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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Meter Aoininnuisnuls "och Kavitalisnuis

Millionen, um die wir in den nächsten dreißig Jahren wachsen werden? In
was für großstädtische Keller- oder Turmstnben gedenkt man sie zu sperren,
womit will man sie beschäftige", womit ernähren? Ein armer Jüngling, der
seine Schlösser in die Luft oder in den Mond baut, ist kein solcher Utopist,
wie ein Minister, Geheimrat, Parlamentarier oder Professor der Volkswirt¬
schaft, der sich einbildet, die Sache werde sich schon von selber machen; denken
diese Herren aber überhcinpt nicht nach über die Sache, dann sind sie entweder
gewissenlos oder unfähig.

Wir sind nicht Malthusianer im gewöhnlichen Sinne des Wortes; wir
glauben nicht, daß sich die Menschen stärker vermehren als die Lebensmittel.
Soll aber beides im Gleichgewicht mit einander bleiben, dann dürfen sich die
Menschen nicht auf einem Platze zusammendrängen und ungeheure Läuderflächeu
unaugebaut oder schlecht angebaut lassen, sondern müssen sich nach dein Maße
ihres Wachstums über die noch verfügbaren Flüchen verteilen. Zwar ermöglicht
die moderne Technik einen Zustand, wo das eine Volk nur Jndustricprodnkte,
das andre nur Nahrungsmittel und Rohstoffe erzeugt, und jedes der beiden
das ihm Fehlende durch Tausch vom andern erhält, allein der Zustand des
reinen Industriestaats ist ungesund und gefährlich.

Wir wiederholen: nicht wir sind Utopisten, sondern erstens jene Agrarier,
die sich einbilden, mit Hilfe der Ackerbauchemie die Bodeuerzeuguisse ins Ma߬
lose steigern zu können, zweitens jene Verehrer des Industriestaats, die sich
einbilden, Deutschland könne ein solcher werden, ohne daß unser Volk seine
geistige und körperliche Tüchtigkeit einbüßt; drittens alle die, die sich einbilden,
für einen zweiten Industrie- und Haudelsstaat uach dem Muster Englands sei
noch Raum auf Erden. Diese moderne Utopisterei hat erst zur Herrschaft
gelangen können, nachdem die Bevormundung durch die Büreaukrntic und durch
die politischen Parteiführer in deu Völkern alle gesunden Instinkte ertötet und
sie des Gebrauchs ihres natürlichen Verstandes entwöhnt hat. Alle Völker
des Altertums und des Mittelalters haben es gewußt, und die Engländers



Der Landhunger der Engländer ist bis auf den heutigen Tag unersättlich geblieben.
Wer uus mit dem Hinweis auf England überreden will, ein Industriestaat zu werden, deu
frugen wir vor allem, woher er uns die 45"000 Quadratmeilen verschlissen will, über die
England herrscht. Überseeisches Gebiet bildet keine so sichere und gesunde Grundlage für das
erweiterte Volksleben, wie erobertes Nachbarland, aber England konnte sich als Industriestaat
uicht anders helfen, nud ohne seine überseeischen Besitzungen vermöchte es seine Industrie-
bcvölkeruug schlechterdings nicht zu ernähren. Da deu Engländern durch die Lage ihres Laudes
die Ausbreitung nach römischem und altdeutschen, Muster verwehrt war, haben sie die alt¬
griechische Kolouisntiousmethode mit der phönizisch-karthagischen, später auch vou Holland ge¬
pflegten verbunden. Der Deutsche bleibt durch seine Gemütsart sowie durch die Natur und
Lage seines Landes auf den Weg seiner Vorfahren angewiesen. Übrigens ist es auch die
Kolonisation, was neben der Abwesenheit des Polizeidrncks das englische Volk vor Verkuui-
meruug bewahrt hat in jener Zeit, wo sein größter Teil in entwürdigenden Elend schmachtete.
Meter Aoininnuisnuls »och Kavitalisnuis

