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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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einen Reichtum eigentümlicher landschaftlicher Schönheiten, dem anspruchs¬
vollen Reisenden die ganze Fülle dessen, was man eben nur mit Komfort aus¬
drücken kann, sein historischer Boden erweckt auf Schritt und Tritt große
pietätvoll gepflegte Erinnerungen, seine ungeheure industrielle Entwicklung
endlich wird noch auf lange hinaus die klassische Fundgrube für soziale For¬
schungen bleiben. Auch ist das Reisen in England nicht so kostspielig, wie man
sich gewöhnlich vorstellt. Büdeker schätzt die täglichen Ausgaben eines Reisenden
mit einfachen Ansprüchen auf 20 bis 25, die eines Fußgängers auf 10 bis
15 Schilling. Ich bin mit täglich 15 Schilling für sämtliche Reisebedürfnisse,
nur die Kosten für die Schiff- und Eisenbahnfahrt ausgenommen, recht gut
ausgekommen. Und da hierin verschiedne Lehrgelder stecke", die jeder Reisende
beim ersten Betreten eines fremden Landes zu zahlen hat, hoffe ich das nüchstemal
noch weit billiger reisen zu können. Bekanntlich ist London, wenn man Privat-
wohnung nimmt, sogar ein äußerst wohlfeiler Ort. Auch die Eisenbahnfahrpreise
sind, zumal da "kein Mensch" anders als dritter Klasse fährt, wenigstens
überall da sehr mäßig, wo Konlurreuzliuien bestehen. Ich bin aus dem Herzen
Deutschlands hinaus (auf dem Schiff durchweg erster Klasse), deu Rhein hinab
nach London, entlang der englischen Südküste, durch Devonshire, die Milliarde
östlich hinauf bis Glasgow, über die Hochlcindssecn nach Edinburg, westlich
zurück nach London und wieder nach Hause für rund 250 Mark gefahren.

Die englische Landschaft ist bekannt. Leicht gewellt, wenig Felder, desto
mehr saftige Wiesen, denen auch die heiße Sonne des Jahres 18Z3 nichts
hatte anhaben können, alle mit Herden weidender Rinder, Pferde und Schafe
bedeckt, jedes Stück Land mit grünen Hecken eingezäunt, einzelne Bäume und
Baumgruppen, die sich am Horizont zu Wäldern zu verdichten scheinen, aber,
wenn man näher kommt, sich doch wieder in Gruppen auflösen, keine Wälder,
nur hie und da mächtige Parks, aus denen die Zinnen eines uralten oder
nagelneuen Schlosses oder Herrenhauses hervorragen. Keine Dörfer, keine
Menschen auf den Wiesen und Feldern (die Ernte war allerdings schon vor¬
über), keine Hirten bei den Herden, nur einzelne hinter Bäumen halbversteckte
Farmer, umgeben von zwei oder drei Hütten. Ich bewunderte den aus¬
gezeichneten Geschmack der Seifenfabrikanteu, mit dem sie entlang allen Bahn¬
linien gerade an den schönsten Stellen des landschaftlichen Idylls mächtige
Bretterverschläge mit dem Lapidarbild eines reinigungsbedürftigen Babhs, dar¬
unter fast in mannshohen Lettern ihr ?oars Max, LnuliAkt 8oap u. s. w. an¬
gebracht hatten. Anfangs ärgerte ich mich darüber. Bald hatte mich aber
der tägliche Anblick ewiger Tausend solcher Niesenplakate so abgehärtet, daß
ich es ungern vermißte, bei einem besonders schönen Ausblick -- Fernblicke
giebt es nicht -- an diese Kulturträger und Wohlthäter der Menschheit er¬
innert zu werden. Als leidenschaftlicher Fußgänger hätte ich gern mehrere
Tage der Wanderung gewidmet. Ein Fnßmarsch im Innern der Insel


einen Reichtum eigentümlicher landschaftlicher Schönheiten, dem anspruchs¬
vollen Reisenden die ganze Fülle dessen, was man eben nur mit Komfort aus¬
drücken kann, sein historischer Boden erweckt auf Schritt und Tritt große
pietätvoll gepflegte Erinnerungen, seine ungeheure industrielle Entwicklung
endlich wird noch auf lange hinaus die klassische Fundgrube für soziale For¬
schungen bleiben. Auch ist das Reisen in England nicht so kostspielig, wie man
sich gewöhnlich vorstellt. Büdeker schätzt die täglichen Ausgaben eines Reisenden
mit einfachen Ansprüchen auf 20 bis 25, die eines Fußgängers auf 10 bis
15 Schilling. Ich bin mit täglich 15 Schilling für sämtliche Reisebedürfnisse,
nur die Kosten für die Schiff- und Eisenbahnfahrt ausgenommen, recht gut
ausgekommen. Und da hierin verschiedne Lehrgelder stecke», die jeder Reisende
beim ersten Betreten eines fremden Landes zu zahlen hat, hoffe ich das nüchstemal
noch weit billiger reisen zu können. Bekanntlich ist London, wenn man Privat-
wohnung nimmt, sogar ein äußerst wohlfeiler Ort. Auch die Eisenbahnfahrpreise
sind, zumal da „kein Mensch" anders als dritter Klasse fährt, wenigstens
überall da sehr mäßig, wo Konlurreuzliuien bestehen. Ich bin aus dem Herzen
Deutschlands hinaus (auf dem Schiff durchweg erster Klasse), deu Rhein hinab
nach London, entlang der englischen Südküste, durch Devonshire, die Milliarde
östlich hinauf bis Glasgow, über die Hochlcindssecn nach Edinburg, westlich
zurück nach London und wieder nach Hause für rund 250 Mark gefahren.

