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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Kapitalismus

lieber auf das Risiko eines selbständigen Unternehmens hin thun als im Dienste
eines Schwindlers? Gehört ihnen das Haus, so können sie dann später mit
dem Mietertrage ihre Gläubiger befriedigen.

Also unmöglich ist diese Form der Produktion durchaus nicht; aber sie
ist umständlich und unbequem, deshalb wird sie nur selten gewählt. Auf dem
Lande wird noch heute hie nud da ohne Geld gebaut, nicht bloß von Gro߬
grundbesitzern, sondern auch von Bauern, die selbst mit Säge, Axt und
Hammer umzugehen verstehen, Holz und Steine zu eigen haben, lind falls sie
fremde Leute dazu brauchen, höchstens ein paar Maurer und Zimmerleute,
keinen Meister dazu nehmen. Aber je weiter die oben beschriebne Scheidung
der Arbeitsmittel reicht, desto schwieriger wird die Sache. Und da das über¬
mäßig schwierige, wo leichter gangbare Wege offen stehen, für die Praxis so
gut wie unmöglich ist und nur von Sonderlingen gewählt wird, so können wir
sagen, daß unter den heutigen Umständen zur Produktion sür gewöhnlich Geld
gehöre. Dagegen ist es nicht in demselben Maße notwendig, daß dieses Geld
von einem einzelnen großen Kapitalisten stamme; die zusammengeschossenen Bei¬
träge vieler zu einer Genossenschaft vereinigten kleinen Leute leisten ganz den¬
selben Dienst. Versteht mau also unter Geldkapital die Reichtümer großer
Kapitalisten, so ist solches zur Produktion nicht notwendig.

Ans die Frage, ob starker Kapitalzufluß die Produktion fördere, lautet
die Antwort: ja und nein! Ströme Geld auf den Markt, so drängen sich
natürlich Leute herbei, die sich dieses Geld verdienen möchten. Ein Milliarden¬
segen, die Entdeckung neuer Goldadern wirken also aufmunternd und anregend.
Allein bei der Anarchie unsrer Produktion und bei den noch zu erwähnenden
Hemmnissen, die gerade deu nützlichsten Produktionszweigen anhängen, endet
das muntre Treiben gewöhnlich sehr bald mit einem Krach. Gerade jeder
starke Geldzufluß begünstigt die Anhäufung von Kolvssalvermögen, die eine
Menge kleiner Vermögen verschlingen. Durch jede solche Goldhochflut werden
demnach eine Menge kleine Besitzer teils in besitzlose Lohnarbeiter verwandelt,
teils geraten sie in Zinsknechtschaft. Und das wirkt in doppelter Weise lähmend
ans die Produktion. Einerseits sind alle, die nicht mehr für sich arbeiten
können, sondern für einen Zinsherrn oder Unternehmer arbeiten müssen, un¬
lustige Arbeiter; andrerseits wird durch jenen Prozeß das Einkommen und
damit die Kauskrcift der Massen vermindert, oder wenn nicht geradezu ver¬
mindert, so doch gehindert, mit der Produktivität der Arbeit, die durch den
Fortschritt der Technik stetig gesteigert wird, gleichen Schritt zu halten. So
wirkt also jeder neue Goldstrom für ein paar Monate belebend auf die Arbeit,
um dann jahrelang gleich einem Bleigewicht auf ihr zu lasten.") Und so



Jene vorübergehend günstige Wirkung der Geldvermehrnug hat den Jnflationismus
erzeugt, d. h. die schädliche Methode, die Produktion durch Vermehrung der Umlaufsmittel
über Bedarf künstlich anzuregen.
Weder Kommunismus noch Kapitalismus

lieber auf das Risiko eines selbständigen Unternehmens hin thun als im Dienste
eines Schwindlers? Gehört ihnen das Haus, so können sie dann später mit
dem Mietertrage ihre Gläubiger befriedigen.

Also unmöglich ist diese Form der Produktion durchaus nicht; aber sie
ist umständlich und unbequem, deshalb wird sie nur selten gewählt. Auf dem
Lande wird noch heute hie nud da ohne Geld gebaut, nicht bloß von Gro߬
grundbesitzern, sondern auch von Bauern, die selbst mit Säge, Axt und
Hammer umzugehen verstehen, Holz und Steine zu eigen haben, lind falls sie
fremde Leute dazu brauchen, höchstens ein paar Maurer und Zimmerleute,
keinen Meister dazu nehmen. Aber je weiter die oben beschriebne Scheidung
der Arbeitsmittel reicht, desto schwieriger wird die Sache. Und da das über¬
mäßig schwierige, wo leichter gangbare Wege offen stehen, für die Praxis so
gut wie unmöglich ist und nur von Sonderlingen gewählt wird, so können wir
sagen, daß unter den heutigen Umständen zur Produktion sür gewöhnlich Geld
gehöre. Dagegen ist es nicht in demselben Maße notwendig, daß dieses Geld
von einem einzelnen großen Kapitalisten stamme; die zusammengeschossenen Bei¬
träge vieler zu einer Genossenschaft vereinigten kleinen Leute leisten ganz den¬
selben Dienst. Versteht mau also unter Geldkapital die Reichtümer großer
Kapitalisten, so ist solches zur Produktion nicht notwendig.

