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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Europa und "Lugland

forat, weil es nicht ausreichend, das Material, weil es Schwindel (a trennt)
ist. Es sind Panzerschiffe vorhanden, die nicht gepanzert sind, Kreuzer, die
keine Schnelligkeit haben; die Geschütze fehlen ganz oder sind unzureichend,
die Maschinen sind zu schwach. Und warum? Die Antwort ist die, daß die
ganze Marineverwaltnng, ebenso wie das Material, Schwindel der schlimmsten
Art ist." Wenn man auch von den in der englischen Publizistik übliche" derbe"
Ausdrücke" dieser scharfe" Kritik absieht, ist doch klar, daß sie ihre Spitze im
wesentlichen gegen das System richtet. Die Mobilisiruug der Flotte zu den
Manövern 18!)1 brachte el" dürftiges Ergebnis, kein einziges Schiff hatte
volle, die meisten kaum genügende Vemannnng.

Die Frage würde nicht so brennend sei", wen" nicht Frankreich zur See
England den Rang abzulaufen suchte. Zunächst sucht es die erste Macht im
Mittelmeerbecken zu werde"; als Beweis führe" wir nur die "e"e Schopf""g
des ausgezeichnet gelegnen Kriegshafens Riserta ans tunesischen Gebiete an,
die ebenso Italien wie England beunruhigt. Der Aufschwung der französischen
Flotte hat schon seit langen Jahren England gezwungen, von dem früher fest¬
gehaltenen Grundsätze abzugehen, daß die englische Flotte deu vereinigten
Flotten zweier Staaten (früher war immer Frankreich und Spanien gemeint)
gewachsen sein müsse. Jetzt ist die französische Flotte allein schon imstande,
der englischen mit Aussicht auf Erfolg die Spitze zu bieten. Seit Beginn
unsrer Weltgeschichte hat es als Erfahrungssatz gegolten, daß die hervor¬
ragendsten seefahrenden Völker als Meister der Schiffsbaukunst und der Her¬
stellung schwerer Wurfgeschosse obenan standen. Die Geschichte der Phönizier
und Karthager, der Hanse, der Republiken von Venedig und Genua, das
Emporblühen und der Verfall Spaniens, die Geschichte der Niederlande und
endlich auch die Geschichte Englands bestätigen dies. Aber gerade das britische
Reich läßt hierin in letzter Zeit einen merklichen Rückschritt erkenne". Seine
Seemacht hat i" ihrer Vormachtstellittig sehr eingebüßt, seitdem sich andre
Staaten, vor allen Deutschland, im Schiffsbau wesentlich vervollkommnet
habe" und England schon überflügeln, seitdem das mangelhafte des englischen
Geschützshstems und die "nge"ügende Bestück"ng der englischen Kriegs¬
schiffe nicht mehr z" verhülle" sind. Mit den Rohre" schwere" Kalibers hat
die britische Marine bisher sehr üble Erfahrungen gemacht. Die englische
Stahluidnstrie, wie sie uns namentlich in den Erzengnissen von Wvvlwich ent¬
gegentritt, kann sich nicht mehr mit der deutsche" und französischen messen.
Weder die 110 Tonnen schwere" Armstrmigschen Kanonen von 41,5! Centi-
meter Kaliber, noch die in der königlichen Geschützgießerei in Woolwich an¬
gefertigten 68 Tonnen schwere" Geschütze mit 34,3 Centimeter Kaliber haben
sich sür den ernsten Kampf als tauglich erwiesen. Bemerkenswert ist die That¬
sache, daß die Hnndertzehntvnnengeschütze überhaupt bloß für das Aushalte"
von siebzig Schuß gebant sind. (Wenn Krupp und Grnso" solche Bedingniigen


Europa und «Lugland

forat, weil es nicht ausreichend, das Material, weil es Schwindel (a trennt)
ist. Es sind Panzerschiffe vorhanden, die nicht gepanzert sind, Kreuzer, die
keine Schnelligkeit haben; die Geschütze fehlen ganz oder sind unzureichend,
die Maschinen sind zu schwach. Und warum? Die Antwort ist die, daß die
ganze Marineverwaltnng, ebenso wie das Material, Schwindel der schlimmsten
Art ist." Wenn man auch von den in der englischen Publizistik übliche» derbe»
Ausdrücke» dieser scharfe» Kritik absieht, ist doch klar, daß sie ihre Spitze im
wesentlichen gegen das System richtet. Die Mobilisiruug der Flotte zu den
Manövern 18!)1 brachte el» dürftiges Ergebnis, kein einziges Schiff hatte
volle, die meisten kaum genügende Vemannnng.

