter Volontär, Gras Reewuski, 3300
Rubel Mobilmachungsgelder und drei Dukaten Diäten erhielt!

Außerordentlich wegwerfend lautet das Urteil von Bernhardis Schwager
über den Fürsten Gortschakow, den er für einen tuzmms es.rs erklärt; in Betreff
der russischen Politik war Bernhardi bereits im Jahre 1855 der Ansicht, daß
die Russen in den Franzosen schon wahrend des Krimkrieges ihre künftigen
Verbündeten sähen, eine Ansicht, die er nach der Mitteilung des Herausgebers
in einer im folgenden Jahre verfaßten und leider nicht veröffentlichten Denk¬
schrift weiter ausgeführt und begründet hat.


Theodor von Beuchen'ti

Friedrich Wilhelm III.; dein Russentum, das sich in seiner Umgebung bei
seinem Aufenthalt in Vreslan im Frühjahre 1857 breit machte, trat er offen
und energisch entgegen, auch sonst werden manche interessanten Einzelheiten
über ihn mitgeteilt. Mit großer Betrübnis sprach er in demselben Jahre von
der geringen Achtung, in der Preußen stand, und äußerte sich mit Widerwillen
über das Treiben der Juukerpartei. Bei einem Diner erwähnte er in Bern¬
hardts Gegenwart, es gebe in Preußen Leute, die gern das linke Rheinufer
an Frankreich und Schlesien an Österreich abtreten würden, und zwar — um
Preußen zu arrondiren!

Zahlreiche geschichtliche Notizen wurden Bernhardt noch von den han¬
delnden Personen mitgeteilt. So erzählte ihm der Legationsrat Kupfer, Eng¬
land sei mit Preußen beim Wiener Kongresse darüber einverstanden gewesen,
Rußland östlich von der Weichsel festzuhalten und ganz Sachsen preußisch
werden zu lasse». Das habe Alexander l. dadurch hintertrieben, daß er Polen
von der persönlichen Freundschaft Friedrich Wilhelms erbat und erhielt,
und dadurch der Anschauung Bahn brach, Preußen sei uur ein Vasallen¬
staat Rußlands, der auf jede Weise geschwächt werden müsse. Darauf hätten
dann die vereinigten Gegner Preußens die Erhaltung des Königreichs Sachsen
durchgesetzt, natürlich ohne daß der falsche Alexander eine Hand zu Gunsten
seines „Freundes" rührte.

Kaiser Nikolaus erscheint als Mann von geringem Verstände und schwachem
Charakter: „er verlor bei der geringsten Veranlassung das Gleichgewicht, der
kleinste Erfolg machte ihn thöricht übermütig, das kleinste Mißgeschick warf
ihn vollkommen nieder, er war dann ganz vernichtet," sagt ein Manu aus
seiner unsern Umgebung.

Grauenhafte Dinge erzählte General Tulubjew von dem Schmutz, der
Hungerleiderei, der schlechten Verpflegung und der großen Sterblichkeit der
russischen Soldaten. Von der russischen Heeresverwaltung giebt wohl nichts
eine klarere Vorstellung als der Umstand, daß die Offiziere beim Ausbruch nach
der Donau keine Mobilmachungsgelder bekamen, während ein Zivilist wie der
Geheimrat Julius von Krusenstern, Bernhardts Schwager, neben seinein
laufenden Gehalt 3600 Silberrubel Mvbilinachnngsgelder und vier Dukaten
Diäten, ein dem Hauptquartier zugeteilter Volontär, Gras Reewuski, 3300
Rubel Mobilmachungsgelder und drei Dukaten Diäten erhielt!

Außerordentlich wegwerfend lautet das Urteil von Bernhardis Schwager
über den Fürsten Gortschakow, den er für einen tuzmms es.rs erklärt; in Betreff
der russischen Politik war Bernhardi bereits im Jahre 1855 der Ansicht, daß
die Russen in den Franzosen schon wahrend des Krimkrieges ihre künftigen
Verbündeten sähen, eine Ansicht, die er nach der Mitteilung des Herausgebers
in einer im folgenden Jahre verfaßten und leider nicht veröffentlichten Denk¬
schrift weiter ausgeführt und begründet hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/270>, abgerufen am 22.07.2024.