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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Die Bürgerkunde in der französischen Volksschule
w, Maler von

le Frage, ob die "Bürgertnnde" unter die Lehrgegenstände der
Schulen aufgenommen werden solle, ist in der letzten Zeit wieder¬
holt erörtert worden. Zuletzt kam der Gegenstand auf der Ver¬
sammlung deutscher Historiker in München zur Sprache. Die
Ansichten waren dort verschiede": während sich die einen für die
Einführung dieses Lehrfachs, sei es im Anschluß an die Geschichtsstunde, sei
es als eines besondern Unterrichtsgegenstandes aussprachen, glaubten die andern
Einwendungen dagegen machen zu müssen.

Es ist durchaus nicht das erstemal, daß diese Forderung an die Schule
gestellt wird. Unstreitig haben ihr aber die Worte unsers Kaisers auf der
Schulkoufereuz im Dezember 1889 einen neuen Anstoß gegeben; ihnen ver¬
danken wir auch schon einige Versuche, die wichtigsten staatlichen Einrichtungen
in Form von Leitfäden zusammenzustellen, und es ist gar kein Zweifel, daß
man der Frage nicht länger wird aus dem Wege gehen können.

Ob sich auch die Volksschule mit dein Gegenstande befassen soll, ist eine
Frage für sich. Die höhern Schulen aber sollten dem Gegenstande bald näher
treten; denn es ist Thatsache, daß eine nicht unbeträchtliche Zahl erwachsener,
schon im Leben stehender junger Männer, wenn sie nicht gerade juristische
Studien gemacht haben, oft über die einfachsten Verhältnisse der bürgerlichen
Gesellschaft, z. B. über den Unterschied zwischen Verbrechen, Vergehen und Über¬
tretung, über die Befugnisse der verschiednen Gerichte u. tgi. völlig im Unklaren
sind. Möge" auch einzelne Anstalten im Geschichtsunterricht gelegentlich neuere
Verhältnisse zum Vergleich heranziehen -- es hängt das von der Persönlichkeit
des betreffenden Lehrers ab so wäre es doch wünschenswert, daß hierin
"ne gewisse Gleichheit herrschte; denn je mehr das öffentliche Leben im Volke
an Bedeutung gewinnt, desto mehr scheint das Verlangen berechtigt, daß schon
auf der Schule gewisse Grundbegriffe des Staatslebens gelehrt werden.

Ich weiß sehr wohl, daß mau es als ungerechtfertigt, ja als bedenklich
hingestellt hat, die Politik, die ja das gesellschaftliche Leben oft genug ver¬
giftet, schou in die Schule zu verpflanzen. Es soll ja aber gar keine Politik
gelehrt, sondern den Schülern nnr allgemeine Begriffe beigebracht werden. Es




Die Bürgerkunde in der französischen Volksschule
w, Maler von

le Frage, ob die „Bürgertnnde" unter die Lehrgegenstände der
Schulen aufgenommen werden solle, ist in der letzten Zeit wieder¬
holt erörtert worden. Zuletzt kam der Gegenstand auf der Ver¬
sammlung deutscher Historiker in München zur Sprache. Die
Ansichten waren dort verschiede«: während sich die einen für die
Einführung dieses Lehrfachs, sei es im Anschluß an die Geschichtsstunde, sei
es als eines besondern Unterrichtsgegenstandes aussprachen, glaubten die andern
Einwendungen dagegen machen zu müssen.

Es ist durchaus nicht das erstemal, daß diese Forderung an die Schule
gestellt wird. Unstreitig haben ihr aber die Worte unsers Kaisers auf der
Schulkoufereuz im Dezember 1889 einen neuen Anstoß gegeben; ihnen ver¬
danken wir auch schon einige Versuche, die wichtigsten staatlichen Einrichtungen
in Form von Leitfäden zusammenzustellen, und es ist gar kein Zweifel, daß
man der Frage nicht länger wird aus dem Wege gehen können.

