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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Reiseeindriicke aus England

Wight belehrte mich jedoch, daß der Fußwanderer im eigentlichen England
wenigstens nicht auf seine Kosten kommt. Man geht auf gut gehaltenen
Straßen fast unausgesetzt zwischen mannshohen Hecken, die rechts und links
jeden Ausblick verwehren und auch vor- oder rückwärts nur die nächsten
Windungen des Weges zu übersehen gestatten -- eine Erklärung dafür, daß
in dem Lande aller nur erdenklichen Arten von Sport gerade der Wanderspvrt
ivenig gepflegt wird. Lohnend ist das Wandern nnr an der Meeresküste.
Sie bietet rings um die britischen Inseln von der sanft ansteigenden Düne bis
zu der schroff abstürzenden Klippenreihe jede Abwechslung und eiU unbeschreib¬
liches Farbenspiel zwischen dem gelben oder braunen Meeressande, der grünen
oder tiefblauen See, dem weißen Gischt der leise wogenden oder mächtig
donnernden Brandung, den schwarzen oder kreideweißen, moosgrünen, mit
brauner Heide bedeckten, kahlen oder bewaldeten Klippen, Hügeln und einzeln
ragenden Felsen. Wesentlich verschieden und mehr an Mitteldeutschland er¬
innernd ist der Charakter der schottischen Binnenlaudschaft. Zwar der Boden
weit weniger fruchtbar, die Wiesen nicht so behäbig grün, mehr Felder, hie
und da ein braunes Moor. Aber man sieht doch wieder Dörfer und Wälder,
schöngeformte Hügel und Berge. Einzig ist das Hochland. Schwnrzgrün das
Wasser der Seen, liebliche kleine Eilande auf ihrer Oberfläche, hüben und drüben
ragen mächtige kahle Rücken und Gipfel, von silbernen Bändern, den überall
herabstürzenden Bächen durchzogen, alles still, einsam, menschenleer, auch das
Tierreich nur in umherkletterndeu Heideschnucken und einzelnen Sumpfvögeln
vertreten. Ich gehöre zu den altmodischen Leuten, die noch sür Walter Scott
zu schwärmen imstande sind, und erblickte im Geiste aus jedem Felsenvorsprung
einen Hochländer mit flatterndem Tartar und hochragender Feder auf der
Mütze, die einzige in diese erhabne Landschaft passende Staffage. Eine sehr
angenehme Einrichtung sind die zwischen den Seen laufenden offnen Kutschen
mit hohen, freie Rundblicke gestaltenden Quersitzen auf dem Deck: vier statt¬
liche Pferde, ein ebenso stattlicher Kutscher in scharlachrotem Rock und weißem
Filzhut mit den scharf geschnittenen schottischen Zügen, der mir gefällig die
Namen der einzelnen Lochs und Bens nennt und die alten Wohnsitze des Claus
Mac Gregor -- denn wir sind in Rob Roys Land -- zeigt. Wahrscheinlich
sind wir übrigens, ich und der Kutscher, die einzigen Personen auf dem
Wagen, die Namen wie Stronachlacher, Loch Achray u. s. w. richtig, nämlich
so wie sie geschrieben werden, auszusprechen verstehen. Die übrige Reisegesell¬
schaft besteht fast nur aus Londoner Ladies und Gentlemen, denen die keltischen
Kehllaute unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten. Die Hochlandsberge sind
früher bewaldet gewesen und, wenn ich nicht irre, noch von den Häuptlingen
d^r alten Claus abgeholzt worden, als ihnen die Erhaltung ihrer sich rasch
vermehrenden Hintersassen immer beschwerlicher fiel. Heute sind sie völlig kahl,
wie einer wasserreichen Movrschicht bedeckt, diese wieder überkleidet mit Heide


