Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
LnroM >ab England

stellen wollten!) Es ist Thatsache, daß die all Bord der englischen Flotte
befindlichen schweren Geschütze von den Mannschaften selbst mit Mißtrauen
betrachtet werden; sie werden beim Schießen im Frieden nur mit schwachen
Ladungen versehen und sind nicht in der Lage, in einem Kampf mit voller
Ladung gebraucht zu werden, ohne daß man befürchten müßte, daß sie springen
und die Schiffe wehrlos machen. Ob man mit den neuen Stahlbandkauvnen
von 45 Tonnen Gewicht und 30,5 Centimeter Kaliber bessere Ergebnisse er¬
zielt hat, ist nicht bekannt geworden; jedenfalls würde sehr viel Zeit vergehen,
bis die nötige Anzahl von Stücken für die Flotte und die wichtigsten Be¬
festigungen der Küsten hergestellt wären. Die Küstenbefestignng ist bisher fast
ganz vernachlässigt worden. Die ^vrtuiglckl/ L.ovis>v forderte schon im Mürz
1888 -- also vor deu entscheidungsvollen Seemanövern --, die englischen
Seehäfen und die Kohlenstationen müßten so stark befestigt werden, daß sie
sich ohne Unterstützung der Flotte halten könnten. Thatsächlich haben die
englischen Kriegshafen nur veraltete Befestigungen mit glnttlänfigen Rohren;
die Kohlenstationen befinden sich augenblicklich fast in verteidigungslosem Zu¬
stand und müßte", wenn sie uicht durch besondre Kriegsschiffe verteidigt werden,
dem Feinde ohne weiteres in die Hände fallen. Woher aber im Kriege alle
die Schiffe nehme", die die uuverteidigteu Kohleustationen und die schlecht
befestigten Häfen verteidigen sollen?

Allerdings hat mau, gewitzigt durch die Manövererfahrungen von 18i)1,
mit dem dringlichsten begonnen und wenigstens die Befestigungen in der
Themse verstärkt. Eine neue Batterie auf der Esfexseite bei Cvalhvuse Point
ist mit zwei zehnzölligen Einundzwanzigtonnengeschützen und mit einer Anzahl
von sechszölligeu und mit schnellfeuerudeu Kanonen versehen worden, in Gmiu-
Fvrt anf der Kentseitc der Themse wurden größere Arbeiten vorgenommen,
neue Werke gebaut und die glattlausigen Geschütze durch neue ersetzt. Auch
ein neuer Plan für die Verteidigung von London ist ausgearbeitet worden.
Der Weg auf der Themse nach London ist dadurch allerdings bedeutend er¬
schwert, wenn uicht unmöglich gemacht worden. Trotzdem ist immer noch eine
Milliarde Mark erforderlich, wenn das gänzlich verwahrloste Verteidigungssystem
Großbritanniens anf einen beachtenswerten Stand gebracht und dadurch die
Flotte in ihrer Gesamtheit zur Verwendung auf offner See, also sür ihre
eigentliche Aufgabe, frei gemacht werden soll.

Das ist aber mit den bisherigen Kräften einfach nicht möglich, den" das
Werbesystem, so kostspielig es auch ist, liefert nicht genug Mannschaften, und
das svgeimnnte Reservepersonal hat sich allgemein als untüchtig erwiesen.
So wurden z. B. dem "Inflexible" zu den Manövern 1888 nicht weniger als
37 Heizer aus der Reserve zugeteilt, die sämtlich noch nie zur See gewesen
waren. Der Mangel an Mannschaften und das Fehle" einer Kriegsreserve
uiachen die Mobilmachung der gesamten Flotte im Kriege geradezu unmöglich.


Greuzbvte" IV 18W 20
LnroM >ab England

stellen wollten!) Es ist Thatsache, daß die all Bord der englischen Flotte
befindlichen schweren Geschütze von den Mannschaften selbst mit Mißtrauen
betrachtet werden; sie werden beim Schießen im Frieden nur mit schwachen
Ladungen versehen und sind nicht in der Lage, in einem Kampf mit voller
Ladung gebraucht zu werden, ohne daß man befürchten müßte, daß sie springen
und die Schiffe wehrlos machen. Ob man mit den neuen Stahlbandkauvnen
von 45 Tonnen Gewicht und 30,5 Centimeter Kaliber bessere Ergebnisse er¬
zielt hat, ist nicht bekannt geworden; jedenfalls würde sehr viel Zeit vergehen,
bis die nötige Anzahl von Stücken für die Flotte und die wichtigsten Be¬
festigungen der Küsten hergestellt wären. Die Küstenbefestignng ist bisher fast
ganz vernachlässigt worden. Die ^vrtuiglckl/ L.ovis>v forderte schon im Mürz
1888 — also vor deu entscheidungsvollen Seemanövern —, die englischen
Seehäfen und die Kohlenstationen müßten so stark befestigt werden, daß sie
sich ohne Unterstützung der Flotte halten könnten. Thatsächlich haben die
englischen Kriegshafen nur veraltete Befestigungen mit glnttlänfigen Rohren;
die Kohlenstationen befinden sich augenblicklich fast in verteidigungslosem Zu¬
stand und müßte», wenn sie uicht durch besondre Kriegsschiffe verteidigt werden,
dem Feinde ohne weiteres in die Hände fallen. Woher aber im Kriege alle
die Schiffe nehme», die die uuverteidigteu Kohleustationen und die schlecht
befestigten Häfen verteidigen sollen?

