Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.werden deine Kinder dereinst aussehen! Denn während der Menschen immer (Schluß folgt) Gelo Ludwigs gesammelte Schriften Hans Nord von er Name Otto Ludwig schlüge mit sehr verschiednen Klänge an in Breslau gerügt, daß der Schutzmann einen um Arbeit fragenden Fleischergeselleu verHaftel
und angeklagt hatte, weil er, ohne darum gebeten zu haben, von der Meisterin eine Gabe empfangen hatte; und in einer westdeutschen Stadt war der Richter nicht damit einverstanden, daß der Gendarm einen Sammler für irgend einen Wahlfonds als "Bettler" verhaftet hatte. Der Richter fragte den Gendarmen, ob er es anch als strafbaren Bettel ansehen würde, wenn für den "reichstrenen" Wahlfonds gesammelt würde, und der Wackere antwortete in seiner Unschuld ohne Augenzwinkern mit "Ja!" Oft mag dem Richter Unkenntnis der Verhältnisse über Zweifel und Verlegenheiten hinweghelfen. Ein Berliner Schneider war wegen Beleidi¬ gung seines Unternehmers zu Gefängnis verurteilt worden und legte Berufung ein. Diese wurde zwar verworfen, aber die Verhandlung verlief sehr interessant. Der Verurteilte und seine Entlastungszeugen wiesen nach, wie erbärmliche Löhne das Geschäft zahle, und der Unternehmer selbst gestand zu, daß seine "Zwischenmeister" -- in London heißen solche Leute Schwimmeister -- mir 25 bis 40 Pfennige für eine Weste oder Hose zahlten, was aber ihn nichts angehe, da er den Meistern 1 bis l^ Mark zahle. Der Vorsitzende sagte dem Ver¬ urteilten: "Wenn die Löhne so gering sind, weshalb gehen Sie denn hin?" Wäre der Mann nicht hingegangen, so hätte ihn möglicherweise derselbe Richter wegen Arbeitsscheu verurteilt. Der Verteidiger belehrte deu Richter, daß es zwar besser bezahlte Stellen gebe, daß die aber alle besetzt seien, worauf dann der Richter erwiderte: es sei doch ganz natürlich, daß beim Überangebot von Arbeitskräften deren Preis sinke. Der Verteidiger bemerkte dagegen: trotz des Überangebots von tausend Assessoren habe doch der Staat die Richterbesoldnngcn noch nicht herabgesetzt. werden deine Kinder dereinst aussehen! Denn während der Menschen immer (Schluß folgt) Gelo Ludwigs gesammelte Schriften Hans Nord von er Name Otto Ludwig schlüge mit sehr verschiednen Klänge an in Breslau gerügt, daß der Schutzmann einen um Arbeit fragenden Fleischergeselleu verHaftel
und angeklagt hatte, weil er, ohne darum gebeten zu haben, von der Meisterin eine Gabe empfangen hatte; und in einer westdeutschen Stadt war der Richter nicht damit einverstanden, daß der Gendarm einen Sammler für irgend einen Wahlfonds als „Bettler" verhaftet hatte. Der Richter fragte den Gendarmen, ob er es anch als strafbaren Bettel ansehen würde, wenn für den „reichstrenen" Wahlfonds gesammelt würde, und der Wackere antwortete in seiner Unschuld ohne Augenzwinkern mit „Ja!" Oft mag dem Richter Unkenntnis der Verhältnisse über Zweifel und Verlegenheiten hinweghelfen. Ein Berliner Schneider war wegen Beleidi¬ gung seines Unternehmers zu Gefängnis verurteilt worden und legte Berufung ein. Diese wurde zwar verworfen, aber die Verhandlung verlief sehr interessant. Der Verurteilte und seine Entlastungszeugen wiesen nach, wie erbärmliche Löhne das Geschäft zahle, und der Unternehmer selbst gestand zu, daß seine „Zwischenmeister" — in London heißen solche Leute Schwimmeister — mir 25 bis 40 Pfennige für eine Weste oder Hose zahlten, was aber ihn nichts angehe, da er den Meistern 1 bis l^ Mark zahle. Der Vorsitzende sagte dem Ver¬ urteilten: „Wenn die Löhne so gering sind, weshalb gehen Sie denn hin?" Wäre der Mann nicht hingegangen, so hätte ihn möglicherweise derselbe Richter wegen Arbeitsscheu verurteilt. Der Verteidiger belehrte deu Richter, daß es zwar besser bezahlte Stellen gebe, daß die aber alle besetzt seien, worauf dann der Richter erwiderte: es sei doch ganz natürlich, daß beim Überangebot von Arbeitskräften deren Preis sinke. Der Verteidiger bemerkte dagegen: trotz des Überangebots von tausend Assessoren habe doch der Staat die Richterbesoldnngcn noch nicht herabgesetzt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215906"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_476" prev="#ID_475"> werden deine Kinder dereinst aussehen! 