Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Notwendigkeit liegt hier in den Charakteren und nicht in Mächten begründet,
die von außen her wirken, und das ist stets das untrügliche Zeichen echt dra¬
matischer Poesie gewesen. Heute hat der "Erbförster" längst seine Feuerprobe
bestanden, er hat seine ersten weichlichen Zuhörer, die unter dem Eindruck
seiner furchtbaren Majestät zusammenbrachen, siegreich überdauert; er hat aber
auch allmählich seiue kurzsichtige" Beurteiler beschämt und sich das Verständnis,
das ihm seiue Zeitgenossen verweigerte", Schritt für Schritt erobert.

Ebenbürtig, ja i" gewisser Beziehung noch höher steht neben dem "Erb¬
förster" das andre Meisterwerk Ludwigs. "Die Makkabäer." So gewaltige
Gestatte" wie die deS Luda und der Lea stehe" wenige auf der deutsche"
Bühne, und auch die Größe der Vvlksszenen im zweite" und fünfte" Akt hat
nicht viel ihresgleichen. Aber -- ganz abgesehen vo" de" Schwäche", die die
Komposition der "Makkabäer" im dritten und vierten Akt allzu offen zeigt --
wird schon deshalb der "Erbförster" immer lebendiger wirken u"d tiefer bei
uns haften, weil er unserm Wesen näher steht, weil alle seine kernige" Ge¬
stalten in des Dichters Heimat wurzeln, weil sie unser Fleisch und Blut sind.

Die vier weiter" Dramen dieses Bandes gehören zum Teil der E"t-
wicklttiigsperiode Ludwigs a", i" der er "och unter de" Nachwirkungen der
Romantik stand. So sein dramatisches Erstlingsstück "Hans Frei," ein ge¬
sundes, stellenweise köstliches Lustspiel in schlichten Neimpaaren in der Art des
Hans Sachs, das sich aber wohl besser liest mis aufführen läßt. Ferner das
unheimlich dämonische Trauerspiel "Das Fräulein von Scudery," el" düsteres
Werk, das rede" der tiefen Schönheit, die ans Ludwigs Geiste quoll, freilich
ein Element der Krankheit, ja der Unnatur aus E. T. A. Hoffmanns gleich¬
namiger Erzählung herüberge"omnem "ut mit der stärkern Phantasie des
Dramatikers noch gesteigert hat. Zeitlich zwischen diesen beide" Stücke", an
dichterischer Vollendung weit über ihnen stehen die beiden bürgerliche" Trauer¬
spiele "Die Pfarrrvse" und "Die Rechte des Herzens," die Vorboten der
spätern Meisterwerke. Allmählich, Schritt für Schritt wuchs die dramatische
Kraft des Dichters, und der psychologischen Feinheit, die bereits die "Pfarr¬
rose" fast bis zu überscharfer Zuspitzung dnrchdn"ge, gesellt sich in de" "Rechten
des Herzens" eine energische Plastik der Charaktere und jene leidenschaftliche
Gewalt der Sprache, durch die es sich die Gunst Devrients erwarb und so
dem Dichter zu den ersten bescheidne" Erfolge" verhalf. Durch die beiden
letztgenannte" Stücke hat die neue Ausgabe von Ludwigs Werken einen sehr
wertvollen Zuwachs erhalte".

Der fünfte Band ist den "Dramatischen Fragmenten" Ludwigs gewidmet.
Hier thut sich, wie Erich Schmidt in seinem Vorberichtc treffend sagt, "eine
einsame Werkstatt voll angchauner Blocke auf," die jeden aufmerksam hin-
durchschreiteiide" Beschauer mit tiefer Wehmut erfüllen muß. Welch eine
Fülle der hoffnungsvollsten Gestalten liegt da vor uns, und doch -- Torso


Notwendigkeit liegt hier in den Charakteren und nicht in Mächten begründet,
die von außen her wirken, und das ist stets das untrügliche Zeichen echt dra¬
matischer Poesie gewesen. Heute hat der „Erbförster" längst seine Feuerprobe
bestanden, er hat seine ersten weichlichen Zuhörer, die unter dem Eindruck
seiner furchtbaren Majestät zusammenbrachen, siegreich überdauert; er hat aber
auch allmählich seiue kurzsichtige» Beurteiler beschämt und sich das Verständnis,
das ihm seiue Zeitgenossen verweigerte», Schritt für Schritt erobert.