Allerdings hat mau, gewitzigt durch die Manövererfahrungen von 18i)1,
mit dem dringlichsten begonnen und wenigstens die Befestigungen in der
Themse verstärkt. Eine neue Batterie auf der Esfexseite bei Cvalhvuse Point
ist mit zwei zehnzölligen Einundzwanzigtonnengeschützen und mit einer Anzahl
von sechszölligeu und mit schnellfeuerudeu Kanonen versehen worden, in Gmiu-
Fvrt anf der Kentseitc der Themse wurden größere Arbeiten vorgenommen,
neue Werke gebaut und die glattlausigen Geschütze durch neue ersetzt. Auch
ein neuer Plan für die Verteidigung von London ist ausgearbeitet worden.
Der Weg auf der Themse nach London ist dadurch allerdings bedeutend er¬
schwert, wenn uicht unmöglich gemacht worden. Trotzdem ist immer noch eine
Milliarde Mark erforderlich, wenn das gänzlich verwahrloste Verteidigungssystem
Großbritanniens anf einen beachtenswerten Stand gebracht und dadurch die
Flotte in ihrer Gesamtheit zur Verwendung auf offner See, also sür ihre
eigentliche Aufgabe, frei gemacht werden soll.

Das ist aber mit den bisherigen Kräften einfach nicht möglich, den» das
Werbesystem, so kostspielig es auch ist, liefert nicht genug Mannschaften, und
das svgeimnnte Reservepersonal hat sich allgemein als untüchtig erwiesen.
So wurden z. B. dem „Inflexible" zu den Manövern 1888 nicht weniger als
37 Heizer aus der Reserve zugeteilt, die sämtlich noch nie zur See gewesen
waren. Der Mangel an Mannschaften und das Fehle» einer Kriegsreserve
uiachen die Mobilmachung der gesamten Flotte im Kriege geradezu unmöglich.