Reiseeindriicke aus England

Wight belehrte mich jedoch, daß der Fußwanderer im eigentlichen England
wenigstens nicht auf seine Kosten kommt. Man geht auf gut gehaltenen
Straßen fast unausgesetzt zwischen mannshohen Hecken, die rechts und links
jeden Ausblick verwehren und auch vor- oder rückwärts nur die nächsten
Windungen des Weges zu übersehen gestatten — eine Erklärung dafür, daß
in dem Lande aller nur erdenklichen Arten von Sport gerade der Wanderspvrt
ivenig gepflegt wird. Lohnend ist das Wandern nnr an der Meeresküste.
Sie bietet rings um die britischen Inseln von der sanft ansteigenden Düne bis
zu der schroff abstürzenden Klippenreihe jede Abwechslung und eiU unbeschreib¬
liches Farbenspiel zwischen dem gelben oder braunen Meeressande, der grünen
oder tiefblauen See, dem weißen Gischt der leise wogenden oder mächtig
donnernden Brandung, den schwarzen oder kreideweißen, moosgrünen, mit
brauner Heide bedeckten, kahlen oder bewaldeten Klippen, Hügeln und einzeln
ragenden Felsen. Wesentlich verschieden und mehr an Mitteldeutschland er¬
innernd ist der Charakter der schottischen Binnenlaudschaft. Zwar der Boden
weit weniger fruchtbar, die Wiesen nicht so behäbig grün, mehr Felder, hie
und da ein braunes Moor. Aber man sieht doch wieder Dörfer und Wälder,
schöngeformte Hügel und Berge. Einzig ist das Hochland. Schwnrzgrün das
Wasser der Seen, liebliche kleine Eilande auf ihrer Oberfläche, hüben und drüben
ragen mächtige kahle Rücken und Gipfel, von silbernen Bändern, den überall
herabstürzenden Bächen durchzogen, alles still, einsam, menschenleer, auch das
Tierreich nur in umherkletterndeu Heideschnucken und einzelnen Sumpfvögeln
vertreten. Ich gehöre zu den altmodischen Leuten, die noch sür Walter Scott
zu schwärmen imstande sind, und erblickte im Geiste aus jedem Felsenvorsprung
einen Hochländer mit flatterndem Tartar und hochragender Feder auf der
Mütze, die einzige in diese erhabne Landschaft passende Staffage. Eine sehr
angenehme Einrichtung sind die zwischen den Seen laufenden offnen Kutschen
mit hohen, freie Rundblicke gestaltenden Quersitzen auf dem Deck: vier statt¬
liche Pferde, ein ebenso stattlicher Kutscher in scharlachrotem Rock und weißem
Filzhut mit den scharf geschnittenen schottischen Zügen, der mir gefällig die
Namen der einzelnen Lochs und Bens nennt und die alten Wohnsitze des Claus
Mac Gregor — denn wir sind in Rob Roys Land — zeigt. Wahrscheinlich
sind wir übrigens, ich und der Kutscher, die einzigen Personen auf dem
Wagen, die Namen wie Stronachlacher, Loch Achray u. s. w. richtig, nämlich
so wie sie geschrieben werden, auszusprechen verstehen. Die übrige Reisegesell¬
schaft besteht fast nur aus Londoner Ladies und Gentlemen, denen die keltischen
Kehllaute unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten. Die Hochlandsberge sind
früher bewaldet gewesen und, wenn ich nicht irre, noch von den Häuptlingen
d^r alten Claus abgeholzt worden, als ihnen die Erhaltung ihrer sich rasch
vermehrenden Hintersassen immer beschwerlicher fiel. Heute sind sie völlig kahl,
wie einer wasserreichen Movrschicht bedeckt, diese wieder überkleidet mit Heide


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[0227] Reiseeindriicke aus England Wight belehrte mich jedoch, daß der Fußwanderer im eigentlichen England wenigstens nicht auf seine Kosten kommt. Man geht auf gut gehaltenen Straßen fast unausgesetzt zwischen mannshohen Hecken, die rechts und links jeden Ausblick verwehren und auch vor- oder rückwärts nur die nächsten Windungen des Weges zu übersehen gestatten — eine Erklärung dafür, daß in dem Lande aller nur erdenklichen Arten von Sport gerade der Wanderspvrt ivenig gepflegt wird. Lohnend ist das Wandern nnr an der Meeresküste. Sie bietet rings um die britischen Inseln von der sanft ansteigenden Düne bis zu der schroff abstürzenden Klippenreihe jede Abwechslung und eiU unbeschreib¬ liches Farbenspiel zwischen dem gelben oder braunen Meeressande, der grünen oder tiefblauen See, dem weißen Gischt der leise wogenden oder mächtig donnernden Brandung, den schwarzen oder kreideweißen, moosgrünen, mit brauner Heide bedeckten, kahlen oder bewaldeten Klippen, Hügeln und einzeln ragenden Felsen. Wesentlich verschieden und mehr an Mitteldeutschland er¬ innernd ist der Charakter der schottischen Binnenlaudschaft. Zwar der Boden weit weniger fruchtbar, die Wiesen nicht so behäbig grün, mehr Felder, hie und da ein braunes Moor. Aber man sieht doch wieder Dörfer und Wälder, schöngeformte Hügel und Berge. Einzig ist das Hochland. Schwnrzgrün das Wasser der Seen, liebliche kleine Eilande auf ihrer Oberfläche, hüben und drüben ragen mächtige kahle Rücken und Gipfel, von silbernen Bändern, den überall herabstürzenden Bächen durchzogen, alles still, einsam, menschenleer, auch das Tierreich nur in umherkletterndeu Heideschnucken und einzelnen Sumpfvögeln vertreten. Ich gehöre zu den altmodischen Leuten, die noch sür Walter Scott zu schwärmen imstande sind, und erblickte im Geiste aus jedem Felsenvorsprung einen Hochländer mit flatterndem Tartar und hochragender Feder auf der Mütze, die einzige in diese erhabne Landschaft passende Staffage. Eine sehr angenehme Einrichtung sind die zwischen den Seen laufenden offnen Kutschen mit hohen, freie Rundblicke gestaltenden Quersitzen auf dem Deck: vier statt¬ liche Pferde, ein ebenso stattlicher Kutscher in scharlachrotem Rock und weißem Filzhut mit den scharf geschnittenen schottischen Zügen, der mir gefällig die Namen der einzelnen Lochs und Bens nennt und die alten Wohnsitze des Claus Mac Gregor — denn wir sind in Rob Roys Land — zeigt. Wahrscheinlich sind wir übrigens, ich und der Kutscher, die einzigen Personen auf dem Wagen, die Namen wie Stronachlacher, Loch Achray u. s. w. richtig, nämlich so wie sie geschrieben werden, auszusprechen verstehen. Die übrige Reisegesell¬ schaft besteht fast nur aus Londoner Ladies und Gentlemen, denen die keltischen Kehllaute unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten. Die Hochlandsberge sind früher bewaldet gewesen und, wenn ich nicht irre, noch von den Häuptlingen d^r alten Claus abgeholzt worden, als ihnen die Erhaltung ihrer sich rasch vermehrenden Hintersassen immer beschwerlicher fiel. Heute sind sie völlig kahl, wie einer wasserreichen Movrschicht bedeckt, diese wieder überkleidet mit Heide

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/227>, abgerufen am 22.07.2024.