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Oft mag dem Richter Unkenntnis der Verhältnisse<lb/> über Zweifel und Verlegenheiten hinweghelfen. Ein Berliner Schneider war wegen Beleidi¬<lb/> gung seines Unternehmers zu Gefängnis verurteilt worden und legte Berufung ein. Diese<lb/> wurde zwar verworfen, aber die Verhandlung verlief sehr interessant. Der Verurteilte und<lb/> seine Entlastungszeugen wiesen nach, wie erbärmliche Löhne das Geschäft zahle, und der<lb/> Unternehmer selbst gestand zu, daß seine „Zwischenmeister" — in London heißen solche Leute<lb/> Schwimmeister — mir 25 bis 40 Pfennige für eine Weste oder Hose zahlten, was aber ihn<lb/> nichts angehe, da er den Meistern 1 bis l^ Mark zahle. Der Vorsitzende sagte dem Ver¬<lb/> urteilten: „Wenn die Löhne so gering sind, weshalb gehen Sie denn hin?" Wäre der Mann<lb/> nicht hingegangen, so hätte ihn möglicherweise derselbe Richter wegen Arbeitsscheu verurteilt.<lb/> Der Verteidiger belehrte deu Richter, daß es zwar besser bezahlte Stellen gebe, daß die aber<lb/> alle besetzt seien, worauf dann der Richter erwiderte: es sei doch ganz natürlich, daß beim<lb/> Überangebot von Arbeitskräften deren Preis sinke. Der Verteidiger bemerkte dagegen: trotz<lb/> des Überangebots von tausend Assessoren habe doch der Staat die Richterbesoldnngcn noch<lb/> nicht herabgesetzt.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0182]
werden deine Kinder dereinst aussehen! Denn während der Menschen immer
mehr werden, wirken die Maschinentechnik und das Großkapital zusammen, die
Zahl der verfügbaren Plätze zu vermindern, und natürlich setzen sich die
Vermögenden in den Besitz dieser Plätze; die Vermehrung der Offiziers- und
Beamtenstellen aber kann leine andre Wirkung haben, als den Untergang der
produktiven Stände zu beschleunigen, und wird überdies an der Unmöglichkeit,
noch mehr Steuern herauszupressen, sehr bald ihre Grenze finden.
(Schluß folgt)
Gelo Ludwigs gesammelte Schriften
Hans Nord von
er Name Otto Ludwig schlüge mit sehr verschiednen Klänge an
das Ohr der Gegenwart. Für die einen mahnend, kräftigend
und erhebend, für die andern störend und die unbequeme Er¬
innerung weckend, daß es eine noch gar nicht weit zurückliegende
Zeit gegeben hat, wo ein vom Leben und Schicksal wahrlich nicht,
begünstigter Dichter doch seines Berufs als eines Priesteramts gewaltet hat
Während die ersten die Ankündigung einer neuen, vollständigen! und vvllkomm-
in Breslau gerügt, daß der Schutzmann einen um Arbeit fragenden Fleischergeselleu verHaftel
und angeklagt hatte, weil er, ohne darum gebeten zu haben, von der Meisterin eine Gabe
empfangen hatte; und in einer westdeutschen Stadt war der Richter nicht damit einverstanden,
daß der Gendarm einen Sammler für irgend einen Wahlfonds als „Bettler" verhaftet hatte.
Der Richter fragte den Gendarmen, ob er es anch als strafbaren Bettel ansehen würde, wenn
für den „reichstrenen" Wahlfonds gesammelt würde, und der Wackere antwortete in seiner
Unschuld ohne Augenzwinkern mit „Ja!" Oft mag dem Richter Unkenntnis der Verhältnisse
über Zweifel und Verlegenheiten hinweghelfen. Ein Berliner Schneider war wegen Beleidi¬
gung seines Unternehmers zu Gefängnis verurteilt worden und legte Berufung ein. Diese
wurde zwar verworfen, aber die Verhandlung verlief sehr interessant. Der Verurteilte und
seine Entlastungszeugen wiesen nach, wie erbärmliche Löhne das Geschäft zahle, und der
Unternehmer selbst gestand zu, daß seine „Zwischenmeister" — in London heißen solche Leute
Schwimmeister — mir 25 bis 40 Pfennige für eine Weste oder Hose zahlten, was aber ihn
nichts angehe, da er den Meistern 1 bis l^ Mark zahle. Der Vorsitzende sagte dem Ver¬
urteilten: „Wenn die Löhne so gering sind, weshalb gehen Sie denn hin?" Wäre der Mann
nicht hingegangen, so hätte ihn möglicherweise derselbe Richter wegen Arbeitsscheu verurteilt.
Der Verteidiger belehrte deu Richter, daß es zwar besser bezahlte Stellen gebe, daß die aber
alle besetzt seien, worauf dann der Richter erwiderte: es sei doch ganz natürlich, daß beim
Überangebot von Arbeitskräften deren Preis sinke. Der Verteidiger bemerkte dagegen: trotz
des Überangebots von tausend Assessoren habe doch der Staat die Richterbesoldnngcn noch
nicht herabgesetzt.
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