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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Deutschland und das Mittelmeer

einen ernsthafter" Wettbewerber als in England, denn Frankreich erhebt be¬
stimmte Ansprüche auf marokkanischen Boden, während sich England mit der
Vorherrschaft im Handel und in der Schiffahrt begnügen würde. Daß Frank¬
reich Tunis besetzte, nud daß Deutschlands und Italiens Einfluß in Marokko
in den letzten Jahren bedeutend gestiegen ist, hat Spanien neue Beunruhigungen
gebracht. Aber besonders Frankreich bleibt ihm an der Muluja ebenso bedrohlich,
wie es sich an den Pyrenäen harmlos stellt. Eine ehrliche spanisch-französische
Freundschaft ist nicht denkbar, solange Fräuleins nicht ans seine Pläne einer
Ausdehnung Algeriens nach Westen verzichtet. Daß die Politiker aus der
Schule Castelars gleichzeitig für die geschichtliche Mission Spaniens in Nord-
nfrika und für die französische Freundschaft sind, beweist nur ihre Kurzsichtig¬
keit, denn der einzige gefährliche Feind erwächst den spanischen Plänen in
Frankreich. Es ist ein Erbteil der selbstzerstörenden Weltmachtpolitik Spaniens,
daß es seine Mittelmeerstellung so sehr vernachlässigt hat. Staatsmänner, die
einsehen, daß schon jetzt durch die algerische .Küste, die von Port Vendres und
Toulon aus in einem Tage von Kriegsschissen erreicht wird, Spanien im
Süden in der Flanke genommen wird, wie von der Küste des Ronssillon und
des Languedoc im Norden, gelten als Schwarzseher und sind unpopulär. Wo
ist der Stolz in den spanischen Herzen geblieben, die in dem einst spanischen
Oran das Ebenbild Cartagenas erblicken und die einer überwiegend spanischen
Bevölkerung zu verdankende Blüte dieses östlichsten der algerischen Departe¬
ments wahrnehmen, ohne die Zurückdrängung ihres Landes zu beklagen? Leider
liegen die Dinge heute so, daß Spaniens Schwäche eine der Voraussetzungen
der Größe Frankreichs ist. Wenn es eine geographische Einflußsphäre giebt,
so ist es die Spaniens in jenem westlichen Teil des Mittelmeers, der sich
zwischen der spanischen und der nordafrikanischen Küste gegen Gibraltar trichter¬
förmig verengt. Spanien war berufen, mit seiner reichen Auswanderung die
Schätze des Atlas zu heben. Nur ein paar Küstenplntze, die die Garnison nicht
lohnen, und papierne Vorrechte sind die Frucht blutiger, noch 1860 erneuerter
Kämpfe.

Spanien steht aber in seinen kümmerlichen Presidios wenigstens noch
ans dein äußerste" Rande von Afrika Posten; Italien ist von Afrika ab¬
geschnitten, seitdem Frankreich Tunis, die vorspringende Halbinsel, besitzt, von
dem aus einst die karthagischen Flotten Rom bedrohten. Zwischen den Be¬
festigungen der korsikanischer Plätze und dem gegen die Verträge zum Kriegs¬
hafen umgestalteten Biserta sind Sizilien und Sardinien, edelste Teile an dem
Körper Italiens, von französischen Waffen aus unerträglicher Nähe bedroht.
Die militärisch ungünstige Lage wird in Italien um so schwerer empfunden,
als die unpolitischen Beziehungen Italiens, d. h. der italienischen Bevölkerung
zu Nordasrika und besonders zu dem nächstgelegnen Tunis viel enger und
zahlreicher als die französischen waren. Durch eine ununterbrochene Aus-


Deutschland und das Mittelmeer

einen ernsthafter» Wettbewerber als in England, denn Frankreich erhebt be¬
stimmte Ansprüche auf marokkanischen Boden, während sich England mit der
Vorherrschaft im Handel und in der Schiffahrt begnügen würde. Daß Frank¬
reich Tunis besetzte, nud daß Deutschlands und Italiens Einfluß in Marokko
in den letzten Jahren bedeutend gestiegen ist, hat Spanien neue Beunruhigungen
gebracht. Aber besonders Frankreich bleibt ihm an der Muluja ebenso bedrohlich,
wie es sich an den Pyrenäen harmlos stellt. Eine ehrliche spanisch-französische
Freundschaft ist nicht denkbar, solange Fräuleins nicht ans seine Pläne einer
Ausdehnung Algeriens nach Westen verzichtet. Daß die Politiker aus der
Schule Castelars gleichzeitig für die geschichtliche Mission Spaniens in Nord-
nfrika und für die französische Freundschaft sind, beweist nur ihre Kurzsichtig¬
keit, denn der einzige gefährliche Feind erwächst den spanischen Plänen in
Frankreich. Es ist ein Erbteil der selbstzerstörenden Weltmachtpolitik Spaniens,
daß es seine Mittelmeerstellung so sehr vernachlässigt hat. Staatsmänner, die
einsehen, daß schon jetzt durch die algerische .Küste, die von Port Vendres und
Toulon aus in einem Tage von Kriegsschissen erreicht wird, Spanien im
Süden in der Flanke genommen wird, wie von der Küste des Ronssillon und
des Languedoc im Norden, gelten als Schwarzseher und sind unpopulär. Wo
ist der Stolz in den spanischen Herzen geblieben, die in dem einst spanischen
Oran das Ebenbild Cartagenas erblicken und die einer überwiegend spanischen
Bevölkerung zu verdankende Blüte dieses östlichsten der algerischen Departe¬
ments wahrnehmen, ohne die Zurückdrängung ihres Landes zu beklagen? Leider
liegen die Dinge heute so, daß Spaniens Schwäche eine der Voraussetzungen
der Größe Frankreichs ist. Wenn es eine geographische Einflußsphäre giebt,
so ist es die Spaniens in jenem westlichen Teil des Mittelmeers, der sich
zwischen der spanischen und der nordafrikanischen Küste gegen Gibraltar trichter¬
förmig verengt. Spanien war berufen, mit seiner reichen Auswanderung die
Schätze des Atlas zu heben. Nur ein paar Küstenplntze, die die Garnison nicht
lohnen, und papierne Vorrechte sind die Frucht blutiger, noch 1860 erneuerter
Kämpfe.