Ebenbürtig, ja i» gewisser Beziehung noch höher steht neben dem „Erb¬
förster" das andre Meisterwerk Ludwigs. „Die Makkabäer." So gewaltige
Gestatte» wie die deS Luda und der Lea stehe» wenige auf der deutsche»
Bühne, und auch die Größe der Vvlksszenen im zweite» und fünfte» Akt hat
nicht viel ihresgleichen. Aber — ganz abgesehen vo» de» Schwäche», die die
Komposition der „Makkabäer" im dritten und vierten Akt allzu offen zeigt —
wird schon deshalb der „Erbförster" immer lebendiger wirken u»d tiefer bei
uns haften, weil er unserm Wesen näher steht, weil alle seine kernige» Ge¬
stalten in des Dichters Heimat wurzeln, weil sie unser Fleisch und Blut sind.

Die vier weiter» Dramen dieses Bandes gehören zum Teil der E»t-
wicklttiigsperiode Ludwigs a», i» der er »och unter de» Nachwirkungen der
Romantik stand. So sein dramatisches Erstlingsstück „Hans Frei," ein ge¬
sundes, stellenweise köstliches Lustspiel in schlichten Neimpaaren in der Art des
Hans Sachs, das sich aber wohl besser liest mis aufführen läßt. Ferner das
unheimlich dämonische Trauerspiel „Das Fräulein von Scudery," el» düsteres
Werk, das rede» der tiefen Schönheit, die ans Ludwigs Geiste quoll, freilich
ein Element der Krankheit, ja der Unnatur aus E. T. A. Hoffmanns gleich¬
namiger Erzählung herüberge»omnem »ut mit der stärkern Phantasie des
Dramatikers noch gesteigert hat. Zeitlich zwischen diesen beide» Stücke», an
dichterischer Vollendung weit über ihnen stehen die beiden bürgerliche» Trauer¬
spiele „Die Pfarrrvse" und „Die Rechte des Herzens," die Vorboten der
spätern Meisterwerke. Allmählich, Schritt für Schritt wuchs die dramatische
Kraft des Dichters, und der psychologischen Feinheit, die bereits die „Pfarr¬
rose" fast bis zu überscharfer Zuspitzung dnrchdn»ge, gesellt sich in de» „Rechten
des Herzens" eine energische Plastik der Charaktere und jene leidenschaftliche
Gewalt der Sprache, durch die es sich die Gunst Devrients erwarb und so
dem Dichter zu den ersten bescheidne» Erfolge» verhalf. Durch die beiden
letztgenannte» Stücke hat die neue Ausgabe von Ludwigs Werken einen sehr
wertvollen Zuwachs erhalte».

Der fünfte Band ist den „Dramatischen Fragmenten" Ludwigs gewidmet.
Hier thut sich, wie Erich Schmidt in seinem Vorberichtc treffend sagt, „eine
einsame Werkstatt voll angchauner Blocke auf," die jeden aufmerksam hin-
durchschreiteiide» Beschauer mit tiefer Wehmut erfüllen muß. Welch eine
Fülle der hoffnungsvollsten Gestalten liegt da vor uns, und doch — Torso


