Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Weder Kommunismus uoch Kapitalismus

so lange Wert, als Mensche" vorhanden sind, die durch ihre Arbeit die Zinsen
aufzubringen, d. h. Güter zu schaffen, die in den Zinsgroschen umgesetzt
werden können, willens und imstande sind. Ist dieses nicht der Fall, kann
z. V. ein Bergwerk nicht ausgebeutet werdeu, weil es an Arbeitern fehlt, oder
vermag ein Volk die Zinsen seiner Staatsschuld nicht aufzubringen, so sind
damit die Aktien oder Staatsschuldscheine entwertet. Die heutige große Krisis
der Kulturstaaten besteht n. a. darin, daß weit mehr solche Ansprüche auf
Einkommen vorhanden sind, als durch Arbeit verwirklicht werden können. Ent¬
wertung bedroht aus demselben Grunde nicht allein die papiernen Anweisungen
auf Sachkapitalien, sondern auch diese Sachkapitalien selbst. Ein Rittergut,
das aus Mangel an Arbeitern nicht bebaut werden kann, eine Fabrik, die aus
Mangel an Absatz (der Absatz stockt, weil sich die Käufer, auf die man rechnete,
das zum Kaufen nötige Geld nicht verdienen können) stillsteht, sind vorläufig wert¬
los. Alles Einkommen, auch das der Papierinhaber, fließt demnach aus Arbeit,
ja auch das Kapital wird durch Arbeit geschaffen. Es ist nicht etwa bloß in der
Vergangenheit durch Arbeit geschaffen worden, sondern wird täglich durch Ar¬
beit neu geschaffen; denn alle Maschinen, alle Transportmittel nutzen sich be¬
ständig ab und müssen durch neue ersetzt werden, und der Acker, der nicht in
Pflege bleibt, verliert an Ertragfähigkeit. Das Sparen hat Einfluß nicht auf
die Kapitalbildung, sondern auf die Verteilung des Kapitalbesitzes. Wer einen
Teil seines Einkommens kapitalisirt, anstatt ihn zu verzehren, sichert damit sich
selbst oder seinen Nachkommen einen Anspruch ans das Einkommen andrer,
aber zur Vermehrung der Einkommengüter tragt er nichts bei. Das thut nur
ein Sparer, der den Überschuß seines Einkommens ans Bodenverbesserungen
oder auf Erweiterung seiner Fabrik, seiner Werkstatt verwendet, nicht der damit
einen Pfandbrief oder ein Sparkassenbuch kauft. Das Sparen im gewöhn¬
lichen Sinne des Worts, das Sparen in dem Sinne, wie man es dem kleinen
Mann aurae, ist zwar für diesen unter den heutigen Umständen Pflicht, ist
eine Notwendigkeit, so lange nicht jedermann ein Grundstück erwerben kann,
gewährt auch dem Sparer ein Übergewicht über den Nichtsparer, aber zur
allgemeinen Volkssitte geworden hemmt es die Produktion, anstatt sie zu
fördern, in doppelter Weise, erstens, indem es, wie schon hervorgehoben wurde,
die Schuldenlast und Zinsverpflichtung vermehrt, von der die produktiven
Stände niedergedrückt werden, zweitens, indem es den Konsum vermindert.
Denn -- wie Rogers richtig sagt -- nicht der Kapitalist ist es, der die Pro¬
duktion im Gange erhält -- der spielt nur die Rolle eines Vermittlers --,
sondern der Konsument; ohne die sichere Aussicht auf Konsumenten produzirt
kein vernünftiger Mensch Waren für den Markt.