Die Frage würde nicht so brennend sei», wen» nicht Frankreich zur See
England den Rang abzulaufen suchte. Zunächst sucht es die erste Macht im
Mittelmeerbecken zu werde»; als Beweis führe» wir nur die »e»e Schopf»»g
des ausgezeichnet gelegnen Kriegshafens Riserta ans tunesischen Gebiete an,
die ebenso Italien wie England beunruhigt. Der Aufschwung der französischen
Flotte hat schon seit langen Jahren England gezwungen, von dem früher fest¬
gehaltenen Grundsätze abzugehen, daß die englische Flotte deu vereinigten
Flotten zweier Staaten (früher war immer Frankreich und Spanien gemeint)
gewachsen sein müsse. Jetzt ist die französische Flotte allein schon imstande,
der englischen mit Aussicht auf Erfolg die Spitze zu bieten. Seit Beginn
unsrer Weltgeschichte hat es als Erfahrungssatz gegolten, daß die hervor¬
ragendsten seefahrenden Völker als Meister der Schiffsbaukunst und der Her¬
stellung schwerer Wurfgeschosse obenan standen. Die Geschichte der Phönizier
und Karthager, der Hanse, der Republiken von Venedig und Genua, das
Emporblühen und der Verfall Spaniens, die Geschichte der Niederlande und
endlich auch die Geschichte Englands bestätigen dies. Aber gerade das britische
Reich läßt hierin in letzter Zeit einen merklichen Rückschritt erkenne». Seine
Seemacht hat i» ihrer Vormachtstellittig sehr eingebüßt, seitdem sich andre
Staaten, vor allen Deutschland, im Schiffsbau wesentlich vervollkommnet
habe» und England schon überflügeln, seitdem das mangelhafte des englischen
Geschützshstems und die »nge»ügende Bestück»ng der englischen Kriegs¬
schiffe nicht mehr z» verhülle» sind. Mit den Rohre» schwere» Kalibers hat
die britische Marine bisher sehr üble Erfahrungen gemacht. Die englische
Stahluidnstrie, wie sie uns namentlich in den Erzengnissen von Wvvlwich ent¬
gegentritt, kann sich nicht mehr mit der deutsche» und französischen messen.
Weder die 110 Tonnen schwere» Armstrmigschen Kanonen von 41,5! Centi-
meter Kaliber, noch die in der königlichen Geschützgießerei in Woolwich an¬
gefertigten 68 Tonnen schwere» Geschütze mit 34,3 Centimeter Kaliber haben
sich sür den ernsten Kampf als tauglich erwiesen. Bemerkenswert ist die That¬
sache, daß die Hnndertzehntvnnengeschütze überhaupt bloß für das Aushalte»
von siebzig Schuß gebant sind. (Wenn Krupp und Grnso» solche Bedingniigen


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[0160] Europa und «Lugland forat, weil es nicht ausreichend, das Material, weil es Schwindel (a trennt) ist. Es sind Panzerschiffe vorhanden, die nicht gepanzert sind, Kreuzer, die keine Schnelligkeit haben; die Geschütze fehlen ganz oder sind unzureichend, die Maschinen sind zu schwach. Und warum? Die Antwort ist die, daß die ganze Marineverwaltnng, ebenso wie das Material, Schwindel der schlimmsten Art ist." Wenn man auch von den in der englischen Publizistik übliche» derbe» Ausdrücke» dieser scharfe» Kritik absieht, ist doch klar, daß sie ihre Spitze im wesentlichen gegen das System richtet. Die Mobilisiruug der Flotte zu den Manövern 18!)1 brachte el» dürftiges Ergebnis, kein einziges Schiff hatte volle, die meisten kaum genügende Vemannnng. Die Frage würde nicht so brennend sei», wen» nicht Frankreich zur See England den Rang abzulaufen suchte. Zunächst sucht es die erste Macht im Mittelmeerbecken zu werde»; als Beweis führe» wir nur die »e»e Schopf»»g des ausgezeichnet gelegnen Kriegshafens Riserta ans tunesischen Gebiete an, die ebenso Italien wie England beunruhigt. Der Aufschwung der französischen Flotte hat schon seit langen Jahren England gezwungen, von dem früher fest¬ gehaltenen Grundsätze abzugehen, daß die englische Flotte deu vereinigten Flotten zweier Staaten (früher war immer Frankreich und Spanien gemeint) gewachsen sein müsse. Jetzt ist die französische Flotte allein schon imstande, der englischen mit Aussicht auf Erfolg die Spitze zu bieten. Seit Beginn unsrer Weltgeschichte hat es als Erfahrungssatz gegolten, daß die hervor¬ ragendsten seefahrenden Völker als Meister der Schiffsbaukunst und der Her¬ stellung schwerer Wurfgeschosse obenan standen. Die Geschichte der Phönizier und Karthager, der Hanse, der Republiken von Venedig und Genua, das Emporblühen und der Verfall Spaniens, die Geschichte der Niederlande und endlich auch die Geschichte Englands bestätigen dies. Aber gerade das britische Reich läßt hierin in letzter Zeit einen merklichen Rückschritt erkenne». Seine Seemacht hat i» ihrer Vormachtstellittig sehr eingebüßt, seitdem sich andre Staaten, vor allen Deutschland, im Schiffsbau wesentlich vervollkommnet habe» und England schon überflügeln, seitdem das mangelhafte des englischen Geschützshstems und die »nge»ügende Bestück»ng der englischen Kriegs¬ schiffe nicht mehr z» verhülle» sind. Mit den Rohre» schwere» Kalibers hat die britische Marine bisher sehr üble Erfahrungen gemacht. Die englische Stahluidnstrie, wie sie uns namentlich in den Erzengnissen von Wvvlwich ent¬ gegentritt, kann sich nicht mehr mit der deutsche» und französischen messen. Weder die 110 Tonnen schwere» Armstrmigschen Kanonen von 41,5! Centi- meter Kaliber, noch die in der königlichen Geschützgießerei in Woolwich an¬ gefertigten 68 Tonnen schwere» Geschütze mit 34,3 Centimeter Kaliber haben sich sür den ernsten Kampf als tauglich erwiesen. Bemerkenswert ist die That¬ sache, daß die Hnndertzehntvnnengeschütze überhaupt bloß für das Aushalte» von siebzig Schuß gebant sind. (Wenn Krupp und Grnso» solche Bedingniigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/160>, abgerufen am 24.07.2024.