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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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wenig zu bieten hat. Man denke an die langsame Entwicklung des deutschen
Handels mit Spanien, Italien, Griechenland. Deutschland wird seinem Kapital
und seiner Intelligenz die Wege zu fruchtbringenden Anlagen besonders in den
wenig entwickelten Ländern wie Marokko, Syrien, Kleinasien offen halten und
muß in ihrem Interesse den Übergang weiterer Gebiete in unfreundliche, mo-
nopolsüchtigc Hände verhüten. Der Vorgang der französischen Schutzerklärung
über Tunis sollte sich so nicht wiederholen.

Was aber für Deutschland bei seiner räumlichen Entfernung von größter
Wichtigkeit ist, das sind die Landzugänge zum Mittelmeer. Die Lage unsers
Landes bringt es mit sich, daß dabei das Rhein- und das Donaugebiet mit
einer Reihe von Gebirgsübergüngen in Frage kommen. Deutschland hat
keine von der Natur großartig einfach angelegte Verkehrsrinne, wie Frankreich
im Rhone- und im Saonethal; seine Wege nach Süden überschreiten hohe Berge
oder schwer wegsame Vergländer. Praktisch kommen heute für diesen Verkehr,
der sich teils nach den Ländern am Mittelmeer, teils durch das Mittelmeer
nach den Gebieten jenseits des Snczkancils richtet, fast nur die wenigen Alpen¬
eisenbahnen: Gotthardbahn, Vrennerbahn und Semmeringbahn in Betracht, die
alle auf nichtdeutschen Boden liegen. Die Verdichtung dieses weitmaschigen
Netzes durch eine Bahn, die durch Graubünden den Bodensee mit dem Comersee
verbindet, und durch eine Tauernbahn von Salzburg nach Venedig ist in erster
Linie für den Verkehr erwünscht. Möglichst zahlreiche Verbindungen mit den
Nachbarländern sind stets politisch wertvoll, wie auch die Beziehungen sonst liegen
mögen. Hier kommt die Ausmündung aller dieser Linien in die großen Bahnen
des Weltverkehrs dazu. Mit Österreich-Ungarn teilt Deutschland die Schätzung
der Zentraleuropa mit dem Ägeischen Meere verbindenden kürzesten Wege, be¬
sonders des Schienenweges nach Salonichi, der westliche Ströme des europäisch¬
asiatischen Verkehrs wieder weiter nach der Mitte legen und hoffentlich bald
die indische Post durch Ungarn und Deutschland leiten wird.

Wie kann man aber in Deutschland von diesem Dingen reden, ohne Trieft
und die Donau zu nennen? Man sollte es verlernen. Überlassen wir die
Sorge um Trieft dem Staate, dem es die wichtigste Pforte zum Meer und
zum Welthandel ist. Triest, eine italienisch-deutsche Kolonie in slowenischem
Lande, zur deutschen Stadt zu machen, ist ein vergeblichen Bemühen. Wenn
sich, wie wir hoffen, die Verkehrsbeziehungen zwischen Deutschland und Öster¬
reich in der Richtung auf ein einziges Handelsgebiet weiter entwickeln und
gleichzeitig die industrielle Entwicklung im östlichen Deutschland weiter fort¬
schreitet, kann Triest einst an Bedeutung sür Deutschland gewinnen. Aber
daß die paar tausend Deutschen in Triest, die insular abgeschlossen von dem
ohnehin schwachen Deutschtum in Krain und Südturnten, angewiesen auf sla¬
wische und italienische Schiffer, Lastträger, Hafenarbeiter, durch ihren Handel
vorwiegend mit Ländern in Verbindung gesetzt, wo Italienisch, Griechisch und


wenig zu bieten hat. Man denke an die langsame Entwicklung des deutschen
Handels mit Spanien, Italien, Griechenland. Deutschland wird seinem Kapital
und seiner Intelligenz die Wege zu fruchtbringenden Anlagen besonders in den
wenig entwickelten Ländern wie Marokko, Syrien, Kleinasien offen halten und
muß in ihrem Interesse den Übergang weiterer Gebiete in unfreundliche, mo-
nopolsüchtigc Hände verhüten. Der Vorgang der französischen Schutzerklärung
über Tunis sollte sich so nicht wiederholen.

Was aber für Deutschland bei seiner räumlichen Entfernung von größter
Wichtigkeit ist, das sind die Landzugänge zum Mittelmeer. Die Lage unsers
Landes bringt es mit sich, daß dabei das Rhein- und das Donaugebiet mit
einer Reihe von Gebirgsübergüngen in Frage kommen. Deutschland hat
keine von der Natur großartig einfach angelegte Verkehrsrinne, wie Frankreich
im Rhone- und im Saonethal; seine Wege nach Süden überschreiten hohe Berge
oder schwer wegsame Vergländer. Praktisch kommen heute für diesen Verkehr,
der sich teils nach den Ländern am Mittelmeer, teils durch das Mittelmeer
nach den Gebieten jenseits des Snczkancils richtet, fast nur die wenigen Alpen¬
eisenbahnen: Gotthardbahn, Vrennerbahn und Semmeringbahn in Betracht, die
alle auf nichtdeutschen Boden liegen. Die Verdichtung dieses weitmaschigen
Netzes durch eine Bahn, die durch Graubünden den Bodensee mit dem Comersee
verbindet, und durch eine Tauernbahn von Salzburg nach Venedig ist in erster
Linie für den Verkehr erwünscht. Möglichst zahlreiche Verbindungen mit den
Nachbarländern sind stets politisch wertvoll, wie auch die Beziehungen sonst liegen
mögen. Hier kommt die Ausmündung aller dieser Linien in die großen Bahnen
des Weltverkehrs dazu. Mit Österreich-Ungarn teilt Deutschland die Schätzung
der Zentraleuropa mit dem Ägeischen Meere verbindenden kürzesten Wege, be¬
sonders des Schienenweges nach Salonichi, der westliche Ströme des europäisch¬
asiatischen Verkehrs wieder weiter nach der Mitte legen und hoffentlich bald
die indische Post durch Ungarn und Deutschland leiten wird.

Wie kann man aber in Deutschland von diesem Dingen reden, ohne Trieft
und die Donau zu nennen? Man sollte es verlernen. Überlassen wir die
Sorge um Trieft dem Staate, dem es die wichtigste Pforte zum Meer und
zum Welthandel ist. Triest, eine italienisch-deutsche Kolonie in slowenischem
Lande, zur deutschen Stadt zu machen, ist ein vergeblichen Bemühen. Wenn
sich, wie wir hoffen, die Verkehrsbeziehungen zwischen Deutschland und Öster¬
reich in der Richtung auf ein einziges Handelsgebiet weiter entwickeln und
gleichzeitig die industrielle Entwicklung im östlichen Deutschland weiter fort¬
schreitet, kann Triest einst an Bedeutung sür Deutschland gewinnen. Aber
daß die paar tausend Deutschen in Triest, die insular abgeschlossen von dem
ohnehin schwachen Deutschtum in Krain und Südturnten, angewiesen auf sla¬
wische und italienische Schiffer, Lastträger, Hafenarbeiter, durch ihren Handel
vorwiegend mit Ländern in Verbindung gesetzt, wo Italienisch, Griechisch und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/212>, abgerufen am 22.07.2024.