Millionen, um die wir in den nächsten dreißig Jahren wachsen werden? In
was für großstädtische Keller- oder Turmstnben gedenkt man sie zu sperren,
womit will man sie beschäftige», womit ernähren? Ein armer Jüngling, der
seine Schlösser in die Luft oder in den Mond baut, ist kein solcher Utopist,
wie ein Minister, Geheimrat, Parlamentarier oder Professor der Volkswirt¬
schaft, der sich einbildet, die Sache werde sich schon von selber machen; denken
diese Herren aber überhcinpt nicht nach über die Sache, dann sind sie entweder
gewissenlos oder unfähig.

Wir sind nicht Malthusianer im gewöhnlichen Sinne des Wortes; wir
glauben nicht, daß sich die Menschen stärker vermehren als die Lebensmittel.
Soll aber beides im Gleichgewicht mit einander bleiben, dann dürfen sich die
Menschen nicht auf einem Platze zusammendrängen und ungeheure Läuderflächeu
unaugebaut oder schlecht angebaut lassen, sondern müssen sich nach dein Maße
ihres Wachstums über die noch verfügbaren Flüchen verteilen. Zwar ermöglicht
die moderne Technik einen Zustand, wo das eine Volk nur Jndustricprodnkte,
das andre nur Nahrungsmittel und Rohstoffe erzeugt, und jedes der beiden
das ihm Fehlende durch Tausch vom andern erhält, allein der Zustand des
reinen Industriestaats ist ungesund und gefährlich.

Wir wiederholen: nicht wir sind Utopisten, sondern erstens jene Agrarier,
die sich einbilden, mit Hilfe der Ackerbauchemie die Bodeuerzeuguisse ins Ma߬
lose steigern zu können, zweitens jene Verehrer des Industriestaats, die sich
einbilden, Deutschland könne ein solcher werden, ohne daß unser Volk seine
geistige und körperliche Tüchtigkeit einbüßt; drittens alle die, die sich einbilden,
für einen zweiten Industrie- und Haudelsstaat uach dem Muster Englands sei
noch Raum auf Erden. Diese moderne Utopisterei hat erst zur Herrschaft
gelangen können, nachdem die Bevormundung durch die Büreaukrntic und durch
die politischen Parteiführer in deu Völkern alle gesunden Instinkte ertötet und
sie des Gebrauchs ihres natürlichen Verstandes entwöhnt hat. Alle Völker
des Altertums und des Mittelalters haben es gewußt, und die Engländers



Der Landhunger der Engländer ist bis auf den heutigen Tag unersättlich geblieben.
Wer uus mit dem Hinweis auf England überreden will, ein Industriestaat zu werden, deu
frugen wir vor allem, woher er uns die 45»000 Quadratmeilen verschlissen will, über die
England herrscht. Überseeisches Gebiet bildet keine so sichere und gesunde Grundlage für das
erweiterte Volksleben, wie erobertes Nachbarland, aber England konnte sich als Industriestaat
uicht anders helfen, nud ohne seine überseeischen Besitzungen vermöchte es seine Industrie-
bcvölkeruug schlechterdings nicht zu ernähren. Da deu Engländern durch die Lage ihres Laudes
die Ausbreitung nach römischem und altdeutschen, Muster verwehrt war, haben sie die alt¬
griechische Kolouisntiousmethode mit der phönizisch-karthagischen, später auch vou Holland ge¬
pflegten verbunden. Der Deutsche bleibt durch seine Gemütsart sowie durch die Natur und
Lage seines Landes auf den Weg seiner Vorfahren angewiesen. Übrigens ist es auch die
Kolonisation, was neben der Abwesenheit des Polizeidrncks das englische Volk vor Verkuui-
meruug bewahrt hat in jener Zeit, wo sein größter Teil in entwürdigenden Elend schmachtete.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/175>, abgerufen am 24.07.2024.