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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Deutschland und das Mittelmeer

IlinFUÄ traiuzg. gesprochen wird, den Anlaß bieten sollten, die Zugehörigkeit
Triests zum deutschen Sprachgebiet zur Grundlage politischer Betrachtungen
zu machen, ist eine ganz unpraktische Vorstellung. Die papierne Thatsache,
daß Trieft mit dem Kttstenlande von 1L15 bis 1366 dem deutschen Bunde
einverleibt war, kann ihr keine geschichtliche Berechtigung verleihen. Was wir
von Trieft zu erwarten haben, muß uns durch die Verbindung mit Österreich-
Ungarn zuwachsen.

Ebenso schulmäßig unpolitisch war die einst beliebte Phrase von der
deutschen Donau, die von unterhalb Wien durch nichtdeutsche Gebiete fließt,
deren längste, wasserreichste und für den Verkehr wichtigste Abschnitte nicht
von Deutschen umwohnt werden, die auf dein Boden des deutschen Reichs erst
eine ganz -geringe Bedeutung für den Verkehr hat, deren größte Zuflüsse aus
slawischen, magyarischen und rumänischen Landen komme", und die endlich in
den hintersten von Nüssen, Rumänen und Türken umstrittenen Winkel des Mittel¬
meeres mündet. Zwischen der Thatsache des Ursprungs der Donau auf dein
Ostabhang des Schwarzwaldes und dieser ganzen Reihe von Berührungen des
Stromes mit nichtdeutschen Völkern ist keine vernünftige politische Verknüpfung
herzustellen. Lege ich der Wolke, die über mir weg nach Westen zieht, eine
Bedeutung für die Verbindung Deutschlands mit Frankreich bei? Man kann
das Lot deutscher Donauinteressen zu dem Pfunde der österreichischen fügen
und in dieser Verbindung einen der Gründe sehen, aber keinen der wichtigsten,
warum es gut ist, daß beide Länder sest zusammenstehen. Wir wünschen, daß
sich unser eigner Donauverkchr hebe, daß Österreich und Ungarn ihr Über¬
gewicht in der Donauschiffnhrt behalten, und hoffen auf ein kräftiges Wachstum
der Selbständigkeit Rumäniens und Bulgariens; aber die Summe von dem
allen giebt keine besondern deutschen Interessen an der untern Donau und im
Schwarzen Meer. Die Idee, daß die Donau deutsche Interessen ins Schwarze
Meer hinabtrage, gehört der Zeit einer unfähigen Ausdehnungslust an, die,
wie sie die nächsten Interessen am Rhein und an der Eider nicht zu wahren
vermochte, im Geist beliebige Länder bis Asien hin dem deutschen Bunde
angliederte.

Wenn Deutschland seinen Blick nach Süden richtet, sucht es nicht Land¬
gewinn oder Fußfnsfung, aber es folgt mit gespannter Aufmerksamkeit den Ver¬
wicklungen, die alle ans Mittelmeer grenzenden Länder immer mehr anziehen
und in demselben Maße die der Mitte Europas früher in lästiger und ge¬
fährlicher Einseitigkeit zugewandte Aufmerksamkeit südwärts ablenken. Hier
liegt die Bedeutung des Mittelmeeres für Deutschland. Frankreich, früher in
verderblicher Einseitigkeit Mitteleuropa zugekehrt, hat neue Arbeit und neue
Gegner im Süden gefunden; Österreich und Deutschland sind, was seit Jahr¬
hunderten nicht der Fall war, vor französischen Angriffen seit einem Viertel-
jahrhundert sicher. Wie auch die Wunden von 1870 und 71 die Rachegedanken


Deutschland und das Mittelmeer

IlinFUÄ traiuzg. gesprochen wird, den Anlaß bieten sollten, die Zugehörigkeit
Triests zum deutschen Sprachgebiet zur Grundlage politischer Betrachtungen
zu machen, ist eine ganz unpraktische Vorstellung. Die papierne Thatsache,
daß Trieft mit dem Kttstenlande von 1L15 bis 1366 dem deutschen Bunde
einverleibt war, kann ihr keine geschichtliche Berechtigung verleihen. Was wir
von Trieft zu erwarten haben, muß uns durch die Verbindung mit Österreich-
Ungarn zuwachsen.

Ebenso schulmäßig unpolitisch war die einst beliebte Phrase von der
deutschen Donau, die von unterhalb Wien durch nichtdeutsche Gebiete fließt,
deren längste, wasserreichste und für den Verkehr wichtigste Abschnitte nicht
von Deutschen umwohnt werden, die auf dein Boden des deutschen Reichs erst
eine ganz -geringe Bedeutung für den Verkehr hat, deren größte Zuflüsse aus
slawischen, magyarischen und rumänischen Landen komme», und die endlich in
den hintersten von Nüssen, Rumänen und Türken umstrittenen Winkel des Mittel¬
meeres mündet. Zwischen der Thatsache des Ursprungs der Donau auf dein
Ostabhang des Schwarzwaldes und dieser ganzen Reihe von Berührungen des
Stromes mit nichtdeutschen Völkern ist keine vernünftige politische Verknüpfung
herzustellen. Lege ich der Wolke, die über mir weg nach Westen zieht, eine
Bedeutung für die Verbindung Deutschlands mit Frankreich bei? Man kann
das Lot deutscher Donauinteressen zu dem Pfunde der österreichischen fügen
und in dieser Verbindung einen der Gründe sehen, aber keinen der wichtigsten,
warum es gut ist, daß beide Länder sest zusammenstehen. Wir wünschen, daß
sich unser eigner Donauverkchr hebe, daß Österreich und Ungarn ihr Über¬
gewicht in der Donauschiffnhrt behalten, und hoffen auf ein kräftiges Wachstum
der Selbständigkeit Rumäniens und Bulgariens; aber die Summe von dem
allen giebt keine besondern deutschen Interessen an der untern Donau und im
Schwarzen Meer. Die Idee, daß die Donau deutsche Interessen ins Schwarze
Meer hinabtrage, gehört der Zeit einer unfähigen Ausdehnungslust an, die,
wie sie die nächsten Interessen am Rhein und an der Eider nicht zu wahren
vermochte, im Geist beliebige Länder bis Asien hin dem deutschen Bunde
angliederte.

