Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.Der "Fall Airchhof" Gericht als unerheblich verworfen, dem General jedoch konnte für diese unter Was der General gethan hat, kann nach den bestehenden Gesetzen nicht Hat der Klüger dies dann über sich ergehen lassen und es mit Mühe Der „Fall Airchhof" Gericht als unerheblich verworfen, dem General jedoch konnte für diese unter Was der General gethan hat, kann nach den bestehenden Gesetzen nicht Hat der Klüger dies dann über sich ergehen lassen und es mit Mühe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215967"/> <fw type="header" place="top"> Der „Fall Airchhof"</fw><lb/> <p xml:id="ID_629" prev="#ID_628"> Gericht als unerheblich verworfen, dem General jedoch konnte für diese unter<lb/> dem Vorwande der Verteidigung zugefügte neue Beleidigung leine Genugthuung<lb/> geschafft werden. Es blieb ihm nichts übrig, als von dem pp. Harich die<lb/> Erklärung zu verlangen, daß er gelogen habe, und um diese Erklärung zu<lb/> erhalten, begab er sich in dessen Wohnung. Als der pp. Harich sich weigerte,<lb/> diese Erklärung schriftlich abzugeben, hat der Geueral auf ihn geschossen; ge¬<lb/> schadet hat der Schuß dem pp. Harich nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_630"> Was der General gethan hat, kann nach den bestehenden Gesetzen nicht<lb/> gebilligt werden, aber eine Reihe von Entschuldigungsgründen steht ihm doch<lb/> zur Seite. Mau vergegenwärtige sich einmal die Lage eines ehrenhaften<lb/> Mannes, der in seiner und seiner Familie Ehre von einem unbekannten, be¬<lb/> liebigen Preßklepper hinterlistig angegriffen wird. Der Bursche weiß ganz<lb/> gut, daß seine Erzählung durchaus unwahr ist. Das ficht ihn aber nicht an;<lb/> es kommt ihm darauf an, einen seiner Partei mißliebigen Manu zu kränken,<lb/> ihm die Ehre abzuschneiden, ihm zu schaden oder auch nur, etwas „Pikantes"<lb/> zu bringen. Die Mittel, dies zu bewirken, sind ihm ganz gleichgiltig. Also<lb/> munter eine Verleumdung in sein Blatt! Der Angegriffne wehrt sich in den<lb/> Formen des Gesetzes, indem er Klage gegen das Blatt wegen Verleumdung<lb/> erhebt. Nun sehe man die Formen an. in denen sich ein solches Verfahren<lb/> abwickelt. Dem Angeklagten und seinem Verteidiger — einen solchen findet<lb/> er ja immer — stehen die vorzüglichsten Mittel zur Verschleppung der Sache<lb/> zu Gebote. ES werden Vertagungsgesuche eingereicht, Erkrankungen vorge¬<lb/> spiegelt, ganz wertlose Beweisanträge gestellt: jedes einzelne solche Vordringen<lb/> genügt, die Sache wieder aus einige Zeit hinauszuschieben. Ist es endlich<lb/> dem Vorsitzenden gelungen, einen Termin herbeizuführen, so bietet die Ver¬<lb/> handlung der Sache selbst dem Angeklagten wieder die bequemste Gelegenheit,<lb/> in Anwesenheit einer zahlreichen Zuhörerschaft ungestraft die unverschämtesten<lb/> Beleidigungen des Klägers zu verüben, denn „seine Verteidigung darf ihm<lb/> nicht verkümmert werden," und der § 193 des Strafgesetzbuchs ist — besonders<lb/> gegenüber einem schwachen Vorsitzenden und einem ängstlichen Gericht — ein<lb/> vollendetes Deckungsmittel, hinter dem man die nichtswürdigsten Verdächti¬<lb/> gungen straflos begehen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_631" next="#ID_632"> Hat der Klüger dies dann über sich ergehen lassen und es mit Mühe<lb/> und Not schließlich dahin gebracht, daß der Angeklagte nicht „wegen Wnhruug<lb/> berechtigter Interessen" freigesprochen, sondern endgiltig und rechtskräftig in<lb/> letzter Instanz verurteilt worden ist — was ist so häufig das Ergebnis seiner<lb/> Klage und aller mit ihr zusammenhängenden Unlust, Mühe und Qual? Eine<lb/> Geldstrafe von einer lächerlichen Niedrigkeit. Der Angeklagte hat auch die<lb/> Kosten zu tragen. Jawohl, wenn er etwas hat. Wenn er aber nichts hat?<lb/> Ja, dann hat sie der Staat zu tragen, d. h. alle andern Leute, die der An¬<lb/> geklagte gar nichts angeht, und unter ihnen der Klüger selbst. Und gewöhnlich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0243]
Der „Fall Airchhof"
Gericht als unerheblich verworfen, dem General jedoch konnte für diese unter
dem Vorwande der Verteidigung zugefügte neue Beleidigung leine Genugthuung
geschafft werden. Es blieb ihm nichts übrig, als von dem pp. Harich die
Erklärung zu verlangen, daß er gelogen habe, und um diese Erklärung zu
erhalten, begab er sich in dessen Wohnung. Als der pp. Harich sich weigerte,
diese Erklärung schriftlich abzugeben, hat der Geueral auf ihn geschossen; ge¬
schadet hat der Schuß dem pp. Harich nicht.