Die englische Landschaft ist bekannt. Leicht gewellt, wenig Felder, desto
mehr saftige Wiesen, denen auch die heiße Sonne des Jahres 18Z3 nichts
hatte anhaben können, alle mit Herden weidender Rinder, Pferde und Schafe
bedeckt, jedes Stück Land mit grünen Hecken eingezäunt, einzelne Bäume und
Baumgruppen, die sich am Horizont zu Wäldern zu verdichten scheinen, aber,
wenn man näher kommt, sich doch wieder in Gruppen auflösen, keine Wälder,
nur hie und da mächtige Parks, aus denen die Zinnen eines uralten oder
nagelneuen Schlosses oder Herrenhauses hervorragen. Keine Dörfer, keine
Menschen auf den Wiesen und Feldern (die Ernte war allerdings schon vor¬
über), keine Hirten bei den Herden, nur einzelne hinter Bäumen halbversteckte
Farmer, umgeben von zwei oder drei Hütten. Ich bewunderte den aus¬
gezeichneten Geschmack der Seifenfabrikanteu, mit dem sie entlang allen Bahn¬
linien gerade an den schönsten Stellen des landschaftlichen Idylls mächtige
Bretterverschläge mit dem Lapidarbild eines reinigungsbedürftigen Babhs, dar¬
unter fast in mannshohen Lettern ihr ?oars Max, LnuliAkt 8oap u. s. w. an¬
gebracht hatten. Anfangs ärgerte ich mich darüber. Bald hatte mich aber
der tägliche Anblick ewiger Tausend solcher Niesenplakate so abgehärtet, daß
ich es ungern vermißte, bei einem besonders schönen Ausblick — Fernblicke
giebt es nicht — an diese Kulturträger und Wohlthäter der Menschheit er¬
innert zu werden. Als leidenschaftlicher Fußgänger hätte ich gern mehrere
Tage der Wanderung gewidmet. Ein Fnßmarsch im Innern der Insel


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[0226] einen Reichtum eigentümlicher landschaftlicher Schönheiten, dem anspruchs¬ vollen Reisenden die ganze Fülle dessen, was man eben nur mit Komfort aus¬ drücken kann, sein historischer Boden erweckt auf Schritt und Tritt große pietätvoll gepflegte Erinnerungen, seine ungeheure industrielle Entwicklung endlich wird noch auf lange hinaus die klassische Fundgrube für soziale For¬ schungen bleiben. Auch ist das Reisen in England nicht so kostspielig, wie man sich gewöhnlich vorstellt. Büdeker schätzt die täglichen Ausgaben eines Reisenden mit einfachen Ansprüchen auf 20 bis 25, die eines Fußgängers auf 10 bis 15 Schilling. Ich bin mit täglich 15 Schilling für sämtliche Reisebedürfnisse, nur die Kosten für die Schiff- und Eisenbahnfahrt ausgenommen, recht gut ausgekommen. Und da hierin verschiedne Lehrgelder stecke», die jeder Reisende beim ersten Betreten eines fremden Landes zu zahlen hat, hoffe ich das nüchstemal noch weit billiger reisen zu können. Bekanntlich ist London, wenn man Privat- wohnung nimmt, sogar ein äußerst wohlfeiler Ort. Auch die Eisenbahnfahrpreise sind, zumal da „kein Mensch" anders als dritter Klasse fährt, wenigstens überall da sehr mäßig, wo Konlurreuzliuien bestehen. Ich bin aus dem Herzen Deutschlands hinaus (auf dem Schiff durchweg erster Klasse), deu Rhein hinab nach London, entlang der englischen Südküste, durch Devonshire, die Milliarde östlich hinauf bis Glasgow, über die Hochlcindssecn nach Edinburg, westlich zurück nach London und wieder nach Hause für rund 250 Mark gefahren. Die englische Landschaft ist bekannt. Leicht gewellt, wenig Felder, desto mehr saftige Wiesen, denen auch die heiße Sonne des Jahres 18Z3 nichts hatte anhaben können, alle mit Herden weidender Rinder, Pferde und Schafe bedeckt, jedes Stück Land mit grünen Hecken eingezäunt, einzelne Bäume und Baumgruppen, die sich am Horizont zu Wäldern zu verdichten scheinen, aber, wenn man näher kommt, sich doch wieder in Gruppen auflösen, keine Wälder, nur hie und da mächtige Parks, aus denen die Zinnen eines uralten oder nagelneuen Schlosses oder Herrenhauses hervorragen. Keine Dörfer, keine Menschen auf den Wiesen und Feldern (die Ernte war allerdings schon vor¬ über), keine Hirten bei den Herden, nur einzelne hinter Bäumen halbversteckte Farmer, umgeben von zwei oder drei Hütten. Ich bewunderte den aus¬ gezeichneten Geschmack der Seifenfabrikanteu, mit dem sie entlang allen Bahn¬ linien gerade an den schönsten Stellen des landschaftlichen Idylls mächtige Bretterverschläge mit dem Lapidarbild eines reinigungsbedürftigen Babhs, dar¬ unter fast in mannshohen Lettern ihr ?oars Max, LnuliAkt 8oap u. s. w. an¬ gebracht hatten. Anfangs ärgerte ich mich darüber. Bald hatte mich aber der tägliche Anblick ewiger Tausend solcher Niesenplakate so abgehärtet, daß ich es ungern vermißte, bei einem besonders schönen Ausblick — Fernblicke giebt es nicht — an diese Kulturträger und Wohlthäter der Menschheit er¬ innert zu werden. Als leidenschaftlicher Fußgänger hätte ich gern mehrere Tage der Wanderung gewidmet. Ein Fnßmarsch im Innern der Insel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/226>, abgerufen am 22.07.2024.