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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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dahin gehende Antrag keinen andern Erfolg haben würde als große Heiterkeit.
(In Osterreich haben sich ihre Gesimiuugsverwandteu gegen das allgemeine
gleiche Wahlrecht erklärt, notabene, schon bevor Graf Taaffe seinen boshaften
Wahlreformentwurf vorgelegt hatte.) Sie schwärmen theoretisch für das Kva-
litivnsrecht und schreien nach der Polizei, wo ihnen eine Koalition unbequem
wird. Sie wollen dem Handwerker helfen, und reiten ihn mit ihren Aktien¬
banken, die sich Vorschußvereine nennen, nur tiefer hinein. Sie wollen dem
Arbeiter mit Gewerkvereinen helfen, halten sich aber Angen und Ohren zu,
sobald thuen jemand die Natur dieser Gewerkvereine klar macht. Diese Ver¬
eine sind das, als was sie ihr deutscher Geschichtschreiber, Lujo Brentano, ge¬
schildert hat, nämlich die wieder ausgelebten altgermanischen Schutz- und Trntz-
brudcrschnften und mittelalterlichen Innungen. Und zwar gleichen sie nicht
den vou liberalem Geist erfüllten Innungen des frühern Mittelalters, sondern
den Zünften der spätern Zeit, die, von der wachsenden Konkurrenz bedrängt,
vor allem ans Privilegien und Absperrung bedacht waren. Nur dadurch hat
ein Siebeutel der englischen Arbeiterschaft hohe Löhne bei kurzer Arbeitszeit
erzwingen und sich eine bürgerlich anständige Existenz erringen können, daß die
Zahl der in jeder Fabrik zu beschäftigenden Arbeiter geschlossen, die Frauen¬
arbeit beseitigt, der Einschmuggelung jugendlicher Arbeiter unter dem Namen
von Lehrlingen gewehrt, für die wirklichen Lehrlinge eine ausreichende Lehr¬
zeit durchgesetzt, bei Streiks die Einstellung von Blacklegs auf gewaltthätige
Weise verhindert wurde. Die Walliser Grubenbesitzer hatten diesen Sommer
zum Ersatz für die Aufständischen Bergleute aus Durham und Schottland
herangezogen. Diese waren mit Kind und Kegel übergesiedelt und hatten einige
Wochen gearbeitet. Da hielten im Grubeubezirk vou Trimm bei Llanelly die
Walliser eine große Versammlung ab und machten bekannt, die Leute aus
Durham und Schottland hätten sofort abzureisen, und wenn sich einer von
ihnen ucich Anbruch der Nacht noch in der Gegend erwischen lasse, no luvre.,/
voulä dö Ltrovn, was doch nur heißen kann, so würden ihm alle Knochen im
Leibe entzweigeschlagen werden. Vergeben? baten die von dem Ausweisungs¬
befehl betroffnen, man möge sie nicht ins Elend jagen; vergebens jammerte"
ihre Weiber und Kinder; sie mußten fort, die einen zu Fuß, die andern mit
der Bahn, samt ihren weinenden Weibern und Kindern. Die Polizei und das
Militär standen dabei und sahen zu. Das ist der Weg, auf dem sich die
Aristokratie des englischen Arbeiterstandes ihre günstige Lage erkämpft hat,
und auf dein sie sie jetzt zu erhalten sucht. Nicht "durch Fleiß und Spar¬
samkeit," wie die freisinnigen Zeitungen schwindeln, sind sie geworden, was sie
sind. Fleiß und Sparsamkeit send nicht die Ursachen, sondern die Wirkungen
dieser günstigen Lage. Erst nachdem sie sich durch Gewaltthaten eine Lage
erkämpft haben, in der man es mit Fleiß und Sparsamkeit zu etwas bringen
kann, siud die englischen Gewerlvereinler fleißig und sparsam geworden, lind


dahin gehende Antrag keinen andern Erfolg haben würde als große Heiterkeit.
(In Osterreich haben sich ihre Gesimiuugsverwandteu gegen das allgemeine
gleiche Wahlrecht erklärt, notabene, schon bevor Graf Taaffe seinen boshaften
Wahlreformentwurf vorgelegt hatte.) Sie schwärmen theoretisch für das Kva-
litivnsrecht und schreien nach der Polizei, wo ihnen eine Koalition unbequem
wird. Sie wollen dem Handwerker helfen, und reiten ihn mit ihren Aktien¬
banken, die sich Vorschußvereine nennen, nur tiefer hinein. Sie wollen dem
Arbeiter mit Gewerkvereinen helfen, halten sich aber Angen und Ohren zu,
sobald thuen jemand die Natur dieser Gewerkvereine klar macht. Diese Ver¬
eine sind das, als was sie ihr deutscher Geschichtschreiber, Lujo Brentano, ge¬
schildert hat, nämlich die wieder ausgelebten altgermanischen Schutz- und Trntz-
brudcrschnften und mittelalterlichen Innungen. Und zwar gleichen sie nicht
den vou liberalem Geist erfüllten Innungen des frühern Mittelalters, sondern
den Zünften der spätern Zeit, die, von der wachsenden Konkurrenz bedrängt,
vor allem ans Privilegien und Absperrung bedacht waren. Nur dadurch hat
ein Siebeutel der englischen Arbeiterschaft hohe Löhne bei kurzer Arbeitszeit
erzwingen und sich eine bürgerlich anständige Existenz erringen können, daß die
Zahl der in jeder Fabrik zu beschäftigenden Arbeiter geschlossen, die Frauen¬
arbeit beseitigt, der Einschmuggelung jugendlicher Arbeiter unter dem Namen