Spanien steht aber in seinen kümmerlichen Presidios wenigstens noch
ans dein äußerste« Rande von Afrika Posten; Italien ist von Afrika ab¬
geschnitten, seitdem Frankreich Tunis, die vorspringende Halbinsel, besitzt, von
dem aus einst die karthagischen Flotten Rom bedrohten. Zwischen den Be¬
festigungen der korsikanischer Plätze und dem gegen die Verträge zum Kriegs¬
hafen umgestalteten Biserta sind Sizilien und Sardinien, edelste Teile an dem
Körper Italiens, von französischen Waffen aus unerträglicher Nähe bedroht.
Die militärisch ungünstige Lage wird in Italien um so schwerer empfunden,
als die unpolitischen Beziehungen Italiens, d. h. der italienischen Bevölkerung
zu Nordasrika und besonders zu dem nächstgelegnen Tunis viel enger und
zahlreicher als die französischen waren. Durch eine ununterbrochene Aus-


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[0207] Deutschland und das Mittelmeer einen ernsthafter» Wettbewerber als in England, denn Frankreich erhebt be¬ stimmte Ansprüche auf marokkanischen Boden, während sich England mit der Vorherrschaft im Handel und in der Schiffahrt begnügen würde. Daß Frank¬ reich Tunis besetzte, nud daß Deutschlands und Italiens Einfluß in Marokko in den letzten Jahren bedeutend gestiegen ist, hat Spanien neue Beunruhigungen gebracht. Aber besonders Frankreich bleibt ihm an der Muluja ebenso bedrohlich, wie es sich an den Pyrenäen harmlos stellt. Eine ehrliche spanisch-französische Freundschaft ist nicht denkbar, solange Fräuleins nicht ans seine Pläne einer Ausdehnung Algeriens nach Westen verzichtet. Daß die Politiker aus der Schule Castelars gleichzeitig für die geschichtliche Mission Spaniens in Nord- nfrika und für die französische Freundschaft sind, beweist nur ihre Kurzsichtig¬ keit, denn der einzige gefährliche Feind erwächst den spanischen Plänen in Frankreich. Es ist ein Erbteil der selbstzerstörenden Weltmachtpolitik Spaniens, daß es seine Mittelmeerstellung so sehr vernachlässigt hat. Staatsmänner, die einsehen, daß schon jetzt durch die algerische .Küste, die von Port Vendres und Toulon aus in einem Tage von Kriegsschissen erreicht wird, Spanien im Süden in der Flanke genommen wird, wie von der Küste des Ronssillon und des Languedoc im Norden, gelten als Schwarzseher und sind unpopulär. Wo ist der Stolz in den spanischen Herzen geblieben, die in dem einst spanischen Oran das Ebenbild Cartagenas erblicken und die einer überwiegend spanischen Bevölkerung zu verdankende Blüte dieses östlichsten der algerischen Departe¬ ments wahrnehmen, ohne die Zurückdrängung ihres Landes zu beklagen? Leider liegen die Dinge heute so, daß Spaniens Schwäche eine der Voraussetzungen der Größe Frankreichs ist. Wenn es eine geographische Einflußsphäre giebt, so ist es die Spaniens in jenem westlichen Teil des Mittelmeers, der sich zwischen der spanischen und der nordafrikanischen Küste gegen Gibraltar trichter¬ förmig verengt. Spanien war berufen, mit seiner reichen Auswanderung die Schätze des Atlas zu heben. Nur ein paar Küstenplntze, die die Garnison nicht lohnen, und papierne Vorrechte sind die Frucht blutiger, noch 1860 erneuerter Kämpfe. Spanien steht aber in seinen kümmerlichen Presidios wenigstens noch ans dein äußerste« Rande von Afrika Posten; Italien ist von Afrika ab¬ geschnitten, seitdem Frankreich Tunis, die vorspringende Halbinsel, besitzt, von dem aus einst die karthagischen Flotten Rom bedrohten. Zwischen den Be¬ festigungen der korsikanischer Plätze und dem gegen die Verträge zum Kriegs¬ hafen umgestalteten Biserta sind Sizilien und Sardinien, edelste Teile an dem Körper Italiens, von französischen Waffen aus unerträglicher Nähe bedroht. Die militärisch ungünstige Lage wird in Italien um so schwerer empfunden, als die unpolitischen Beziehungen Italiens, d. h. der italienischen Bevölkerung zu Nordasrika und besonders zu dem nächstgelegnen Tunis viel enger und zahlreicher als die französischen waren. Durch eine ununterbrochene Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/207>, abgerufen am 22.07.2024.