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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Bürgerkunde in der französischen Volksschule

"Wenn ein Gesetz von den beiden Kammern angenommen ist, so wird es ver¬
öffentlicht, und dann muß ihm jeder gehorchen."

Aber wenn es schlecht ist, fragt ihr? Wer will es entscheiden, daß es schlecht
sei? Ihr findet es schlecht, aber die Kammern haben es gut gefunden, und anch
die Mehrheit der Wähler ist ohne Zweifel ihrer Ansicht. Ihr könnt euch darüber
beklagen, es sogar bekritteln, aber mit aller Achtung, und dann, wenn der Augen¬
blick der Wahlen kommt, könnt ihr den neuen Bewerber bitten, sein möglichstes
bei den Abgeordneten zu thun, es zu ändern. Aber das ist alles. Gegen wen
würde man sich auch auflehnen? Gegen ganz Frankreich, und das wäre Verrat.
Wenn ein Gesetz schlecht ist, so kann man nur die andern darauf aufmerksam
machen und dann geduldig die neuen Wahlen abwarten. Man ändert so die
Kammern, die dann ruhig das Gesetz ändern, und das ist viel besser als Auf-
lehnungen, die nur Blut und Geld kosten. Aber allerdings muß man immer
daran denken, daß es Leute giebt, die nicht so weit sehen, oder die sich nichts
aus ihrer Pflicht machen, und die sich weigern, den Gesetzen zu gehorchen. Und
deshalb hat man seine Vorsichtsmaßregeln treffen müssen: man hat eine Regierung
eingerichtet, die beauftragt ist, den Willen der Kammern zur Ausführung zu
bringen. Diese Regierung besteht aus dem Präsidenten der Republik und den
Ministern.

Damit ist der Übergang zur Regierung gemacht. Bei dem Präsidenten
kommt der Berfasser auf die Staatsstreiche vom 18. November 1799 und
vom 2. Dezember 1851 zu sprechen, und hier läßt er seinem Haß gegen
die beiden Napoleon die Zügel schießen. Auf die Frage eines Schülers:
"Was müßte man thun, wenn ein andrer Präsident der Republik wieder einen
Staatsstreich unternehmen wollte?" antwortet der Lehrer: "Dann müßte jeder
Bürger sein Gewehr nehmen, und jeder müßte sich erhebe" und den Elenden
festnehmen, um ihn aburteilen zu lassen."

Die Neigung, von der republikanischen etwa wieder zur monarchischen
Staatsform überzugehen, sucht der Verfasser schon den jungen Franzosen
gründlich zu verleiden. Zum Schluß heißt es: "Die Republik ist die gerech¬
teste, weiseste, friedlichste und billigste aller Regierungsformen, daher sind
schließlich sogar die, denen anfangs diese Regierungsform nicht behagte, Re¬
publikaner geworden. Das sieht man an den Wahlen. Nur die Minderheit
besteht noch aus Anhängern der Monarchie." Auf die Frage: "Da aber doch
die Mehrheit des Volks die Republik will, warum kann man die andern nicht
zwingen, Republikaner zu sein?" antwortet der Lehrer: "Nicht jeder kann
dieselbe Ansicht haben und die Dinge mit denselben Augen ansehen. Mau
muß duldsam sein: x^s as lig.iiuz puero ?rM</ni,8! (Zuräö^-1-i xour l'öunöini!"

Als fünfter Abschnitt reiht sich der über die Verwaltung des Staates an.
Hier werden die verschiednen Ministerien besprochen, und beim Ministerium
des Innern wird die Departementseinteilung mit deu Präfekten, den Unter-
präfekten und dem vcmsenl gsnoral und ihrer Thätigkeit behandelt, sodann die
Gemeinden und der vonscnl inumoiM mit deu Geiucindelasten und Steuern,


Die Bürgerkunde in der französischen Volksschule

„Wenn ein Gesetz von den beiden Kammern angenommen ist, so wird es ver¬
öffentlicht, und dann muß ihm jeder gehorchen."

Aber wenn es schlecht ist, fragt ihr? Wer will es entscheiden, daß es schlecht
sei? Ihr findet es schlecht, aber die Kammern haben es gut gefunden, und anch
die Mehrheit der Wähler ist ohne Zweifel ihrer Ansicht. Ihr könnt euch darüber
beklagen, es sogar bekritteln, aber mit aller Achtung, und dann, wenn der Augen¬
blick der Wahlen kommt, könnt ihr den neuen Bewerber bitten, sein möglichstes
bei den Abgeordneten zu thun, es zu ändern. Aber das ist alles. Gegen wen
würde man sich auch auflehnen? Gegen ganz Frankreich, und das wäre Verrat.
Wenn ein Gesetz schlecht ist, so kann man nur die andern darauf aufmerksam
machen und dann geduldig die neuen Wahlen abwarten. Man ändert so die
Kammern, die dann ruhig das Gesetz ändern, und das ist viel besser als Auf-
lehnungen, die nur Blut und Geld kosten. Aber allerdings muß man immer
daran denken, daß es Leute giebt, die nicht so weit sehen, oder die sich nichts
aus ihrer Pflicht machen, und die sich weigern, den Gesetzen zu gehorchen. Und
deshalb hat man seine Vorsichtsmaßregeln treffen müssen: man hat eine Regierung
eingerichtet, die beauftragt ist, den Willen der Kammern zur Ausführung zu
bringen. Diese Regierung besteht aus dem Präsidenten der Republik und den
Ministern.