Wenn Deutschland seinen Blick nach Süden richtet, sucht es nicht Land¬
gewinn oder Fußfnsfung, aber es folgt mit gespannter Aufmerksamkeit den Ver¬
wicklungen, die alle ans Mittelmeer grenzenden Länder immer mehr anziehen
und in demselben Maße die der Mitte Europas früher in lästiger und ge¬
fährlicher Einseitigkeit zugewandte Aufmerksamkeit südwärts ablenken. Hier
liegt die Bedeutung des Mittelmeeres für Deutschland. Frankreich, früher in
verderblicher Einseitigkeit Mitteleuropa zugekehrt, hat neue Arbeit und neue
Gegner im Süden gefunden; Österreich und Deutschland sind, was seit Jahr¬
hunderten nicht der Fall war, vor französischen Angriffen seit einem Viertel-
jahrhundert sicher. Wie auch die Wunden von 1870 und 71 die Rachegedanken


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[0213] Deutschland und das Mittelmeer IlinFUÄ traiuzg. gesprochen wird, den Anlaß bieten sollten, die Zugehörigkeit Triests zum deutschen Sprachgebiet zur Grundlage politischer Betrachtungen zu machen, ist eine ganz unpraktische Vorstellung. Die papierne Thatsache, daß Trieft mit dem Kttstenlande von 1L15 bis 1366 dem deutschen Bunde einverleibt war, kann ihr keine geschichtliche Berechtigung verleihen. Was wir von Trieft zu erwarten haben, muß uns durch die Verbindung mit Österreich- Ungarn zuwachsen. Ebenso schulmäßig unpolitisch war die einst beliebte Phrase von der deutschen Donau, die von unterhalb Wien durch nichtdeutsche Gebiete fließt, deren längste, wasserreichste und für den Verkehr wichtigste Abschnitte nicht von Deutschen umwohnt werden, die auf dein Boden des deutschen Reichs erst eine ganz -geringe Bedeutung für den Verkehr hat, deren größte Zuflüsse aus slawischen, magyarischen und rumänischen Landen komme», und die endlich in den hintersten von Nüssen, Rumänen und Türken umstrittenen Winkel des Mittel¬ meeres mündet. Zwischen der Thatsache des Ursprungs der Donau auf dein Ostabhang des Schwarzwaldes und dieser ganzen Reihe von Berührungen des Stromes mit nichtdeutschen Völkern ist keine vernünftige politische Verknüpfung herzustellen. Lege ich der Wolke, die über mir weg nach Westen zieht, eine Bedeutung für die Verbindung Deutschlands mit Frankreich bei? Man kann das Lot deutscher Donauinteressen zu dem Pfunde der österreichischen fügen und in dieser Verbindung einen der Gründe sehen, aber keinen der wichtigsten, warum es gut ist, daß beide Länder sest zusammenstehen. Wir wünschen, daß sich unser eigner Donauverkchr hebe, daß Österreich und Ungarn ihr Über¬ gewicht in der Donauschiffnhrt behalten, und hoffen auf ein kräftiges Wachstum der Selbständigkeit Rumäniens und Bulgariens; aber die Summe von dem allen giebt keine besondern deutschen Interessen an der untern Donau und im Schwarzen Meer. Die Idee, daß die Donau deutsche Interessen ins Schwarze Meer hinabtrage, gehört der Zeit einer unfähigen Ausdehnungslust an, die, wie sie die nächsten Interessen am Rhein und an der Eider nicht zu wahren vermochte, im Geist beliebige Länder bis Asien hin dem deutschen Bunde angliederte. Wenn Deutschland seinen Blick nach Süden richtet, sucht es nicht Land¬ gewinn oder Fußfnsfung, aber es folgt mit gespannter Aufmerksamkeit den Ver¬ wicklungen, die alle ans Mittelmeer grenzenden Länder immer mehr anziehen und in demselben Maße die der Mitte Europas früher in lästiger und ge¬ fährlicher Einseitigkeit zugewandte Aufmerksamkeit südwärts ablenken. Hier liegt die Bedeutung des Mittelmeeres für Deutschland. Frankreich, früher in verderblicher Einseitigkeit Mitteleuropa zugekehrt, hat neue Arbeit und neue Gegner im Süden gefunden; Österreich und Deutschland sind, was seit Jahr¬ hunderten nicht der Fall war, vor französischen Angriffen seit einem Viertel- jahrhundert sicher. Wie auch die Wunden von 1870 und 71 die Rachegedanken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/213>, abgerufen am 22.07.2024.