Das also wäre eine Übersicht der Grundbegriffe. Den letzten Satz aber
wollen wir doch auch diesmal noch ganz besonders hervorheben, obwohl das
schon oft genug geschehen ist. Wenn man dem kleinen Mann Sparsamkeit


Weder Kommunismus uoch Kapitalismus

so lange Wert, als Mensche» vorhanden sind, die durch ihre Arbeit die Zinsen
aufzubringen, d. h. Güter zu schaffen, die in den Zinsgroschen umgesetzt
werden können, willens und imstande sind. Ist dieses nicht der Fall, kann
z. V. ein Bergwerk nicht ausgebeutet werdeu, weil es an Arbeitern fehlt, oder
vermag ein Volk die Zinsen seiner Staatsschuld nicht aufzubringen, so sind
damit die Aktien oder Staatsschuldscheine entwertet. Die heutige große Krisis
der Kulturstaaten besteht n. a. darin, daß weit mehr solche Ansprüche auf
Einkommen vorhanden sind, als durch Arbeit verwirklicht werden können. Ent¬
wertung bedroht aus demselben Grunde nicht allein die papiernen Anweisungen
auf Sachkapitalien, sondern auch diese Sachkapitalien selbst. Ein Rittergut,
das aus Mangel an Arbeitern nicht bebaut werden kann, eine Fabrik, die aus
Mangel an Absatz (der Absatz stockt, weil sich die Käufer, auf die man rechnete,
das zum Kaufen nötige Geld nicht verdienen können) stillsteht, sind vorläufig wert¬
los. Alles Einkommen, auch das der Papierinhaber, fließt demnach aus Arbeit,
ja auch das Kapital wird durch Arbeit geschaffen. Es ist nicht etwa bloß in der
Vergangenheit durch Arbeit geschaffen worden, sondern wird täglich durch Ar¬
beit neu geschaffen; denn alle Maschinen, alle Transportmittel nutzen sich be¬
ständig ab und müssen durch neue ersetzt werden, und der Acker, der nicht in
Pflege bleibt, verliert an Ertragfähigkeit. Das Sparen hat Einfluß nicht auf
die Kapitalbildung, sondern auf die Verteilung des Kapitalbesitzes. Wer einen
Teil seines Einkommens kapitalisirt, anstatt ihn zu verzehren, sichert damit sich
selbst oder seinen Nachkommen einen Anspruch ans das Einkommen andrer,
aber zur Vermehrung der Einkommengüter tragt er nichts bei. Das thut nur
ein Sparer, der den Überschuß seines Einkommens ans Bodenverbesserungen
oder auf Erweiterung seiner Fabrik, seiner Werkstatt verwendet, nicht der damit
einen Pfandbrief oder ein Sparkassenbuch kauft. Das Sparen im gewöhn¬
lichen Sinne des Worts, das Sparen in dem Sinne, wie man es dem kleinen
Mann aurae, ist zwar für diesen unter den heutigen Umständen Pflicht, ist
eine Notwendigkeit, so lange nicht jedermann ein Grundstück erwerben kann,
gewährt auch dem Sparer ein Übergewicht über den Nichtsparer, aber zur
allgemeinen Volkssitte geworden hemmt es die Produktion, anstatt sie zu
fördern, in doppelter Weise, erstens, indem es, wie schon hervorgehoben wurde,
die Schuldenlast und Zinsverpflichtung vermehrt, von der die produktiven
Stände niedergedrückt werden, zweitens, indem es den Konsum vermindert.
Denn — wie Rogers richtig sagt — nicht der Kapitalist ist es, der die Pro¬
duktion im Gange erhält — der spielt nur die Rolle eines Vermittlers —,
sondern der Konsument; ohne die sichere Aussicht auf Konsumenten produzirt
kein vernünftiger Mensch Waren für den Markt.

