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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

hat ein solcher Angeklagte nichts. Die betreffende Zeitung kauft sich irgend
ein Subjekt, das als verantwortlicher Redakteur zeichnet und durch kein Ver¬
mögen an der Verübung von Verbrechen gehindert ist, und läßt durch diesen
die Verleumdungen vertreten, die sie ohne eigne vermögensrechtliche Gefahr
nicht unternehmen könnte.

Das ist die Genugthuung, die unser bestehendes Recht dem in seiner Ehre
angegriffnen Manne gewährt. Nach monatelangem, vielleicht noch länger
dauerndem Hinziehen seiner Klage eine unbedeutende Geldstrafe, im günstigsten
Falle eine kleine Gefängnisstrafe des Angeklagten, während dieser selbst aus
dem Prozesse wieder Kapital schlägt, den ganzen Hergang unter Anführung
der ursprünglich und der im Laufe des Prozesses neu verübten Beleidigungen
in seinem Blatte wiedergiebt und so ein neues Geschäft mit der ersten Ver¬
leumdung macht.

Sollen wir uns etwa wieder mit dem Spruche trösten, daß die Presse
ja bekanntlich der Speer sei, der die Wunden heile, die er geschlagen hat?
Es wird wohl wenige geben, die hierin einen genügenden Trost finden, wenn
sie einmal selbst in die Lage gekommen sind, von diesem Speer getroffen zu
werden. Erstens brauche ich gar nicht zu dulden, daß sich einer das Ver¬
gnügen macht, mit seinem Speer nach mir zu werfen, und sodann ist die ganze
Behauptung ein Schwindel. Der Schaden, der durch eine Preßverlcumdung
angerichtet wird, kann überhaupt nicht wieder gut gemacht werden. Ein großer
Teil der Leser erhält von einer Berichtigung oder einer Verurteilung gar keine
Kenntnis; ein andrer Teil glaubt trotz dieser Kenntnis an die Wahrheit der
verbreiteten Lügen.

So lange wir uns nicht entschließen, mit unsrer Preßgesetzgebung eine
Änderung von Grund aus vorzunehmen, so lange wir nicht die notwendigen
materiellen und prozessualischen Maßregeln ergreifen, um eine rasche und ener¬
gische Justiz gegen den Mißbrauch der Presse zu ermöglichen und diese selbst
im Falle der Widersetzlichkeit zu unterdrücken, so lange dürfen wir uns
nicht Wundern, wenn ein Ehrenmann endlich zur Selbsthilfe greift, um sich
das Recht zu verschaffen, das ihm zu gewähren die bestehende Gesetzgebung
nicht imstande ist.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein neuer Sachsenbischof.

Vor wenigen Wochen bewegte sich durch die
Straßen der nltehrwürdigen sächsischen Metropole Hermannstadt ein unabsehbarer
Trauerzug; von der glänzenden ordengeschmückten Uniform an bis zum schlichten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

hat ein solcher Angeklagte nichts. Die betreffende Zeitung kauft sich irgend
ein Subjekt, das als verantwortlicher Redakteur zeichnet und durch kein Ver¬
mögen an der Verübung von Verbrechen gehindert ist, und läßt durch diesen
die Verleumdungen vertreten, die sie ohne eigne vermögensrechtliche Gefahr
nicht unternehmen könnte.

Das ist die Genugthuung, die unser bestehendes Recht dem in seiner Ehre
angegriffnen Manne gewährt. Nach monatelangem, vielleicht noch länger
dauerndem Hinziehen seiner Klage eine unbedeutende Geldstrafe, im günstigsten
Falle eine kleine Gefängnisstrafe des Angeklagten, während dieser selbst aus
dem Prozesse wieder Kapital schlägt, den ganzen Hergang unter Anführung
der ursprünglich und der im Laufe des Prozesses neu verübten Beleidigungen
in seinem Blatte wiedergiebt und so ein neues Geschäft mit der ersten Ver¬
leumdung macht.