Greuzbvte» IV 18W 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0161" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215885"/>
          <fw type="header" place="top"> LnroM &gt;ab England</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_431" prev="#ID_430"> stellen wollten!) Es ist Thatsache, daß die all Bord der englischen Flotte<lb/>
befindlichen schweren Geschütze von den Mannschaften selbst mit Mißtrauen<lb/>
betrachtet werden; sie werden beim Schießen im Frieden nur mit schwachen<lb/>
Ladungen versehen und sind nicht in der Lage, in einem Kampf mit voller<lb/>
Ladung gebraucht zu werden, ohne daß man befürchten müßte, daß sie springen<lb/>
und die Schiffe wehrlos machen. Ob man mit den neuen Stahlbandkauvnen<lb/>
von 45 Tonnen Gewicht und 30,5 Centimeter Kaliber bessere Ergebnisse er¬<lb/>
zielt hat, ist nicht bekannt geworden; jedenfalls würde sehr viel Zeit vergehen,<lb/>
bis die nötige Anzahl von Stücken für die Flotte und die wichtigsten Be¬<lb/>
festigungen der Küsten hergestellt wären. Die Küstenbefestignng ist bisher fast<lb/>
ganz vernachlässigt worden. Die ^vrtuiglckl/ L.ovis&gt;v forderte schon im Mürz<lb/>
1888 &#x2014; also vor deu entscheidungsvollen Seemanövern &#x2014;, die englischen<lb/>
Seehäfen und die Kohlenstationen müßten so stark befestigt werden, daß sie<lb/>
sich ohne Unterstützung der Flotte halten könnten. Thatsächlich haben die<lb/>
englischen Kriegshafen nur veraltete Befestigungen mit glnttlänfigen Rohren;<lb/>
die Kohlenstationen befinden sich augenblicklich fast in verteidigungslosem Zu¬<lb/>
stand und müßte», wenn sie uicht durch besondre Kriegsschiffe verteidigt werden,<lb/>
dem Feinde ohne weiteres in die Hände fallen. Woher aber im Kriege alle<lb/>
die Schiffe nehme», die die uuverteidigteu Kohleustationen und die schlecht<lb/>
befestigten Häfen verteidigen sollen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_432"> Allerdings hat mau, gewitzigt durch die Manövererfahrungen von 18i)1,<lb/>
mit dem dringlichsten begonnen und wenigstens die Befestigungen in der<lb/>
Themse verstärkt. Eine neue Batterie auf der Esfexseite bei Cvalhvuse Point<lb/>
ist mit zwei zehnzölligen Einundzwanzigtonnengeschützen und mit einer Anzahl<lb/>
von sechszölligeu und mit schnellfeuerudeu Kanonen versehen worden, in Gmiu-<lb/>
Fvrt anf der Kentseitc der Themse wurden größere Arbeiten vorgenommen,<lb/>
neue Werke gebaut und die glattlausigen Geschütze durch neue ersetzt. Auch<lb/>
ein neuer Plan für die Verteidigung von London ist ausgearbeitet worden.<lb/>
Der Weg auf der Themse nach London ist dadurch allerdings bedeutend er¬<lb/>
schwert, wenn uicht unmöglich gemacht worden. Trotzdem ist immer noch eine<lb/>
Milliarde Mark erforderlich, wenn das gänzlich verwahrloste Verteidigungssystem<lb/>
Großbritanniens anf einen beachtenswerten Stand gebracht und dadurch die<lb/>
Flotte in ihrer Gesamtheit zur Verwendung auf offner See, also sür ihre<lb/>
eigentliche Aufgabe, frei gemacht werden soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_433" next="#ID_434"> Das ist aber mit den bisherigen Kräften einfach nicht möglich, den» das<lb/>
Werbesystem, so kostspielig es auch ist, liefert nicht genug Mannschaften, und<lb/>
das svgeimnnte Reservepersonal hat sich allgemein als untüchtig erwiesen.<lb/>
So wurden z. B. dem &#x201E;Inflexible" zu den Manövern 1888 nicht weniger als<lb/>
37 Heizer aus der Reserve zugeteilt, die sämtlich noch nie zur See gewesen<lb/>
waren. Der Mangel an Mannschaften und das Fehle» einer Kriegsreserve<lb/>
uiachen die Mobilmachung der gesamten Flotte im Kriege geradezu unmöglich.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Greuzbvte» IV 18W 20</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0161] LnroM >ab England stellen wollten!) Es ist Thatsache, daß die all Bord der englischen Flotte befindlichen schweren Geschütze von den Mannschaften selbst mit Mißtrauen betrachtet werden; sie werden beim Schießen im Frieden nur mit schwachen Ladungen versehen und sind nicht in der Lage, in einem Kampf mit voller Ladung gebraucht zu werden, ohne daß man befürchten müßte, daß sie springen und die Schiffe wehrlos machen. Ob man mit den neuen Stahlbandkauvnen von 45 Tonnen Gewicht und 30,5 Centimeter Kaliber bessere Ergebnisse er¬ zielt hat, ist nicht bekannt geworden; jedenfalls würde sehr viel Zeit vergehen, bis die nötige Anzahl von Stücken für die Flotte und die wichtigsten Be¬ festigungen der Küsten hergestellt wären. Die Küstenbefestignng ist bisher fast ganz vernachlässigt worden. Die ^vrtuiglckl/ L.ovis>v forderte schon im Mürz 1888 — also vor deu entscheidungsvollen Seemanövern —, die englischen Seehäfen und die Kohlenstationen müßten so stark befestigt werden, daß sie sich ohne Unterstützung der Flotte halten könnten. Thatsächlich haben die englischen Kriegshafen nur veraltete Befestigungen mit glnttlänfigen Rohren; die Kohlenstationen befinden sich augenblicklich fast in verteidigungslosem Zu¬ stand und müßte», wenn sie uicht durch besondre Kriegsschiffe verteidigt werden, dem Feinde ohne weiteres in die Hände fallen. Woher aber im Kriege alle die Schiffe nehme», die die uuverteidigteu Kohleustationen und die schlecht befestigten Häfen verteidigen sollen? Allerdings hat mau, gewitzigt durch die Manövererfahrungen von 18i)1, mit dem dringlichsten begonnen und wenigstens die Befestigungen in der Themse verstärkt. Eine neue Batterie auf der Esfexseite bei Cvalhvuse Point ist mit zwei zehnzölligen Einundzwanzigtonnengeschützen und mit einer Anzahl von sechszölligeu und mit schnellfeuerudeu Kanonen versehen worden, in Gmiu- Fvrt anf der Kentseitc der Themse wurden größere Arbeiten vorgenommen, neue Werke gebaut und die glattlausigen Geschütze durch neue ersetzt. Auch ein neuer Plan für die Verteidigung von London ist ausgearbeitet worden. Der Weg auf der Themse nach London ist dadurch allerdings bedeutend er¬ schwert, wenn uicht unmöglich gemacht worden. Trotzdem ist immer noch eine Milliarde Mark erforderlich, wenn das gänzlich verwahrloste Verteidigungssystem Großbritanniens anf einen beachtenswerten Stand gebracht und dadurch die Flotte in ihrer Gesamtheit zur Verwendung auf offner See, also sür ihre eigentliche Aufgabe, frei gemacht werden soll. Das ist aber mit den bisherigen Kräften einfach nicht möglich, den» das Werbesystem, so kostspielig es auch ist, liefert nicht genug Mannschaften, und das svgeimnnte Reservepersonal hat sich allgemein als untüchtig erwiesen. So wurden z. B. dem „Inflexible" zu den Manövern 1888 nicht weniger als 37 Heizer aus der Reserve zugeteilt, die sämtlich noch nie zur See gewesen waren. Der Mangel an Mannschaften und das Fehle» einer Kriegsreserve uiachen die Mobilmachung der gesamten Flotte im Kriege geradezu unmöglich. Greuzbvte» IV 18W 20

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/161
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/161>, abgerufen am 24.07.2024.