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0191" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215915"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_498" prev="#ID_497"> Notwendigkeit liegt hier in den Charakteren und nicht in Mächten begründet,<lb/>
die von außen her wirken, und das ist stets das untrügliche Zeichen echt dra¬<lb/>
matischer Poesie gewesen. Heute hat der &#x201E;Erbförster" längst seine Feuerprobe<lb/>
bestanden, er hat seine ersten weichlichen Zuhörer, die unter dem Eindruck<lb/>
seiner furchtbaren Majestät zusammenbrachen, siegreich überdauert; er hat aber<lb/>
auch allmählich seiue kurzsichtige» Beurteiler beschämt und sich das Verständnis,<lb/>
das ihm seiue Zeitgenossen verweigerte», Schritt für Schritt erobert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_499"> Ebenbürtig, ja i» gewisser Beziehung noch höher steht neben dem &#x201E;Erb¬<lb/>
förster" das andre Meisterwerk Ludwigs. &#x201E;Die Makkabäer." So gewaltige<lb/>
Gestatte» wie die deS Luda und der Lea stehe» wenige auf der deutsche»<lb/>
Bühne, und auch die Größe der Vvlksszenen im zweite» und fünfte» Akt hat<lb/>
nicht viel ihresgleichen. Aber &#x2014; ganz abgesehen vo» de» Schwäche», die die<lb/>
Komposition der &#x201E;Makkabäer" im dritten und vierten Akt allzu offen zeigt &#x2014;<lb/>
wird schon deshalb der &#x201E;Erbförster" immer lebendiger wirken u»d tiefer bei<lb/>
uns haften, weil er unserm Wesen näher steht, weil alle seine kernige» Ge¬<lb/>
stalten in des Dichters Heimat wurzeln, weil sie unser Fleisch und Blut sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_500"> Die vier weiter» Dramen dieses Bandes gehören zum Teil der E»t-<lb/>
wicklttiigsperiode Ludwigs a», i» der er »och unter de» Nachwirkungen der<lb/>
Romantik stand. So sein dramatisches Erstlingsstück &#x201E;Hans Frei," ein ge¬<lb/>
sundes, stellenweise köstliches Lustspiel in schlichten Neimpaaren in der Art des<lb/>
Hans Sachs, das sich aber wohl besser liest mis aufführen läßt. Ferner das<lb/>
unheimlich dämonische Trauerspiel &#x201E;Das Fräulein von Scudery," el» düsteres<lb/>
Werk, das rede» der tiefen Schönheit, die ans Ludwigs Geiste quoll, freilich<lb/>
ein Element der Krankheit, ja der Unnatur aus E. T. A. Hoffmanns gleich¬<lb/>
namiger Erzählung herüberge»omnem »ut mit der stärkern Phantasie des<lb/>
Dramatikers noch gesteigert hat. Zeitlich zwischen diesen beide» Stücke», an<lb/>
dichterischer Vollendung weit über ihnen stehen die beiden bürgerliche» Trauer¬<lb/>
spiele &#x201E;Die Pfarrrvse" und &#x201E;Die Rechte des Herzens," die Vorboten der<lb/>
spätern Meisterwerke. Allmählich, Schritt für Schritt wuchs die dramatische<lb/>
Kraft des Dichters, und der psychologischen Feinheit, die bereits die &#x201E;Pfarr¬<lb/>
rose" fast bis zu überscharfer Zuspitzung dnrchdn»ge, gesellt sich in de» &#x201E;Rechten<lb/>
des Herzens" eine energische Plastik der Charaktere und jene leidenschaftliche<lb/>
Gewalt der Sprache, durch die es sich die Gunst Devrients erwarb und so<lb/>
dem Dichter zu den ersten bescheidne» Erfolge» verhalf. Durch die beiden<lb/>
letztgenannte» Stücke hat die neue Ausgabe von Ludwigs Werken einen sehr<lb/>
wertvollen Zuwachs erhalte».</p><lb/>
          <p xml:id="ID_501" next="#ID_502"> Der fünfte Band ist den &#x201E;Dramatischen Fragmenten" Ludwigs gewidmet.<lb/>
Hier thut sich, wie Erich Schmidt in seinem Vorberichtc treffend sagt, &#x201E;eine<lb/>