Sollen wir uns etwa wieder mit dem Spruche trösten, daß die Presse
ja bekanntlich der Speer sei, der die Wunden heile, die er geschlagen hat?
Es wird wohl wenige geben, die hierin einen genügenden Trost finden, wenn
sie einmal selbst in die Lage gekommen sind, von diesem Speer getroffen zu
werden. Erstens brauche ich gar nicht zu dulden, daß sich einer das Ver¬
gnügen macht, mit seinem Speer nach mir zu werfen, und sodann ist die ganze
Behauptung ein Schwindel. Der Schaden, der durch eine Preßverlcumdung
angerichtet wird, kann überhaupt nicht wieder gut gemacht werden. Ein großer
Teil der Leser erhält von einer Berichtigung oder einer Verurteilung gar keine
Kenntnis; ein andrer Teil glaubt trotz dieser Kenntnis an die Wahrheit der
verbreiteten Lügen.

So lange wir uns nicht entschließen, mit unsrer Preßgesetzgebung eine
Änderung von Grund aus vorzunehmen, so lange wir nicht die notwendigen
materiellen und prozessualischen Maßregeln ergreifen, um eine rasche und ener¬
gische Justiz gegen den Mißbrauch der Presse zu ermöglichen und diese selbst
im Falle der Widersetzlichkeit zu unterdrücken, so lange dürfen wir uns
nicht Wundern, wenn ein Ehrenmann endlich zur Selbsthilfe greift, um sich
das Recht zu verschaffen, das ihm zu gewähren die bestehende Gesetzgebung
nicht imstande ist.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein neuer Sachsenbischof.

Vor wenigen Wochen bewegte sich durch die
Straßen der nltehrwürdigen sächsischen Metropole Hermannstadt ein unabsehbarer
Trauerzug; von der glänzenden ordengeschmückten Uniform an bis zum schlichten


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[0244] Maßgebliches und Unmaßgebliches hat ein solcher Angeklagte nichts. Die betreffende Zeitung kauft sich irgend ein Subjekt, das als verantwortlicher Redakteur zeichnet und durch kein Ver¬ mögen an der Verübung von Verbrechen gehindert ist, und läßt durch diesen die Verleumdungen vertreten, die sie ohne eigne vermögensrechtliche Gefahr nicht unternehmen könnte. Das ist die Genugthuung, die unser bestehendes Recht dem in seiner Ehre angegriffnen Manne gewährt. Nach monatelangem, vielleicht noch länger dauerndem Hinziehen seiner Klage eine unbedeutende Geldstrafe, im günstigsten Falle eine kleine Gefängnisstrafe des Angeklagten, während dieser selbst aus dem Prozesse wieder Kapital schlägt, den ganzen Hergang unter Anführung der ursprünglich und der im Laufe des Prozesses neu verübten Beleidigungen in seinem Blatte wiedergiebt und so ein neues Geschäft mit der ersten Ver¬ leumdung macht. Sollen wir uns etwa wieder mit dem Spruche trösten, daß die Presse ja bekanntlich der Speer sei, der die Wunden heile, die er geschlagen hat? Es wird wohl wenige geben, die hierin einen genügenden Trost finden, wenn sie einmal selbst in die Lage gekommen sind, von diesem Speer getroffen zu werden. Erstens brauche ich gar nicht zu dulden, daß sich einer das Ver¬ gnügen macht, mit seinem Speer nach mir zu werfen, und sodann ist die ganze Behauptung ein Schwindel. Der Schaden, der durch eine Preßverlcumdung angerichtet wird, kann überhaupt nicht wieder gut gemacht werden. Ein großer Teil der Leser erhält von einer Berichtigung oder einer Verurteilung gar keine Kenntnis; ein andrer Teil glaubt trotz dieser Kenntnis an die Wahrheit der verbreiteten Lügen. So lange wir uns nicht entschließen, mit unsrer Preßgesetzgebung eine Änderung von Grund aus vorzunehmen, so lange wir nicht die notwendigen materiellen und prozessualischen Maßregeln ergreifen, um eine rasche und ener¬ gische Justiz gegen den Mißbrauch der Presse zu ermöglichen und diese selbst im Falle der Widersetzlichkeit zu unterdrücken, so lange dürfen wir uns nicht Wundern, wenn ein Ehrenmann endlich zur Selbsthilfe greift, um sich das Recht zu verschaffen, das ihm zu gewähren die bestehende Gesetzgebung nicht imstande ist. Maßgebliches und Unmaßgebliches Ein neuer Sachsenbischof. Vor wenigen Wochen bewegte sich durch die Straßen der nltehrwürdigen sächsischen Metropole Hermannstadt ein unabsehbarer Trauerzug; von der glänzenden ordengeschmückten Uniform an bis zum schlichten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/244>, abgerufen am 22.07.2024.