Was der General gethan hat, kann nach den bestehenden Gesetzen nicht
gebilligt werden, aber eine Reihe von Entschuldigungsgründen steht ihm doch
zur Seite. Mau vergegenwärtige sich einmal die Lage eines ehrenhaften
Mannes, der in seiner und seiner Familie Ehre von einem unbekannten, be¬
liebigen Preßklepper hinterlistig angegriffen wird. Der Bursche weiß ganz
gut, daß seine Erzählung durchaus unwahr ist. Das ficht ihn aber nicht an;
es kommt ihm darauf an, einen seiner Partei mißliebigen Manu zu kränken,
ihm die Ehre abzuschneiden, ihm zu schaden oder auch nur, etwas „Pikantes"
zu bringen. Die Mittel, dies zu bewirken, sind ihm ganz gleichgiltig. Also
munter eine Verleumdung in sein Blatt! Der Angegriffne wehrt sich in den
Formen des Gesetzes, indem er Klage gegen das Blatt wegen Verleumdung
erhebt. Nun sehe man die Formen an. in denen sich ein solches Verfahren
abwickelt. Dem Angeklagten und seinem Verteidiger — einen solchen findet
er ja immer — stehen die vorzüglichsten Mittel zur Verschleppung der Sache
zu Gebote. ES werden Vertagungsgesuche eingereicht, Erkrankungen vorge¬
spiegelt, ganz wertlose Beweisanträge gestellt: jedes einzelne solche Vordringen
genügt, die Sache wieder aus einige Zeit hinauszuschieben. Ist es endlich
dem Vorsitzenden gelungen, einen Termin herbeizuführen, so bietet die Ver¬
handlung der Sache selbst dem Angeklagten wieder die bequemste Gelegenheit,
in Anwesenheit einer zahlreichen Zuhörerschaft ungestraft die unverschämtesten
Beleidigungen des Klägers zu verüben, denn „seine Verteidigung darf ihm
nicht verkümmert werden," und der § 193 des Strafgesetzbuchs ist — besonders
gegenüber einem schwachen Vorsitzenden und einem ängstlichen Gericht — ein
vollendetes Deckungsmittel, hinter dem man die nichtswürdigsten Verdächti¬
gungen straflos begehen kann.
Hat der Klüger dies dann über sich ergehen lassen und es mit Mühe
und Not schließlich dahin gebracht, daß der Angeklagte nicht „wegen Wnhruug
berechtigter Interessen" freigesprochen, sondern endgiltig und rechtskräftig in
letzter Instanz verurteilt worden ist — was ist so häufig das Ergebnis seiner
Klage und aller mit ihr zusammenhängenden Unlust, Mühe und Qual? Eine
Geldstrafe von einer lächerlichen Niedrigkeit. Der Angeklagte hat auch die
Kosten zu tragen. Jawohl, wenn er etwas hat. Wenn er aber nichts hat?
Ja, dann hat sie der Staat zu tragen, d. h. alle andern Leute, die der An¬
geklagte gar nichts angeht, und unter ihnen der Klüger selbst. Und gewöhnlich
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