Ob sich auch die Volksschule mit dein Gegenstande befassen soll, ist eine
Frage für sich. Die höhern Schulen aber sollten dem Gegenstande bald näher
treten; denn es ist Thatsache, daß eine nicht unbeträchtliche Zahl erwachsener,
schon im Leben stehender junger Männer, wenn sie nicht gerade juristische
Studien gemacht haben, oft über die einfachsten Verhältnisse der bürgerlichen
Gesellschaft, z. B. über den Unterschied zwischen Verbrechen, Vergehen und Über¬
tretung, über die Befugnisse der verschiednen Gerichte u. tgi. völlig im Unklaren
sind. Möge« auch einzelne Anstalten im Geschichtsunterricht gelegentlich neuere
Verhältnisse zum Vergleich heranziehen — es hängt das von der Persönlichkeit
des betreffenden Lehrers ab so wäre es doch wünschenswert, daß hierin
«ne gewisse Gleichheit herrschte; denn je mehr das öffentliche Leben im Volke
an Bedeutung gewinnt, desto mehr scheint das Verlangen berechtigt, daß schon
auf der Schule gewisse Grundbegriffe des Staatslebens gelehrt werden.

Ich weiß sehr wohl, daß mau es als ungerechtfertigt, ja als bedenklich
hingestellt hat, die Politik, die ja das gesellschaftliche Leben oft genug ver¬
giftet, schou in die Schule zu verpflanzen. Es soll ja aber gar keine Politik
gelehrt, sondern den Schülern nnr allgemeine Begriffe beigebracht werden. Es


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[0253] [Abbildung] Die Bürgerkunde in der französischen Volksschule w, Maler von le Frage, ob die „Bürgertnnde" unter die Lehrgegenstände der Schulen aufgenommen werden solle, ist in der letzten Zeit wieder¬ holt erörtert worden. Zuletzt kam der Gegenstand auf der Ver¬ sammlung deutscher Historiker in München zur Sprache. Die Ansichten waren dort verschiede«: während sich die einen für die Einführung dieses Lehrfachs, sei es im Anschluß an die Geschichtsstunde, sei es als eines besondern Unterrichtsgegenstandes aussprachen, glaubten die andern Einwendungen dagegen machen zu müssen. Es ist durchaus nicht das erstemal, daß diese Forderung an die Schule gestellt wird. Unstreitig haben ihr aber die Worte unsers Kaisers auf der Schulkoufereuz im Dezember 1889 einen neuen Anstoß gegeben; ihnen ver¬ danken wir auch schon einige Versuche, die wichtigsten staatlichen Einrichtungen in Form von Leitfäden zusammenzustellen, und es ist gar kein Zweifel, daß man der Frage nicht länger wird aus dem Wege gehen können. Ob sich auch die Volksschule mit dein Gegenstande befassen soll, ist eine Frage für sich. Die höhern Schulen aber sollten dem Gegenstande bald näher treten; denn es ist Thatsache, daß eine nicht unbeträchtliche Zahl erwachsener, schon im Leben stehender junger Männer, wenn sie nicht gerade juristische Studien gemacht haben, oft über die einfachsten Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft, z. B. über den Unterschied zwischen Verbrechen, Vergehen und Über¬ tretung, über die Befugnisse der verschiednen Gerichte u. tgi. völlig im Unklaren sind. Möge« auch einzelne Anstalten im Geschichtsunterricht gelegentlich neuere Verhältnisse zum Vergleich heranziehen — es hängt das von der Persönlichkeit des betreffenden Lehrers ab so wäre es doch wünschenswert, daß hierin «ne gewisse Gleichheit herrschte; denn je mehr das öffentliche Leben im Volke an Bedeutung gewinnt, desto mehr scheint das Verlangen berechtigt, daß schon auf der Schule gewisse Grundbegriffe des Staatslebens gelehrt werden. Ich weiß sehr wohl, daß mau es als ungerechtfertigt, ja als bedenklich hingestellt hat, die Politik, die ja das gesellschaftliche Leben oft genug ver¬ giftet, schou in die Schule zu verpflanzen. Es soll ja aber gar keine Politik gelehrt, sondern den Schülern nnr allgemeine Begriffe beigebracht werden. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/253>, abgerufen am 22.07.2024.