Das also wäre eine Übersicht der Grundbegriffe. Den letzten Satz aber
wollen wir doch auch diesmal noch ganz besonders hervorheben, obwohl das
schon oft genug geschehen ist. Wenn man dem kleinen Mann Sparsamkeit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215945"/>
          <fw type="header" place="top"> Weder Kommunismus uoch Kapitalismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_587" prev="#ID_586"> so lange Wert, als Mensche» vorhanden sind, die durch ihre Arbeit die Zinsen<lb/>
aufzubringen, d. h. Güter zu schaffen, die in den Zinsgroschen umgesetzt<lb/>
werden können, willens und imstande sind. Ist dieses nicht der Fall, kann<lb/>
z. V. ein Bergwerk nicht ausgebeutet werdeu, weil es an Arbeitern fehlt, oder<lb/>
vermag ein Volk die Zinsen seiner Staatsschuld nicht aufzubringen, so sind<lb/>
damit die Aktien oder Staatsschuldscheine entwertet. Die heutige große Krisis<lb/>
der Kulturstaaten besteht n. a. darin, daß weit mehr solche Ansprüche auf<lb/>
Einkommen vorhanden sind, als durch Arbeit verwirklicht werden können. Ent¬<lb/>
wertung bedroht aus demselben Grunde nicht allein die papiernen Anweisungen<lb/>
auf Sachkapitalien, sondern auch diese Sachkapitalien selbst. Ein Rittergut,<lb/>
das aus Mangel an Arbeitern nicht bebaut werden kann, eine Fabrik, die aus<lb/>
Mangel an Absatz (der Absatz stockt, weil sich die Käufer, auf die man rechnete,<lb/>
das zum Kaufen nötige Geld nicht verdienen können) stillsteht, sind vorläufig wert¬<lb/>
los. Alles Einkommen, auch das der Papierinhaber, fließt demnach aus Arbeit,<lb/>
ja auch das Kapital wird durch Arbeit geschaffen. Es ist nicht etwa bloß in der<lb/>
Vergangenheit durch Arbeit geschaffen worden, sondern wird täglich durch Ar¬<lb/>
beit neu geschaffen; denn alle Maschinen, alle Transportmittel nutzen sich be¬<lb/>
ständig ab und müssen durch neue ersetzt werden, und der Acker, der nicht in<lb/>
Pflege bleibt, verliert an Ertragfähigkeit. Das Sparen hat Einfluß nicht auf<lb/>
die Kapitalbildung, sondern auf die Verteilung des Kapitalbesitzes. Wer einen<lb/>
Teil seines Einkommens kapitalisirt, anstatt ihn zu verzehren, sichert damit sich<lb/>
selbst oder seinen Nachkommen einen Anspruch ans das Einkommen andrer,<lb/>
aber zur Vermehrung der Einkommengüter tragt er nichts bei. Das thut nur<lb/>
ein Sparer, der den Überschuß seines Einkommens ans Bodenverbesserungen<lb/>
oder auf Erweiterung seiner Fabrik, seiner Werkstatt verwendet, nicht der damit<lb/>
einen Pfandbrief oder ein Sparkassenbuch kauft. Das Sparen im gewöhn¬<lb/>
lichen Sinne des Worts, das Sparen in dem Sinne, wie man es dem kleinen<lb/>
Mann aurae, ist zwar für diesen unter den heutigen Umständen Pflicht, ist<lb/>
eine Notwendigkeit, so lange nicht jedermann ein Grundstück erwerben kann,<lb/>
gewährt auch dem Sparer ein Übergewicht über den Nichtsparer, aber zur<lb/>
allgemeinen Volkssitte geworden hemmt es die Produktion, anstatt sie zu<lb/>
fördern, in doppelter Weise, erstens, indem es, wie schon hervorgehoben wurde,<lb/>
die Schuldenlast und Zinsverpflichtung vermehrt, von der die produktiven<lb/>
Stände niedergedrückt werden, zweitens, indem es den Konsum vermindert.<lb/>
Denn &#x2014; wie Rogers richtig sagt &#x2014; nicht der Kapitalist ist es, der die Pro¬<lb/>
duktion im Gange erhält &#x2014; der spielt nur die Rolle eines Vermittlers &#x2014;,<lb/>
sondern der Konsument; ohne die sichere Aussicht auf Konsumenten produzirt<lb/>