von Lehrlingen gewehrt, für die wirklichen Lehrlinge eine ausreichende Lehr¬
zeit durchgesetzt, bei Streiks die Einstellung von Blacklegs auf gewaltthätige
Weise verhindert wurde. Die Walliser Grubenbesitzer hatten diesen Sommer
zum Ersatz für die Aufständischen Bergleute aus Durham und Schottland
herangezogen. Diese waren mit Kind und Kegel übergesiedelt und hatten einige
Wochen gearbeitet. Da hielten im Grubeubezirk vou Trimm bei Llanelly die
Walliser eine große Versammlung ab und machten bekannt, die Leute aus
Durham und Schottland hätten sofort abzureisen, und wenn sich einer von
ihnen ucich Anbruch der Nacht noch in der Gegend erwischen lasse, no luvre.,/
voulä dö Ltrovn, was doch nur heißen kann, so würden ihm alle Knochen im
Leibe entzweigeschlagen werden. Vergeben? baten die von dem Ausweisungs¬
befehl betroffnen, man möge sie nicht ins Elend jagen; vergebens jammerte»
ihre Weiber und Kinder; sie mußten fort, die einen zu Fuß, die andern mit
der Bahn, samt ihren weinenden Weibern und Kindern. Die Polizei und das
Militär standen dabei und sahen zu. Das ist der Weg, auf dem sich die
Aristokratie des englischen Arbeiterstandes ihre günstige Lage erkämpft hat,
und auf dein sie sie jetzt zu erhalten sucht. Nicht „durch Fleiß und Spar¬
samkeit," wie die freisinnigen Zeitungen schwindeln, sind sie geworden, was sie
sind. Fleiß und Sparsamkeit send nicht die Ursachen, sondern die Wirkungen
dieser günstigen Lage. Erst nachdem sie sich durch Gewaltthaten eine Lage
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[0172] dahin gehende Antrag keinen andern Erfolg haben würde als große Heiterkeit. (In Osterreich haben sich ihre Gesimiuugsverwandteu gegen das allgemeine gleiche Wahlrecht erklärt, notabene, schon bevor Graf Taaffe seinen boshaften Wahlreformentwurf vorgelegt hatte.) Sie schwärmen theoretisch für das Kva- litivnsrecht und schreien nach der Polizei, wo ihnen eine Koalition unbequem wird. Sie wollen dem Handwerker helfen, und reiten ihn mit ihren Aktien¬ banken, die sich Vorschußvereine nennen, nur tiefer hinein. Sie wollen dem Arbeiter mit Gewerkvereinen helfen, halten sich aber Angen und Ohren zu, sobald thuen jemand die Natur dieser Gewerkvereine klar macht. Diese Ver¬ eine sind das, als was sie ihr deutscher Geschichtschreiber, Lujo Brentano, ge¬ schildert hat, nämlich die wieder ausgelebten altgermanischen Schutz- und Trntz- brudcrschnften und mittelalterlichen Innungen. Und zwar gleichen sie nicht den vou liberalem Geist erfüllten Innungen des frühern Mittelalters, sondern den Zünften der spätern Zeit, die, von der wachsenden Konkurrenz bedrängt, vor allem ans Privilegien und Absperrung bedacht waren. Nur dadurch hat ein Siebeutel der englischen Arbeiterschaft hohe Löhne bei kurzer Arbeitszeit erzwingen und sich eine bürgerlich anständige Existenz erringen können, daß die Zahl der in jeder Fabrik zu beschäftigenden Arbeiter geschlossen, die Frauen¬ arbeit beseitigt, der Einschmuggelung jugendlicher Arbeiter unter dem Namen von Lehrlingen gewehrt, für die wirklichen Lehrlinge eine ausreichende Lehr¬ zeit durchgesetzt, bei Streiks die Einstellung von Blacklegs auf gewaltthätige Weise verhindert wurde. Die Walliser Grubenbesitzer hatten diesen Sommer zum Ersatz für die Aufständischen Bergleute aus Durham und Schottland herangezogen. Diese waren mit Kind und Kegel übergesiedelt und hatten einige Wochen gearbeitet. Da hielten im Grubeubezirk vou Trimm bei Llanelly die Walliser eine große Versammlung ab und machten bekannt, die Leute aus Durham und Schottland hätten sofort abzureisen, und wenn sich einer von ihnen ucich Anbruch der Nacht noch in der Gegend erwischen lasse, no luvre.,/ voulä dö Ltrovn, was doch nur heißen kann, so würden ihm alle Knochen im Leibe entzweigeschlagen werden. Vergeben? baten die von dem Ausweisungs¬ befehl betroffnen, man möge sie nicht ins Elend jagen; vergebens jammerte» ihre Weiber und Kinder; sie mußten fort, die einen zu Fuß, die andern mit der Bahn, samt ihren weinenden Weibern und Kindern. Die Polizei und das Militär standen dabei und sahen zu. Das ist der Weg, auf dem sich die Aristokratie des englischen Arbeiterstandes ihre günstige Lage erkämpft hat, und auf dein sie sie jetzt zu erhalten sucht. Nicht „durch Fleiß und Spar¬ samkeit," wie die freisinnigen Zeitungen schwindeln, sind sie geworden, was sie sind. Fleiß und Sparsamkeit send nicht die Ursachen, sondern die Wirkungen dieser günstigen Lage. Erst nachdem sie sich durch Gewaltthaten eine Lage erkämpft haben, in der man es mit Fleiß und Sparsamkeit zu etwas bringen kann, siud die englischen Gewerlvereinler fleißig und sparsam geworden, lind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/172>, abgerufen am 25.07.2024.