einsame Werkstatt voll angchauner Blocke auf," die jeden aufmerksam hin-<lb/>
durchschreiteiide» Beschauer mit tiefer Wehmut erfüllen muß. Welch eine<lb/>
Fülle der hoffnungsvollsten Gestalten liegt da vor uns, und doch &#x2014; Torso</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0191] Notwendigkeit liegt hier in den Charakteren und nicht in Mächten begründet, die von außen her wirken, und das ist stets das untrügliche Zeichen echt dra¬ matischer Poesie gewesen. Heute hat der „Erbförster" längst seine Feuerprobe bestanden, er hat seine ersten weichlichen Zuhörer, die unter dem Eindruck seiner furchtbaren Majestät zusammenbrachen, siegreich überdauert; er hat aber auch allmählich seiue kurzsichtige» Beurteiler beschämt und sich das Verständnis, das ihm seiue Zeitgenossen verweigerte», Schritt für Schritt erobert. Ebenbürtig, ja i» gewisser Beziehung noch höher steht neben dem „Erb¬ förster" das andre Meisterwerk Ludwigs. „Die Makkabäer." So gewaltige Gestatte» wie die deS Luda und der Lea stehe» wenige auf der deutsche» Bühne, und auch die Größe der Vvlksszenen im zweite» und fünfte» Akt hat nicht viel ihresgleichen. Aber — ganz abgesehen vo» de» Schwäche», die die Komposition der „Makkabäer" im dritten und vierten Akt allzu offen zeigt — wird schon deshalb der „Erbförster" immer lebendiger wirken u»d tiefer bei uns haften, weil er unserm Wesen näher steht, weil alle seine kernige» Ge¬ stalten in des Dichters Heimat wurzeln, weil sie unser Fleisch und Blut sind. Die vier weiter» Dramen dieses Bandes gehören zum Teil der E»t- wicklttiigsperiode Ludwigs a», i» der er »och unter de» Nachwirkungen der Romantik stand. So sein dramatisches Erstlingsstück „Hans Frei," ein ge¬ sundes, stellenweise köstliches Lustspiel in schlichten Neimpaaren in der Art des Hans Sachs, das sich aber wohl besser liest mis aufführen läßt. Ferner das unheimlich dämonische Trauerspiel „Das Fräulein von Scudery," el» düsteres Werk, das rede» der tiefen Schönheit, die ans Ludwigs Geiste quoll, freilich ein Element der Krankheit, ja der Unnatur aus E. T. A. Hoffmanns gleich¬ namiger Erzählung herüberge»omnem »ut mit der stärkern Phantasie des Dramatikers noch gesteigert hat. Zeitlich zwischen diesen beide» Stücke», an dichterischer Vollendung weit über ihnen stehen die beiden bürgerliche» Trauer¬ spiele „Die Pfarrrvse" und „Die Rechte des Herzens," die Vorboten der spätern Meisterwerke. Allmählich, Schritt für Schritt wuchs die dramatische Kraft des Dichters, und der psychologischen Feinheit, die bereits die „Pfarr¬ rose" fast bis zu überscharfer Zuspitzung dnrchdn»ge, gesellt sich in de» „Rechten des Herzens" eine energische Plastik der Charaktere und jene leidenschaftliche Gewalt der Sprache, durch die es sich die Gunst Devrients erwarb und so dem Dichter zu den ersten bescheidne» Erfolge» verhalf. Durch die beiden letztgenannte» Stücke hat die neue Ausgabe von Ludwigs Werken einen sehr wertvollen Zuwachs erhalte». Der fünfte Band ist den „Dramatischen Fragmenten" Ludwigs gewidmet. Hier thut sich, wie Erich Schmidt in seinem Vorberichtc treffend sagt, „eine einsame Werkstatt voll angchauner Blocke auf," die jeden aufmerksam hin- durchschreiteiide» Beschauer mit tiefer Wehmut erfüllen muß. Welch eine Fülle der hoffnungsvollsten Gestalten liegt da vor uns, und doch — Torso

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/191
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/191>, abgerufen am 22.07.2024.