Ans die Frage, ob starker Kapitalzufluß die Produktion fördere, lautet
die Antwort: ja und nein! Ströme Geld auf den Markt, so drängen sich
natürlich Leute herbei, die sich dieses Geld verdienen möchten. Ein Milliarden¬
segen, die Entdeckung neuer Goldadern wirken also aufmunternd und anregend.
Allein bei der Anarchie unsrer Produktion und bei den noch zu erwähnenden
Hemmnissen, die gerade deu nützlichsten Produktionszweigen anhängen, endet
das muntre Treiben gewöhnlich sehr bald mit einem Krach. Gerade jeder
starke Geldzufluß begünstigt die Anhäufung von Kolvssalvermögen, die eine
Menge kleiner Vermögen verschlingen. Durch jede solche Goldhochflut werden
demnach eine Menge kleine Besitzer teils in besitzlose Lohnarbeiter verwandelt,
teils geraten sie in Zinsknechtschaft. Und das wirkt in doppelter Weise lähmend
ans die Produktion. Einerseits sind alle, die nicht mehr für sich arbeiten
können, sondern für einen Zinsherrn oder Unternehmer arbeiten müssen, un¬
lustige Arbeiter; andrerseits wird durch jenen Prozeß das Einkommen und
damit die Kauskrcift der Massen vermindert, oder wenn nicht geradezu ver¬
mindert, so doch gehindert, mit der Produktivität der Arbeit, die durch den
Fortschritt der Technik stetig gesteigert wird, gleichen Schritt zu halten. So
wirkt also jeder neue Goldstrom für ein paar Monate belebend auf die Arbeit,
um dann jahrelang gleich einem Bleigewicht auf ihr zu lasten.") Und so



Jene vorübergehend günstige Wirkung der Geldvermehrnug hat den Jnflationismus
erzeugt, d. h. die schädliche Methode, die Produktion durch Vermehrung der Umlaufsmittel
über Bedarf künstlich anzuregen.
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[0219] Weder Kommunismus noch Kapitalismus lieber auf das Risiko eines selbständigen Unternehmens hin thun als im Dienste eines Schwindlers? Gehört ihnen das Haus, so können sie dann später mit dem Mietertrage ihre Gläubiger befriedigen. Also unmöglich ist diese Form der Produktion durchaus nicht; aber sie ist umständlich und unbequem, deshalb wird sie nur selten gewählt. Auf dem Lande wird noch heute hie nud da ohne Geld gebaut, nicht bloß von Gro߬ grundbesitzern, sondern auch von Bauern, die selbst mit Säge, Axt und Hammer umzugehen verstehen, Holz und Steine zu eigen haben, lind falls sie fremde Leute dazu brauchen, höchstens ein paar Maurer und Zimmerleute, keinen Meister dazu nehmen. Aber je weiter die oben beschriebne Scheidung der Arbeitsmittel reicht, desto schwieriger wird die Sache. Und da das über¬ mäßig schwierige, wo leichter gangbare Wege offen stehen, für die Praxis so gut wie unmöglich ist und nur von Sonderlingen gewählt wird, so können wir sagen, daß unter den heutigen Umständen zur Produktion sür gewöhnlich Geld gehöre. Dagegen ist es nicht in demselben Maße notwendig, daß dieses Geld von einem einzelnen großen Kapitalisten stamme; die zusammengeschossenen Bei¬ träge vieler zu einer Genossenschaft vereinigten kleinen Leute leisten ganz den¬ selben Dienst. Versteht mau also unter Geldkapital die Reichtümer großer Kapitalisten, so ist solches zur Produktion nicht notwendig. Ans die Frage, ob starker Kapitalzufluß die Produktion fördere, lautet die Antwort: ja und nein! Ströme Geld auf den Markt, so drängen sich natürlich Leute herbei, die sich dieses Geld verdienen möchten. Ein Milliarden¬ segen, die Entdeckung neuer Goldadern wirken also aufmunternd und anregend. Allein bei der Anarchie unsrer Produktion und bei den noch zu erwähnenden Hemmnissen, die gerade deu nützlichsten Produktionszweigen anhängen, endet das muntre Treiben gewöhnlich sehr bald mit einem Krach. Gerade jeder starke Geldzufluß begünstigt die Anhäufung von Kolvssalvermögen, die eine Menge kleiner Vermögen verschlingen. Durch jede solche Goldhochflut werden demnach eine Menge kleine Besitzer teils in besitzlose Lohnarbeiter verwandelt, teils geraten sie in Zinsknechtschaft. Und das wirkt in doppelter Weise lähmend ans die Produktion. Einerseits sind alle, die nicht mehr für sich arbeiten können, sondern für einen Zinsherrn oder Unternehmer arbeiten müssen, un¬ lustige Arbeiter; andrerseits wird durch jenen Prozeß das Einkommen und damit die Kauskrcift der Massen vermindert, oder wenn nicht geradezu ver¬ mindert, so doch gehindert, mit der Produktivität der Arbeit, die durch den Fortschritt der Technik stetig gesteigert wird, gleichen Schritt zu halten. So wirkt also jeder neue Goldstrom für ein paar Monate belebend auf die Arbeit, um dann jahrelang gleich einem Bleigewicht auf ihr zu lasten.") Und so Jene vorübergehend günstige Wirkung der Geldvermehrnug hat den Jnflationismus erzeugt, d. h. die schädliche Methode, die Produktion durch Vermehrung der Umlaufsmittel über Bedarf künstlich anzuregen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/219>, abgerufen am 22.07.2024.