kein vernünftiger Mensch Waren für den Markt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588" next="#ID_589"> Das also wäre eine Übersicht der Grundbegriffe. Den letzten Satz aber<lb/>
wollen wir doch auch diesmal noch ganz besonders hervorheben, obwohl das<lb/>
schon oft genug geschehen ist.  Wenn man dem kleinen Mann Sparsamkeit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] Weder Kommunismus uoch Kapitalismus so lange Wert, als Mensche» vorhanden sind, die durch ihre Arbeit die Zinsen aufzubringen, d. h. Güter zu schaffen, die in den Zinsgroschen umgesetzt werden können, willens und imstande sind. Ist dieses nicht der Fall, kann z. V. ein Bergwerk nicht ausgebeutet werdeu, weil es an Arbeitern fehlt, oder vermag ein Volk die Zinsen seiner Staatsschuld nicht aufzubringen, so sind damit die Aktien oder Staatsschuldscheine entwertet. Die heutige große Krisis der Kulturstaaten besteht n. a. darin, daß weit mehr solche Ansprüche auf Einkommen vorhanden sind, als durch Arbeit verwirklicht werden können. Ent¬ wertung bedroht aus demselben Grunde nicht allein die papiernen Anweisungen auf Sachkapitalien, sondern auch diese Sachkapitalien selbst. Ein Rittergut, das aus Mangel an Arbeitern nicht bebaut werden kann, eine Fabrik, die aus Mangel an Absatz (der Absatz stockt, weil sich die Käufer, auf die man rechnete, das zum Kaufen nötige Geld nicht verdienen können) stillsteht, sind vorläufig wert¬ los. Alles Einkommen, auch das der Papierinhaber, fließt demnach aus Arbeit, ja auch das Kapital wird durch Arbeit geschaffen. Es ist nicht etwa bloß in der Vergangenheit durch Arbeit geschaffen worden, sondern wird täglich durch Ar¬ beit neu geschaffen; denn alle Maschinen, alle Transportmittel nutzen sich be¬ ständig ab und müssen durch neue ersetzt werden, und der Acker, der nicht in Pflege bleibt, verliert an Ertragfähigkeit. Das Sparen hat Einfluß nicht auf die Kapitalbildung, sondern auf die Verteilung des Kapitalbesitzes. Wer einen Teil seines Einkommens kapitalisirt, anstatt ihn zu verzehren, sichert damit sich selbst oder seinen Nachkommen einen Anspruch ans das Einkommen andrer, aber zur Vermehrung der Einkommengüter tragt er nichts bei. Das thut nur ein Sparer, der den Überschuß seines Einkommens ans Bodenverbesserungen oder auf Erweiterung seiner Fabrik, seiner Werkstatt verwendet, nicht der damit einen Pfandbrief oder ein Sparkassenbuch kauft. Das Sparen im gewöhn¬ lichen Sinne des Worts, das Sparen in dem Sinne, wie man es dem kleinen Mann aurae, ist zwar für diesen unter den heutigen Umständen Pflicht, ist eine Notwendigkeit, so lange nicht jedermann ein Grundstück erwerben kann, gewährt auch dem Sparer ein Übergewicht über den Nichtsparer, aber zur allgemeinen Volkssitte geworden hemmt es die Produktion, anstatt sie zu fördern, in doppelter Weise, erstens, indem es, wie schon hervorgehoben wurde, die Schuldenlast und Zinsverpflichtung vermehrt, von der die produktiven Stände niedergedrückt werden, zweitens, indem es den Konsum vermindert. Denn — wie Rogers richtig sagt — nicht der Kapitalist ist es, der die Pro¬ duktion im Gange erhält — der spielt nur die Rolle eines Vermittlers —, sondern der Konsument; ohne die sichere Aussicht auf Konsumenten produzirt kein vernünftiger Mensch Waren für den Markt. Das also wäre eine Übersicht der Grundbegriffe. Den letzten Satz aber wollen wir doch auch diesmal noch ganz besonders hervorheben, obwohl das schon oft genug geschehen ist. Wenn man dem kleinen Mann Sparsamkeit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/221>, abgerufen am 22.07.2024.