Damit ist der Übergang zur Regierung gemacht. Bei dem Präsidenten
kommt der Berfasser auf die Staatsstreiche vom 18. November 1799 und
vom 2. Dezember 1851 zu sprechen, und hier läßt er seinem Haß gegen
die beiden Napoleon die Zügel schießen. Auf die Frage eines Schülers:
„Was müßte man thun, wenn ein andrer Präsident der Republik wieder einen
Staatsstreich unternehmen wollte?" antwortet der Lehrer: „Dann müßte jeder
Bürger sein Gewehr nehmen, und jeder müßte sich erhebe» und den Elenden
festnehmen, um ihn aburteilen zu lassen."

Die Neigung, von der republikanischen etwa wieder zur monarchischen
Staatsform überzugehen, sucht der Verfasser schon den jungen Franzosen
gründlich zu verleiden. Zum Schluß heißt es: „Die Republik ist die gerech¬
teste, weiseste, friedlichste und billigste aller Regierungsformen, daher sind
schließlich sogar die, denen anfangs diese Regierungsform nicht behagte, Re¬
publikaner geworden. Das sieht man an den Wahlen. Nur die Minderheit
besteht noch aus Anhängern der Monarchie." Auf die Frage: „Da aber doch
die Mehrheit des Volks die Republik will, warum kann man die andern nicht
zwingen, Republikaner zu sein?" antwortet der Lehrer: „Nicht jeder kann
dieselbe Ansicht haben und die Dinge mit denselben Augen ansehen. Mau
muß duldsam sein: x^s as lig.iiuz puero ?rM</ni,8! (Zuräö^-1-i xour l'öunöini!"

Als fünfter Abschnitt reiht sich der über die Verwaltung des Staates an.
Hier werden die verschiednen Ministerien besprochen, und beim Ministerium
des Innern wird die Departementseinteilung mit deu Präfekten, den Unter-
präfekten und dem vcmsenl gsnoral und ihrer Thätigkeit behandelt, sodann die
Gemeinden und der vonscnl inumoiM mit deu Geiucindelasten und Steuern,


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[0260] Die Bürgerkunde in der französischen Volksschule „Wenn ein Gesetz von den beiden Kammern angenommen ist, so wird es ver¬ öffentlicht, und dann muß ihm jeder gehorchen." Aber wenn es schlecht ist, fragt ihr? Wer will es entscheiden, daß es schlecht sei? Ihr findet es schlecht, aber die Kammern haben es gut gefunden, und anch die Mehrheit der Wähler ist ohne Zweifel ihrer Ansicht. Ihr könnt euch darüber beklagen, es sogar bekritteln, aber mit aller Achtung, und dann, wenn der Augen¬ blick der Wahlen kommt, könnt ihr den neuen Bewerber bitten, sein möglichstes bei den Abgeordneten zu thun, es zu ändern. Aber das ist alles. Gegen wen würde man sich auch auflehnen? Gegen ganz Frankreich, und das wäre Verrat. Wenn ein Gesetz schlecht ist, so kann man nur die andern darauf aufmerksam machen und dann geduldig die neuen Wahlen abwarten. Man ändert so die Kammern, die dann ruhig das Gesetz ändern, und das ist viel besser als Auf- lehnungen, die nur Blut und Geld kosten. Aber allerdings muß man immer daran denken, daß es Leute giebt, die nicht so weit sehen, oder die sich nichts aus ihrer Pflicht machen, und die sich weigern, den Gesetzen zu gehorchen. Und deshalb hat man seine Vorsichtsmaßregeln treffen müssen: man hat eine Regierung eingerichtet, die beauftragt ist, den Willen der Kammern zur Ausführung zu bringen. Diese Regierung besteht aus dem Präsidenten der Republik und den Ministern. Damit ist der Übergang zur Regierung gemacht. Bei dem Präsidenten kommt der Berfasser auf die Staatsstreiche vom 18. November 1799 und vom 2. Dezember 1851 zu sprechen, und hier läßt er seinem Haß gegen die beiden Napoleon die Zügel schießen. Auf die Frage eines Schülers: „Was müßte man thun, wenn ein andrer Präsident der Republik wieder einen Staatsstreich unternehmen wollte?" antwortet der Lehrer: „Dann müßte jeder Bürger sein Gewehr nehmen, und jeder müßte sich erhebe» und den Elenden festnehmen, um ihn aburteilen zu lassen." Die Neigung, von der republikanischen etwa wieder zur monarchischen Staatsform überzugehen, sucht der Verfasser schon den jungen Franzosen gründlich zu verleiden. Zum Schluß heißt es: „Die Republik ist die gerech¬ teste, weiseste, friedlichste und billigste aller Regierungsformen, daher sind schließlich sogar die, denen anfangs diese Regierungsform nicht behagte, Re¬ publikaner geworden. Das sieht man an den Wahlen. Nur die Minderheit besteht noch aus Anhängern der Monarchie." Auf die Frage: „Da aber doch die Mehrheit des Volks die Republik will, warum kann man die andern nicht zwingen, Republikaner zu sein?" antwortet der Lehrer: „Nicht jeder kann dieselbe Ansicht haben und die Dinge mit denselben Augen ansehen. Mau muß duldsam sein: x^s as lig.iiuz puero ?rM</ni,8! (Zuräö^-1-i xour l'öunöini!" Als fünfter Abschnitt reiht sich der über die Verwaltung des Staates an. Hier werden die verschiednen Ministerien besprochen, und beim Ministerium des Innern wird die Departementseinteilung mit deu Präfekten, den Unter- präfekten und dem vcmsenl gsnoral und ihrer Thätigkeit behandelt, sodann die Gemeinden und der vonscnl inumoiM mit deu Geiucindelasten und Steuern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/260>, abgerufen am 22.07.2024.